Die zunehmende Daten- und Informationsflut scheint zu beunruhigen. Auch wenn die Beschäftigung mit dem Phänomen lohnt, besteht kein Grund zur Sorge.
Wem vertrauen wir?
Glücklicherweise ist der Mensch seit Millionen von Jahren darauf trainiert, die Informationen zu selektieren, die für sein Leben (und Überleben) erforderlich sind, und so kommen wir auch heute in den meisten Fällen mit der Informationsflut zurecht – vor allem durch Selektion der Quellen. Das ist kein neuer Mechanismus. So las man schon vor Jahrzehnten – wenn überhaupt – im Regelfall eine Tageszeitung und verlässt sich auf den Filter »Redaktion«. Inzwischen hat sich die Informationsbeschaffung ins Internet verlagert, aber auch dort beschränken sich die meisten auf ein Nachrichtenportal. Mit dem Aufkommen der Social Networks ist ein neuer Filter entstanden, bei dem das Medium Internet seine Stärken ausspielen kann: Plötzlich liest man Artikel aus Zeitungen, die man nie gekauft hätte, die vielleicht auch gar nicht in der nächsten Trafik vertrieben werden. Diese Art der Informationsvermittlung sehe ich derzeit als eine der spannendsten: Neben dem Informationsgehalt des Artikels erfahre ich auch persönliche Interessen des »Freundes« (um es im Facebook-Jargon zu sagen), und kann so Anknüpfungspunkte finden, auf die ich bei der Lektüre des Wochenmagazins Profil nicht gestoßen wäre. Eine besondere Aufmerksamkeit muss man den Informationen widmen, die in einem konkreten Zusammenhang zu einem wirtschaftlichen Wirken stehen. Aus Sicht einer Privatperson könnte das die Recherche vor einer größeren Anschaffung stehen. Im Netz finden sich technische Informationen aller Produkte, die in den meisten Fällen für den Laien nicht aussagekräftig sind. Die Webseiten der Hersteller sind Marketing-Instrumente, zusätzliche Quellen sind erforderlich, um eine Bewertung vornehmen zu können. Auch hier stellt sich die Frage: »Wem vertraue ich?« Wann immer kommerzielle Interessen im Spiel sind, muss man die Seriosität der Quelle und der dortigen Information hinterfragen. Die Einfachheit, Information mittels Internet zu verbreiten, kann auch missbraucht werden, und so wundert es nicht, dass es mittlerweile Agenturen gibt, die positive Produktbewertungen in verschiedenen Bewertungsportalen als Dienstleistung anbieten. Also ist es auch in diesem Fall das Beste, wenn es einen »echten« Freund gibt, der einem weiterhelfen kann – da ist die Gefahr am geringsten, dass seine Meinung gekauft ist. Leider habe ich nicht genügend davon, um alle Produktgruppen abzudecken. Franz Knipp ist 36 Jahre alt, Vater zweier Kinder und leitender Software-Entwickler in Wien. www.m-otion.at
Deine Freunde und Software
Wie wir heute Twitter und Facebook nutzen, stellt bereits die Verteilungsmechanismen von Aufmerksamkeit auf den Kopf, ist aber erst eine zarte Vorahnung dessen, was noch kommt: Die vielen Feeds, die unser soziales Umfeld absondert, werden intelligent nach Vorlieben gefiltert und durchsuchbar sein, sie werden automatisch gewichtet und so zu einer echten, sekundenaktuellen Tageszeitung aufbereitet werden, mit einer Auflage von eins und Inhalten, die sich selbst an den Aufenthaltsort anpassen. Es war noch nie so wichtig wie heute, wer deine Freunde sind. Sie sind die Redaktionskonferenz, die die Frontpage deiner persönlichen Tageszeitung zusammenstellt, der Schlüssel zum Umgang mit der Infoflut. Helge Fahrberger, 37, lebt, arbeitet (Toursprung.com), bloggt (www.helge.at) und unterrichtet in Wien. Letzteres als Lehrbeauftragter am Publizistikinstitut (Kobuk.at/about).
