Ob Superstar oder Punkband – Künstler*innen veröffentlichen Musik wieder auf Kassetten. Auch in Österreich kurbeln Tape-Heads mit DIY-Ethos an den Spulen. Ein Überblick im Grundrauschen.
Was haben Billie Eilish, die neue Staffel von »Stranger Things« und ein Sonderangebot bei Eduscho gemeinsam? Sie alle sorgen dafür, dass sich Spulen wieder drehen, denn: Die Kassette feiere – neben Vinyl und CD – ein Comeback. Heißt es seit mehreren Jahren von Punkbands wie Major-Labels, in Blockbustern und Serienschmafu – neben Filterkaffee und Leinenpyjamas. Warum posen aber plötzlich 14-jährige Influencer*innen mit Musikmedien, die älter sind als ihre Eltern? Wieso stauben immer mehr Mittdreißiger ihre Kassettensammlung aus Kindheitstagen ab? Und wer sorgt eigentlich dafür, dass immer noch neue Tapes erscheinen? Fragen, für die man in Wien schnell Antworten erhält, sobald man sich in dessen Tape-Szene umhört. Eine Szene, die aus einzelnen Personen, kleinen Labels und einem gedanklichen Überbau besteht: Do it yourself – mach’s einfach selbst!
»Kassetten sind im Vergleich zu Schallplatten oder CDs billig und vor allem einfach zu bespielen«, sagt Mel. Gemeinsam mit Tony betreibt die akademische Wissenschaftlerin seit 2019 das Wiener Tape-Label Tender Matter – eine »natürliche Erweiterung unserer Veranstaltungsreihe The Future, die sich auf experimentelle elektronische Musik und queere Artists konzentriert«. Weil sich die Geschichte im Kreis bewege, sei es nur logisch, dass Kultobjekte wie die Kassette ihre Aura aus der Vergangenheit bewahren konnten und in der Gegenwart erneut auftauchen. »Es ist ein Objekt, das für Underground und Anti-Mainstream-Musik steht«, so Mel. »Deshalb interessieren sich immer noch Menschen für Kassetten, selbst wenn digitale Angebote längst einfacher, billiger und in höherer Qualität zu haben sind.«
Underground-Recycling
Mit diesem Argument kann auch Andreas Haslauer etwas anfangen. Seit 2009 veröffentlicht der gebürtige Linzer über sein Non-Profit-Label Epileptic Media vor allem Kassetten. Er überspielt dafür »Underground-Musik aus Österreich, Jazz, No Wave, Noise-Rock, Tape-Loop-Wahnsinn oder hinnige Live-Mitschnitte«. Vor über zehn Jahren sei die Kassette ein Medium gewesen, das niemand gebraucht habe. »Für die meisten Menschen waren die Dinger Müll, für mich erfüllten sie hingegen eine Form des Recyclings, weil man sich kreativ ausleben konnte, ohne viel Geld auszugeben.« Haslauer habe deshalb permanent Flohmärkte nach Sammlungen durchstöbert, die er für ein paar Euro zusammenkaufte. »In dieser Zeit hat sich meine Liebe zur Kassette entwickelt. So ein aufgewickeltes Band, auf dem die Musik drauf ist, das fand ich schon cool.«
Mittlerweile hat Haslauer auf Epileptic Media dutzende Tapes veröffentlicht. Etliche davon sehen nicht nur unterschiedlich aus, sie klingen auch innerhalb einer Edition anders, weil er alte Kassetten selbst mit neuer Musik überspielt. Schließlich gibt es unzählige Typen von Tapes, ein unüberschaubares Sammelsurium aus über 50 Jahren Kassetten-Geschichte. »BASF, Maxell und die von TDK waren damals meine Favoriten«, so Mel von Tender Matter. »Ich hatte kistenweise grob bespielte Mixtapes, alle voll mit Synth- und Postpunk-Songs in rauschiger Qualität, trotzdem liebte ich sie.«
Was früher Markennamen waren, sind heute Farben und Drucke der Kassetten. Bei größeren Herstellern wie T.A.P.E. Muzik aus Deutschland strahlen sie in der ästhetischen Bandbreite eines LSD-Trips. Neu, unbespielt, auf Wunsch sogar mit individueller Bedruckung – und zu einem Stückpreis, für den man an der Bar nicht mal mehr ein Seidel Bier bekommt.
