Jedes Jahr lässt das „Donaufestival“ die Herzen vieler Avantgarde- und Musikliebhaber höher schlagen. Vielen Kremsern ist das herzlichst egal. Was passiert in der Wachauer Bürgerstadt, wenn Performancekünstler, Aktionisten und Rockstars Einzug halten?
Zur Party lockt die Jugendlichen an diesem Abend vor allem der Millennium Revival Floor. Dort tanzt das braun gebrannte Partyvolk zur Musik jener DJs, die den ehemaligen Kremser Techno-Schuppen Millennium jahrelang zur Kultdisco gemacht haben. Ein Event mit lokalem Bezug und billigen Drinks. Gemeinsam feiern hier etwa 5.000 Kremser, Zwettler oder Horner. Samstagabend, „Blue Revolution Party“ in den Kremser Österreichhallen und das halbe Waldviertel ist dort.
Es ist eine Party nach dem Geschmack der meisten Jugendlichen hier in der Gegend. Für jene, die nicht gerade in der lokalen Großraumdisko G, dem ehemaligen Millennium, abtanzen, sind solche Massenveranstaltungen in den Österreichhallen eine willkommene Abwechslung zwischen Marillen-, Kellergassen- und Feuerwehrfesten. Bei Clubbings oder Schulbällen kommt man in den maroden Mehrzweckhallen gerne zusammen. Ende April jedoch setzen die wenigsten Kremser einen Fuß hinein.
Von Reykjavík nach Krems
Wenn das avantgardistische Donaufestival an zwei Wochenenden seine Pforten öffnet, reisen Hunderte aus Wien, London, Reykjavík und dem Rest der Welt an. Ganz Krems ist ausgebucht, mit Glück bekommt man noch ein Zimmer im Vier-Sterne-Hotel. Nur maximal 20 Prozent der Besucher kommen aus der Umgebung. „Es wirklich schwierig, die Leute herzulocken“, erzählt Andreas Grossberger, Geschäftsführer des Donaufestivals. So eine Veranstaltung in einer 25.000-Einwohner-Stadt zu machen sei eine Herausforderung. „Es ist ein bisschen so, als würde man eine Oper im Urwald veranstalten.“
Trifft hier intellektuelle Avantgarde auf konservative Spießigkeit? Die Kremser sind jedenfalls keine Kulturbanausen und die Stadt hat mehr zu bieten als Heurige, Grünen Veltliner und Schifffahrten auf der Donau. Zahlreiche engagierte Menschen, Vereine und Lokalbetreiber widmen sich der Kulturarbeit in der Kleinstadt. Locations wie das Avalon, der Jazzkeller und das Programmkino „Kino im Kesselhaus“ ziehen junge, alternative Menschen an. „Das Donaufestival wertet Krems ungemein auf“, sagt Dominik Taxpointer, ein Jugendlicher aus der Gegend. „Leider kann man aber mit keinem Kremser länger als zwei Minuten darüber reden“, bedauert der 21-Jährige.
„Leicht ist es in Krems jedenfalls nicht“, seufzt der Festival-Intendant Tomas Zierhofer-Kin. „Die Menschen hier sind aufgeschlossen, wenn es ums Geld-Verdienen geht, aber neugierig sind sie nicht.“ Das sei aber typisch für Gebiete, die vom Tourismus geprägt sind. „In einsameren Gegenden sind die Leute froh, wenn sich überhaupt jemand für sie interessiert. Sie sind viel offener und wollen gleich bei etwas mitmachen.“
Zierhofer-Kin sieht es zwar nicht prinzipiell als seine Aufgabe an, das Donaufestival zu einem Festival mit Regionalbezug zu machen, trotzdem gibt es bei ihm jedes Jahr Projekte, die versuchen, die lokale Bevölkerung zu involvieren. Letztes Jahr quartierte sich der Künstler Jörn Burmester vor dem Eingang zum Festivalgelände ohne Kleidung und Essen in einem schrottreifen Auto ein. Verwunderte, aber hilfsbereite Kremser brachten ihm zwei Wochen lang Frühstück, Hosen und guten Wein.
Von Nairobi nach Krems
Dieses Jahr geht Zierhofer-Kin mit dem Projekt „Slum-TV“ noch einen Schritt weiter: Zwanzig Kenianer bauen am Festivalgelände einen Slum auf und leben dort während des Festivals. Sie laden die Festivalgäste und Kremser ein, mit ihnen im Slum zu übernachten, nicht zuletzt um gegenseitige Vorurteile auszuräumen. Gemeinsam mit Schülern des nahe gelegenen Realgymnasiums beginnen in Krems zudem die Dreharbeiten für den Film „Third World Jam“, einer multikulturellen Version von „Romeo und Julia”. „Meine Intention ist es, intensiv mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten. Wenn Schüler beteiligt sind, bekommen das auch gleich ihre Eltern mit. So erreichen wir auch Leute, die nicht direkt beteiligt sind“, erklärt der Initiator Alexander Nikolic. Festivalintendant Zierhofer-Kin geht es bei diesem Projekt darum, die Unmöglichkeit des Zusammenkommens der Kulturen zu hinterfragen.