Neue, selbst ernannte Info-Elite
Die Informationsfilter der Zukunft werden Evolutionen der heutigen sein: Das Filtern wird eine zunehmend stärkere soziale Komponente bekommen. Und wie auch eine koreanische Studie über Retweets zeigt, wird die kollektive Intelligenz der Internetuser nicht nur sicht- und nutzbarer werden, sondern meines Erachtens nach auch auf andere Bereiche übergreifen und sich somit zwangsläufig unverzichtbar machen. Es wird weitaus mehr 3rd-Party-Software wie etwa Tweetdeck verfügbar sein, um verschiedene Netzwerke und Feeds einfacher organisieren und bedienen zu können. Die zehn Prozent der User, die nach der bekannten Faustregel im Netz interagieren statt nur zu konsumieren, werden als Filterinstanz für soziale und interessensspezifische News an Gewicht und Einfluss gewinnen. Ob eine Demokratisierung der Informationsfilter zu mehr Qualität führt, gilt es zu bezweifeln. Es bleibt in der Verantwortung des Einzelnen, zu selektieren und nicht blind einer neuen, selbsternannten Informationselite zu folgen. Marlis Rumler, 34, ist Geschäftsführerin bei uboot.com, der ersten deutschsprachigen Web-Community. Sie twittert oft und gerne und ist so gut wie immer online.
Menschen lesen Menschen
Information ist eine Droge. Social Media ist unser Dealer. Widerstand ist zwecklos und wir können der Sucht nur mit kontrolliertem Konsum begegnen. Die Menschheit erzeugt Information mit exponentieller Zuwachsrate und wir reden hier nicht von dem Wissen, das Wissenschafter in ihren jeweiligen Teildisziplinen schon längst nicht mehr vollständig erfassen können. Auch Politik, Sport, Kunst, popkulturelle Trivialitäten, etc. nehmen sich gegen den Informationsstrom Social Media wie Sandburgen in der Wüste aus.
Die Droge wird in diesem Perpetuum Mobile von den Konsumenten selbst erzeugt. Jeder publiziert, egal ob in elaborierten Artikeln und Blogposts oder in schnellen Tweets und Statusupdates. Sogar der Aufenthaltsort wird freiwillig mitgeteilt. Seit die Menschheit vor einigen Jahren begonnen hat den Alltag in Wort, Bild, Audio und Video zu dokumentieren, um diese Erfahrungen mit dem jeweiligen sozialen Netzwerk zu teilen, nimmt die Zahl der persönlichen Informationsversorger in unüberschaubarem Ausmaß zu. In Social Media ist jeder Medium. Will man diesen Datenstrom bewältigen, heißt der einzige Filter selektive Enthaltsamkeit, die sich durch die qualifizierte Unterscheidung der Quellen von Push und Pull auszeichnet. Wer mir (zeit)kritische Information liefert, verdient es Push-Kanal zu sein, mit dem Privileg ungefragt Dinge zustellen zu dürfen gemäß den geflügelten Worten: »If the news is that important, it will find me.« Der Rest wird einfach auf Pull geschaltet, d. h. je nach Zeit, Bedarf und Laune kann in diesen Quellen gebrowst oder einfach gezielt gesucht werden. Die Angst etwas zu verpassen, ist sowieso eine Illusion. Denn im Internet ist alles gespeichert. Für immer. Früher hatten wir halt nur keine Computer, um reinzukommen. Niko Alm, 35, ist Geschäftsführer im Super-Fi Mikromischkonzern (mikromischkonzern.eu) und microbloggt unter @NikoAlm.