Ein pragmatischer Grund, der Tapes gerade für Musiker*innen aus dem sogenannten Underground interessant macht. »Mensch kann sich Kassetten noch leisten, weil man sie – im Vergleich zu einem Vinyl-Release – zu Hause in kleinen Auflagen überspielen und fertigstellen kann«, sagt Dominik Pilnáček. Zusammen mit Raphael Fürli spielt er in der Metalpunk-Band Parasite Dreams und betreibt seit 2019 das Tape-Label Urban Lurk. »Die zentrale Idee ist, lokale Szenen und Subkulturen zu supporten und zu verknüpfen. Die meisten Veröffentlichungen überspielen wir auf drei Kassettendecks selbst. Anschließend produzieren wir das Cover oft mit der jeweiligen Band«, so Pilnáček. Ein Do-it-yourself-Ansatz, bei dem jedem Hornbach-Kunden Tränen über die Arbeitsbrille kullern. Und einer, der sich seit den Anfängen der österreichischen Kassettenszene nicht verändert hat.
Wolfgang »Fadi« Dorninger war einer der Protagonist*innen der ersten Welle der »Cassette Culture« in Österreich. In den 1980er-Jahren produzierte er in Bands wie Monochrom Bleu, Josef K. Noyce oder Wipeout u. a. kaputten Krach in einem Linzer Wohnzimmer. Damit war der Mann mit der Statur eines Footballspielers musikalischer Außenseiter, der in der oberösterreichischen Landeshauptstadt nur auf Leute traf, die »irgendwas mit Post-Frank-Zappa« machen wollten. Die Welt der Kassetten sei dagegen eine Art Zufluchtsort gewesen – »ein Randphänomen im Randphänomen, das sich in einer Nische eingenistet hatte, die in DIY-Kreisläufen ablief«, so Dorninger. Zusammen mit selbst gestalteten Fanzines und Briefen gingen seine Kassetten-Compilations wie »Fadi the Sampler Linz« und »Tape Report« in Kleinstauflagen um die Welt und schufen ein wachsendes Netzwerk aus Künstler*innen und Musiker*innen.
Linz entwickelte sich unter Dorninger zu einem Knotenpunkt für die Nischenkultur der Kassettist*innen. »Unsere Gebote lauteten: ›Tu es selbst, vernetze dich, beschränke dich auf kein Medium, verweigere jede Form von Einschränkung und erweitere immer deinen Handlungsraum‹«, so Fadi. Teilnehmen konnten alle, Teil der »Cassette Culture« sei man allerdings erst gewesen, wenn man Kontakt zu anderen aufnahm und diesen auch hielt. Fanzines waren die Eintrittskarte, das Internet steckte noch nicht mal in piepsenden 56k-Modems. Trotzdem konnte Kassettenvernarrte wie Dorninger weltweit – gleich einem Schneeballprinzip – Tapes, Postkarten, Poster und weitere Fanzines austauschen. »Wenn ich ein Tape aus den USA bekam und es gefiel mir, ging eines von mir retour. Der Kontakt war unsere Währung. Ein paar Worte der Anerkennung die Bezahlung.«
Sharing is caring
Ein Ansatz, der 40 Jahre später und lange nach der Verbreitung des Internets noch immer funktioniert. Und weiter auf Zuspruch stößt, selbst wenn dafür schon länger keine handgeschriebenen Briefe um den Globus flattern. Dominik Pilnáček von Urban Lurk nimmt in den letzten Jahren einen Boom im Kassetten-Underground wahr. »Es wird getauscht, gedubbt und verschenkt. Natürlich wird auch verkauft, es geht aber hauptsächlich darum, die Produktionskosten für Tapes und Covers wieder reinzubekommen.« Schließlich verfolge man mit Labels wie Urban Lurk ausschließlich die Liebhaberei. Kassetten veröffentliche man nebenbei, abhängig von zeitlichen Ressourcen und finanziellen Möglichkeiten.
Das umschreibt den prekären Spirit der DIY-Kultur, in ihr weht die Attitüde des Untergrunds, eine von Idealismus getragene Überzeugung, die im Grundrauschen der Bandsättigung aufgeht und die Kassette über all die Jahre am Leben hielt. Dass mittlerweile Superstars wie Adele, Billie Eilish oder Lady Gaga ihre Alben auch auf Tape veröffentlichen, lässt sich trotzdem nicht direkt auf die Schrulle des kollektiven Nischenspulens zurückführen. Es geht vielmehr um einen popkulturellen Trend, der Menschen vom ersten Milchzahn bis zur letzten Kukident-Tablette anspricht und zu einem globalen Trend geführt hat.