Kulturelle Barrieren, gesellschaftliche und moralische Grenzen waren immer wieder Thema des Festivals. Vergangenes Jahr erregte das „Satan-Mozart-Moratorium“ die Gemüter der Kremser. In einer aktionistischen Performance bespritzten die Akteure zu verzerrten Mozart-Klängen das in Regenschutz-Plastik gehüllte Publikum mit Fäkalien. Dadurch war das Festival plötzlich auch Gesprächsthema an den Kremser Stammtischen – mit wenig wohlwollendem Tenor. Das Patentrezept für Kulturverträglichkeit hat Zierhofer-Kin noch nicht gefunden: Blut, Urin und Scheiße sind jedenfalls nicht die richtigen Zutaten – zumindest was die Harmonie zwischen Festival und lokaler Bevölkerung betrifft.
Auch die Kremser Bürgermeisterin Inge Rinke hat sich die Performance angesehen. Sie war zwar „abgestoßen“, darüber beschwert habe sich bei ihr aber niemand. Rinke ist stolz darauf, ein solches Festival in Krems zu haben, Provokationen hält sie für wichtig und notwendig: „Manchmal muss man uns einen Spiegel vorsetzen. Man muss die Leute konfrontieren, es gibt einen Lernprozess, auch wenn es schmerzhaft ist.“ Rinkes Einstellung belegt Niederösterreichs liberale Kulturpolitik, die schon seit Jahren überrascht. „Es ist ja auch unser Kulturauftrag, das ganz Besondere oder das ganz Artfremde aufzuzeigen“, so Rinke. Der Ausdruck „artfremd“ erscheint dann in Zusammenhang mit der offenen Kulturpolitik allerdings doch etwas unpassend.
Rinke glaubt, dass sich in Krems alle Jugendlichen für das Donaufestival interessieren. Sie spricht sogar von einer ungebrochenen Begeisterung der jungen Kremser über das Festival. Ihre Pressesprecherin bremst sie schließlich ein: „Mainstream ist es nicht. Es gibt schon viele Junge, die nichts damit anfangen können.“ Die Geschäftsführerin des Kremser Jugendvereins Impulse, Manuela Leoni, bezeichnet das Donaufestival gar als „volksfremd“. Sie arbeitet mit Jugendlichen aus der Mittel- und Unterschicht. Für die sei diese Veranstaltung überhaupt kein Thema. „Das Donaufestival ist so professionell aufgezogen, dass es den Bezug zu den Jugendlichen komplett verliert.“
Von Krems nach Wien?
Laut Intendant Tomas Zierhofer-Kin hat das Festival „nicht unmittelbar mit Lebensrealität in Krems zu tun.“ Er hatte nie geplant, es den Kremsern auf den Leib zu schneidern. Seit der Neuausrichtung unter Zierhofer-Kin im Jahr 2005 hat das Donaufestival jeden Volksfestcharakter verloren. War das „alte“ Festival noch ein Bauchladen aus Jazz, Kabarett und Theater mit vielen Besuchern aus der Umgebung, hat Zierhofer-Kin das Profil des Festivals geschärft. Mit experimentellen Performances, Avantgardekunst und ausgewählten Popkonzerten ist die kulturelle Bandbreite zwar groß geblieben, die Zielgruppe aber auch kleiner geworden. Das mit zwei Millionen Euro geförderte Festival ist zu einer kulturellen Spielwiese geworden, die international ihresgleichen sucht.
Auch in Wien findet man kein vergleichbares Festival. Aber würde es dort nicht besser funktionieren? Michael Huber, Professor am Institut für Musiksoziologie der Uni Wien, glaubt nicht, dass sich in einer Großstadt mehr Menschen für so ein Festival interessieren würden. „In der Stadt ist der Widerstand gegen etwas, das viele nicht interessiert, relativ gering – wozu auch? Man muss ja nicht hingehen, denn man hat Alternativen“, so der Soziologe. Was also am Land für Aufregung sorgt, geht in einer Großstadt unter. Am Festival in Krems trifft urbanes auf ländliches Kulturverständnis. Dabei kann es zu Synergieeffekten, aber auch zu Spannungen kommen.
In Krems tuschelt man über skandalöse Performances und beschwert sich nach zehn Uhr abends über die Lautstärke. Das Donaufestival passt trotzdem hierher, weil es sich an dieser Stadt und ihrer Bevölkerung reibt. Viele Festivalbesucher aus der Umgebung sind kein Indikator für einen gut gewählten Standort. Gerade Letzterer macht nämlich das Donaufestival zu dem, was es sein will: Anders als alles, was sonst so in den Österreichhallen passiert.
Das Musikprogramm 2009
Unter dem Titel „Fake Reality“ glänzt das Donaufestival auch heuer wieder mit einem bewährten Musikalien-Mix: Vorne weg zugkräftige Alternative-Stars (Antony And The Johnsons, Sonic Youth, Spiritualized, Fennesz), alte Rockhelden bei denen man im vorhinein nie weiß, ob man sie nicht lieber ein paar Jahrzehnte früher gesehen hätte (Raincoats, Goblin, Butthole Surfers), einige junge Wilde (Black Dice, Chrome Hoof, We Have Band) eine Portion Geschlechterbefragung (Yo Majesty, Girl Monster Orchestra), zwei Knollen Club (Moderat, Luke Vibert, Boys Noize) und all die Unkategorisierbaren sorgen für die Würze des aufregendsten Festivalbratens in Österreich.
Donaufestival 2009, Krems, 22. April – 2. Mai