Das »Like«-Dilemma
Auf Facebook »liken« Millionen Menschen Neuigkeiten aus der Ecke »Sex, Tod und putzige Tiere«. Das ist der Grund, warum sich Spam dort besonders schnell verbreitet. Gleichzeitig basiert das System der Suchmaschine Google auf der Popularität von Inhalten. Google verstärkt also das Populäre, den Mainstream und stellt alternative Meinungen hinten an. Schleichen sich Empfehlungen von Facebook-Freunden und aus dem weiteren »persönlichen Netzwerk« im Internet in diese Ergebnislisten – und das tun sie gerade – würde das quasi bedeuten, dass man zu bestimmten Themen nur noch das serviert bekommt, was die eigenen Freunde witzig finden und mögen. Eine deutlichere Bestätigung für die These vieler Wissenschaftler, im Internet fände man doch keine brauchbaren Informationen, könnte es kaum geben. Natürlich hat das Social Web auch seine Vorteile bei der Informationssuche. Während Suchmaschinen eine Weile brauchen, um Neuigkeiten in ihre Datenbank aufzunehmen, verbreiten sich Informationen über Twitter in Sekundenschnelle. Dass dieser Art verbreiteten Neuigkeiten nicht immer getraut wird, zeigen die diversen Verschwörungstheorien, mit denen auf viele Schlagzeilen der vergangenen Monate reagiert wurde. Wenn die Quelle auf Twitter einen Spitznamen wie ein Pokemon trägt, ist das kaum verwunderlich. Die Lösung für diese Dilemmata ist noch nicht gefunden, aber immerhin, es gibt ein paar interessante Ansätze. Einer davon ist es, Google dazu zu zwingen, ihre Infrastruktur bereit zu stellen. Andere Anbieter könnten dann auf die von Google indexierten Datenmassen zugreifen und eigene Methoden zur Sortierung von Informationen entwickeln. Klingt absurd? Ist es aber nicht: Am Telekommarkt ist das Öffnen von Netzen für die Konkurrenz Gang und Gäbe. Gleichzeitig muss ein brauchbares Metadaten-System für Inhalte entwickelt werden. Eines, das nicht so leicht manipuliert werden kann. Hier könnte das soziale Netz tatsächlich sinnvoll helfen. Solche Metadaten könnten auch der Idee des Semantic Web wieder Auftrieb geben. Sara Gross, 27, ist Ressortleiterin Tech bei DiePresse.com und schreibt für Die Presse am Sonntag über Internet, Technik und Spiele.
Curated Content wird derzeit zum Schlagwort in den Marketing-Abteilungen und immer mehr Unternehmen und Marken beginnen zu verschiedenen Zwecken nun auch als Content-Lieferanten aufzutreten. Fast zwangsweise herrscht dort Aufbruchsstimmung und man blickt positiv nach vorne. Beinahe überall anders aber scheint der Blick in die nähere Zukunft unserer Informationsgesellschaft eher Sorgen zu bereiten. Ängste und Befürchtungen werden ausgedrückt – nicht zuletzt in den Medien, die ihrerseits kein Geschäftsmodell zu finden scheinen, das ihr Fortbestehen sichert, damit sie die Funktion des Filterns und Aufbereitens von Information für uns weiter gewährleisten können. Wie soll man sich im ständigen Strom vermehrender Informationen und Daten überhaupt noch zurechtfinden? Wie können wir sichergehen, dass für uns wichtige und relevante Informationen ankommen? Wem sollen wir vertrauen, für uns vorzufiltern? Überlassen wir das global agierenden Unternehmen wie Google, müssen wir selbst einen Algorithmus schreiben oder reicht es gar, sich auf das soziale Umfeld (Facebook oder offline) zu verlassen? Und letztlich: Wie sollen wir den ganzen Informationsmüll, der uns umgibt, entsorgen oder endlagern?
Es ist ein Faktum, dass sich vorhandene Information laufend vermehrt – und dazu kann man eigentlich alles zählen: berufsbezogene Daten, Unterhaltung und private Kommunikation. Ebenso vermehren sich aber auch die (digitalen) Kanäle, über die wir auf diese Information zugreifen bzw. diese an uns herantritt. Echter Anlass zu Sorge muss das alles aber trotzdem nicht sein. Wir werden nichts Wichtiges verpassen, müssen uns aber wohl spätestens jetzt von der Illusion verabschieden, Überblick bewahren zu können. Vollständigkeit wird in diesem Sinne aus unserem Vokabular und unseren Köpfen als Kategorie verschwinden. Eigentlich beruhigend.
Am 22. Juni 2011 wird im Rahmen von twenty.twenty, einer Veranstaltungsreihe von A1 und The Gap, im Wiener Hub zum Thema »Social Information Managing. Wie wird die Gesellschaft in Zukunft mit Information umgehen?« diskutiert. www.twentytwenty.at