Im August lädt die Stadt mit den ältesten BewohnerInnen Österreichs zu einem postindustriellen Festival für Musik, Kunst und Literatur – und zum Frühschoppen. Wie das Rostfest eine totgeglaubte Stadt in neuem Glanz erstrahlen lässt.
Von der Semmeringschnellstraße weiter auf die Vordernbergerstraße nähern sich bedrohliche Berggipfel. Das Panorama, gesäumt von den Eisenerzer Alpen im Südwesten und dem Hochschwab im Nordosten, umrundet von den roten, stufenähnlichen Felsen des Erzbergs, wirkt trist und mächtig. Hinauf auf die Brücke, die Serpentinen hinunter, hinein in das vulkanähnliche Gebilde, bevor man, dem Pfad der Eisenstraße folgend, letztlich direkt in das weitläufige und friedliche Zentrum des Berges hineingespuckt wird: Willkommen in Eisenerz! Willkommen am Rostfest!
Seit 2012 tummeln sich hier jährlich KünstlerInnen, MusikerInnen und zahlreiche FestivalbesucherInnen. Der gesamte Ortskern wird in Visuals des Kollektivs Ochoresotto getaucht, Open-Air-Bühnen werden mitten im Zentrum der geschichtsträchtigen Altstadt aus dem Boden gestampft, bereits aus der Ferne vernimmt man pulsierende Klänge, die aus örtlichen Kellergewölben dringen oder beobachtet, wie das ein oder andere Tretboot auf den sogenannten Schichtturm gezogen wird. Von der Nachmittagsperformance zur Vernissage, weiter zu den Konzerten, später in den Club, Schulter an Schulter mit StadtbewohnerInnen, mit denen man am nächsten Tag gemeinsam beim Frühschoppen ein Reparaturseidl trinkt – sounds like Rostfest. Klingt aber eigentlich so gar nicht nach Eisenerz.
Denn die einst für ihr reiches Eisenvorkommen und das starke Wirtschaftswachstum bekannte Stadt im Norden der Steiermark erinnert heute an so manchen Tagen mehr an eine Geisterstadt. Die glorreiche Vergangenheit als Hochburg des Erzabbaus scheint Geschichte, ein Großteil der Minen ist stillgelegt, etliche der einst so zahlreich für die BergarbeiterInnen und ihre Familien errichteten Wohnungen stehen leer. Durch neue Technologien im Bergbau selbst, der Krise in der Eisen- und Stahlindustrie der 1980er-Jahre, aber auch durch das sich langsam dem Ende zuneigende Eisenvorkommen in der Region, hat sich zunehmend Perspektivenlosigkeit in der Bevölkerung breit gemacht. Heute ist Eisenerz nicht nur eine der am schnellsten schrumpfenden Städte Österreichs, sondern auch die älteste: Der/die durchschnittliche BewohnerIn von Eisenerz ist rund 56 Jahre alt. Ein Rekordwert. Die meisten jungen Menschen wandern aufgrund der raren Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten ab, die Ortsstruktur verändert sich, der Leerstand prägt das Straßenbild.
Trotzdem ist Eisenerz, dank Veranstaltungen wie beispielsweise dem Erzberglauf oder dem Erzbergrodeo, vielen ein Begriff. Auch abseits von Sportgroßveranstaltungen, in den Bereichen Kunst und Kultur, ist man dem Stadtsterben zum Trotz seit geraumer Zeit bemüht, kreative und innovative Impulse zur Wiederbelebung der Stadt zu setzen: 2008 startete das Projekt »re-design Eisenerz«, in dem es neben der Aufwertung des historischen Ortszentrums vor allem um den Ausbau der Kulturarbeit und die Stärkung und Vernetzung lokaler Kunstschaffenden ging. Aus diesem Kulturentwicklungskonzept entstand 2010 schließlich das Programm »eisenerZ*ART« als jährliches Festivalformat und schließlich auch – initiiert durch Teile des »re-design-Eisenerz«-Teams und dem Verein »Rostfrei« – das sogenannte »Rostfest«.
Das Rostfest zwischen Tradition, Tanz und Toleranz
Nach einem Jahr Pause meldet sich das Festival für Musik, Kunst und Literatur mit einem neuen Konzept und üppigerem Programm zurück. Rund 50 KünstlerInnen werden heuer drei Open-Air-Bühnen und unterschiedliche Pop-Up- und Club-Bühnen bespielen. Gerechnet wird mit rund 10.000 BesucherInnen, insgesamt wird eine leerstehende Fläche von rund 8.500 Quadratmetern sinnvoll genutzt. So auch große Teile der heute verlassenen Gemeindewohnungen im Münichtal, in denen BesucherInnen im Rahmen des »Urban Campings« Tür an Tür mit den verbliebenen SiedlungsbewohnerInnen übernachten können.
Alt neben jung, Heavy Metal neben Volksmusik, Underground neben Hitparade, Bildende Kunst trifft auf geschichtlichen Diskurs: Klingt nach einer wahr gewordenen Utopie vom Zusammenleben einer Gesellschaft an einem Ort wie Eisenerz – einem Ort nach dem Wachstum. Einem Ort, an dem man Neuem aufgeschlossen gegenüberstehen will, trotz eines für die BewohnerInnen vielleicht auf den ersten Blick ungewohnten äußeren Erscheinungsbildes des Festivalpublikums: »Jede/r freut sich auf die jungen und junggebliebenen FestivalbesucherInnen, auch wenn ihre Outfits vielleicht ein wenig anders sind als wir es hier gewohnt sind«, so die Bürgermeisterin von Eisenerz, Christine Holzweber.