Fetisch Nostalgie
Schließlich weiß jede Person, die alt genug ist, um sich an den letzten Hit von N’Sync erinnern zu können, was eine Kassette ist. Alle anderen erinnern sich inzwischen an eine Vergangenheit, die sie nie erlebt haben – durch Geschichtsprothesen wie Filme, Serien, soziale Medien oder Musik. Unsere Welt ist voll von Vergangenheit. Wir leben in ihr, weil wir darin etwas zu finden glauben, das die Gegenwart nicht bietet: Stabilität und Zuverlässigkeit. Das mag man als radikale Romantisierung abtun, aber: Der Drang zur Erinnerung hat sich während der Pandemie noch verstärkt. Die Abschottung in Verbindung mit digitaler Distanz und einer generellen Unsicherheit hat uns alle nach Dingen suchen lassen, die Sicherheit suggerieren. Dinge, die man mit einem bestimmten Gefühl verbindet. Dinge, die in der Vergangenheit für Beständigkeit sorgten. Und Dinge, die man nie selbst benutzt haben musste, um sie sich neu entdeckt anzueignen.
»Es geht um Retro-Fi statt Sci-Fi«, sagt Marie Vermont. Als Künstlerin veröffentlicht sie in Wien Musik und Geräusche auf eigenen und anderen DIY-Labels, setzt visuelle Arbeiten um und druckt Bilder. Für Vermont werde gerade durch Retrospektive versucht, Kaufpotenziale zu gewinnen – mithilfe rückwärtsgewandter Emotionen einer Vergangenheit, die es nie gegeben habe. Eine Serie wie »Stranger Things«, die zeitlich in den 80er-Jahren angesiedelt ist und popkulturelle Phänomene des Vergangenen repräsentiert, trägt dazu bei. Kate Bushs Song »Running up That Hill« schob sich nicht wegen, sondern trotz seiner Darstellung im Kassettenformat erneut in die digitale Boombox der Gen Z. Den Grund, weshalb sich immer mehr junge Leute nach »dem Objekt« sehnen, vermutet Mel von Tender Matter folglich in einem scheinbaren Verlust. »Wir vermissen die Aura, den Fetisch, die originellen Covers und ihre Greifbarkeit. Was ist der Reiz einer riesigen MP3-Bibliothek? Es gibt keinen, denke ich.«
Einer, der schon länger nicht mehr durch digitale Playlists shuffelt, ist Lukas Löcker. Mit »Tape That« widmet der Linzer Multimediakünstler der Kassette sogar eine Radiosendung. Auf Radio FRO, dem freien Radio aus Linz, hostet er ein monatliches Format, bei dem Künstler*innen ihre Lieblings-Tapes spielen und mit ihm darüber sprechen. Die Affinität zu analogen Musikträgern führt er auf seine Kindheit zurück: »Ich hatte Kinderkassetten, zum Beispiel vom ›Dschungelbuch‹«, so Löcker. »Außerdem hab ich schon früh Fantasiesongs oder fiktive Radiosendungen mit meinem kleineren Bruder aufgenommen.« Dass er Tapes viele Jahre später wiederentdeckt habe, sei aber dem »Umweg über Vierspur-Magnetbänder geschuldet«. Als Künstler benutzte Löcker in seinen Installationen Bandmaschinen. Er begann, die alten Kompaktkassetten seiner Kindheit auszugraben. »Etwas, das mich zu meiner heutigen Radiosendung inspirierte.«
Das ist keine Ausnahme. Fragt man in der Wiener Tape-Szene nach, woher das persönliche Interesse für das Format kommt, hört man immer wieder: aus der Kindheit. Sei es die Erinnerung an Autofahrten mit Kassettenradio bei Marie Vermont oder das Hören von Pumuckl-Hörspielen zum Einschlafen bei Andreas Haslauer, selbst aufgenommene Radioshows bei Raphael Fürli von Urban Lurk oder das Diktiergerät als Weihnachtsgeschenk bei Tony von Tender Matter. »Tapes waren immer irgendwie da«, sagen alle, die heute noch mit Tapes herumbasteln und welche veröffentlichen. Mittlerweile sind sie Identifikationsmerkmal einer Subkultur. Und Prestigeobjekt für jene, die damit einfach nur ihr Insta-Game zocken. Wer beim letzten Deal von Eduscho zugeschlagen hat, kann der »akustischen Wärmeflasche«, wie Marie Vermont zum Abschluss so schön sagt, auch endlich wieder lauschen.
Alle erwähnten Labels und Künstler*innen finden sich auf Bandcamp. Dort kann man ihre Tapes kaufen und den organisierten Underground vor Billie Eilish beschützen.