Es gehe um Begegnungen und Vernetzung zwischen Moderne und Tradition, vor allem aber darum, die Bedeutung von Diversität für die Entwicklung des ländlichen Raumes zu erkennen und zu nutzen, so Regionalentwickler und Freund des Rostfest-Teams, Luis Fidlschuster. »Statt einer Selbstgefälligkeit ist für die Entwicklung des ländlichen Raums Selbstbewusstsein und die Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem gefragt.« Wichtig sei es außerdem »soziale Spielräume« und Orte zu schaffen, in denen BürgerInnen ihre Talente und Interessen entfalten und in die Entwicklung der Region einbringen können. Im Rahmen des Rostfests sollen daher heuer im sogenannten »Rostcamp« ortsansässige Jugendliche mit Kunst- und Kulturschaffenden aus dem Umfeld vernetzt werden, um in gemeinschaftlicher Arbeit selbst Interventionen und Projekte zu planen und umzusetzen.
Jung an Tagen
Möglich ist das alles nur, weil neben zahlreichen motivierten und engagierten Menschen aus der Kunst- und Musikszene auch die Bürgermeisterin und die EinwohnerInnen mitspielen. Die Community vor Ort wird von Anfang an miteinbezogen, viele sind Mitglied des veranstaltenden Vereins »Rostfrei«. Zusätzlich kooperiert man mit in Eisenerz beheimateten Institutionen, wie etwa der Feuerwehr oder örtlichen Sportvereinen.
Das sei enorm wichtig, so Thomas Baumegger, einer der OrganisatorInnen des heurigen Rostfests. Statt Lärmbeschwerden und Missgunst gegenüber der feierwütigen »Jugend«, packe man so mit an und heiße Neuankömmlinge herzlich willkommen. »Durch die stetige Abwanderung vieler junger Leute freuen sich viele, dass mit den FestivalbesucherInnen wieder mehr Jugend in die Stadt einzieht«, so Baumegger. Sei es auch nur für ein paar Tage. »Erst kürzlich musste ich einer älteren Bewohnerin der Urban-Camping-Siedlung versichern, dass heuer wieder ein Rostfest stattfindet. Auf die jungen NachbarInnen freue sie sich nämlich sehr.« Auch Joachim Mariacher, seit 50 Jahren Bewohner von Eisenerz, weiß, dass derartige Formate eine Belebung für die gesamte Stadt und wichtigen Input für die verbliebene Jugend bedeuten. Schlechte Erfahrungen habe er mit den BesucherInnen noch nie gemacht.
»Ein echter Ausnahmezustand im positiven Sinn«
Eine wichtige Rolle spielt auch die sozialdemokratische Bürgermeisterin Christine Holzweber, die seit 2009 im Amt ist: »Bei den bisherigen Treffen mit der Bürgermeisterin hat man gemerkt, dass ihr positive Umsetzung des Rostfests wichtig ist«, sagt Baumegger. Spricht man mit Christine Holzweber selbst, wird schnell klar, dass sie auf die Entwicklung des Rostfests und dessen Mehrwert für Eisenerz stolz ist: »Ursprünglich gedacht als Aktion, um besondere Aufmerksamkeit auf Eisenerz zu lenken, ist das Rostfest heute ein ausgewachsenes, gut organisiertes Festival, bei dem die Grenzen zwischen EisenerzerInnen und NichteisenerzerInnen fließend verschwimmen. Ein echter Ausnahmezustand – im positiven Sinn.« Es gehe darum, die Lebensqualität für alle Generationen in Eisenerz zu heben und darum, die in Eisenerz vorhandenen Ressourcen wie Raum, Metall oder Natur, zu aktivieren und so das Potential des Ortes mit jenem der Kunst zu verknüpfen. Widerstand in der Bevölkerung gab es ihrer Erfahrung nach noch nie: »Das auch deshalb, weil diese jungen Menschen freundlich und höflich sind und immer wieder die ansässige Bevölkerung einladen, mit ihnen zu feiern. Unsere BewohnerInnen nehmen diese Einladung gerne an und bringen einfach kurzerhand Kuchen und Kaffee mit.«
Dass eine kleine Stadt Kunst- und Kulturprojekten derart offen gegenübersteht, ist nicht selbstverständlich. Baumegger, der auch Teil des Labels und Veranstaltungskollektivs »Numavi Records« ist, weiß, dass man bei derart großen Veranstaltungen andernorts häufig mit politischen und bürokratischen Hürden zu kämpfen hat, die einem den Eindruck vermitteln, die Stadt wolle eigentlich gar nicht, dass jemand etwas veranstaltet. Hier sei das aber anders: »Man hat das Gefühl, hier tut man etwas, dem Politik und EinwohnerInnen positiv gegenüber eingestellt sind. Man hat das Gefühl, in Eisenerz geht was.«
Das Rostfest findet vom 16. bis 18. August mit Acts wie Voodoo Jürgens, Clara Luzia, TENTS, Crush, Wild Evil and the Trashbones und vielen mehr in Eisenerz statt. Tickets und Infos gibt es unter rostfest.at.