Seit 3. September 2010 fährt in Wien an Wochenenden und vor Feiertagen die Nacht-U-Bahn. Im Fünfzehn-Minutentakt bringt sie Nachtschwärmer quer durch die Stadt an ihr Ziel. Die extra eingesetzten uniformierten Ordnungshüter sind schon wieder passé, von Übergriffen oder vermehrten Gewalt- und Drogendelikten wird nicht berichtet. Nur ein per Handy gefilmter Koitus sorgte in den Medien […]
»Ein wesentlicher Schritt in Richtung Metropole!«
Die Einführung der Nacht-U-Bahn stellt einen kleinen, aber wesentlichen Schritt Wiens in Richtung europäischer Metropole dar. Wiens Partyszene wird in letzter Zeit nicht selten in einem Atemzug mit Städten wie Berlin genannt. Die anfängliche Befürchtung mancher Veranstalter, die Partys würden dadurch möglicherweise noch später beginnen, hat sich meiner Erfahrung nach nicht bewahrheitet. Diese schienen ohnehin schon längst unabhängig von den U-Bahn-Zeiten zu sein.
Anna Leiser, 26, ist DJ, Musikerin und Veranstalterin (Resolut).
„Die Nacht wird länger“
Es war klar, dass die Einführung der 24-Stunden-U-Bahn Auswirkungen auf die nächtliche Mobilität vor allem junger Leute haben würde. Mit dem dann erzielten Effekt hätte aber niemand gerechnet: Die Anzahl der Fahrgäste in den Öffis hat sich bereits an den ersten Wochenenden im Vergleich zu Nachtbus-Zeiten verdreifacht. In jeder Nacht vor einem Samstag, Sonntag oder Feiertag fahren jetzt im Schnitt über 40.000 Menschen mit der U-Bahn.
Dieser enorme Anstieg an Fahrgästen zeigt zweierlei: Zum Einen ist man in der Nacht mit dem Viertelstunden-Intervall der U-Bahnen viel flexibler als man bei den halbstündlich verkehrenden Nachtbussen war; zum Zweiten bietet das U-Bahn-Netz bekannte Wege, also keine Umstellung auf ein im Kopf weniger verfestigtes Nachtbus-System. Es sind also nicht unbedingt mehr Menschen in der Nacht unterwegs, aber zwischen den Locations wird viel mehr geswitched. Das macht die Nacht in Wien in den Clubs und Bars und auch in den Öffis selbst um einiges lebendiger.
In anderen Städten hat die Einführung der 24-Stunden-U-Bahn auch gezeigt, dass sich die Club- und Veranstalterszene umstellt. Partys und Konzerte fangen später an, die Nacht wird buchstäblich länger. Eine Entwicklung, die man für Wien für die nächsten Monate und Jahre auch erwarten kann.
Answer Lang, 34, Kommunikationschef der Wiener Linien
„Die 24h U-bahn bringt’s“
Offenbar haben die Wiener Linien eine tatsächliche Bedarfslücke gefüllt, indem sie, den durchgehenden Betrieb auf den U-Bahnlinien von Freitag auf Sonntag und vor Feiertagen eingeführt haben. Am deutlichsten profitieren davon offensichtlich all jene Ausgehfreudige, die mit dieser Mobilitätsmöglichkeit ohne Parkplatzsorgen oder Bedenken in Bezug auf Verkehrstüchtigkeit für das Lenken von Kraftfahrzeugen ihre Locations anfahren können. Junge Leute sind „nachtaktiv“. Davon zeugen vielerlei Umfragen, die die Lebensweisen junger Menschen in Österreich genauer unter die Lupe nehmen. Laut Auskunft der Wiener Linien zählen immerhin 90% aller Fahrgäste am Wochenende zu den Ausgehfreudigen. Außerdem wird die U-Bahn von deutlich mehr Fahrgästen genützt, als man ursprünglich annahm – es sind etwa doppelt so viele wie erwartet! Kann man auch über die Altersgruppen noch nichts Genaues aussagen, da noch keine diesbezüglichen Statistiken vorliegen, so stellen doch die Erfahrungen von Taxifahrern und Klubbesitzern fest, dass die Passagiere vorwiegend der jüngeren Altersgruppe (bis ca. 25) angehören dürften. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Vernetzung mit den Nachtbussen („Nightliner“), vorausgesetzt, die Verbindung stimmt zeitlich. Da dürfte laut Auskunft von Jugendlichen noch einiges an „Nachbesserung“ nötig sein.
Derzeit gibt es noch keine repräsentativen Umfragen bei den jungen Nutzern der Nacht-U-Bahn, die über Einstellungen dazu Auskunft geben. Sieht man sich aber in den Chatrooms der Sozialen Netzwerke um und „twittert“ ein wenig, dann bekommt man eine durchgehend positive Atmosphäre widergespie¬gelt.
Einer Studie im Auftrag des Verkehrsministeriums ist zu entnehmen, dass sich junge Leute oft unter der Woche als „Beförderungsfall“ bei den Öffis empfinden, etwa auf dem Weg zur Schule oder zur Lehre. Hier beim Nachtbetrieb, wo man mehrheitlich unter Peers in Ausgehlaune verkehrt, scheint dieses Empfinden nicht vorzuherrschen. Aggressionen oder Alkoholexzesse dürften keinen Platz im nächtlichen U-Bahngeschehen haben, davon zeugen Berichte der Wiener Linien, die in den vier Monaten seit Einführung des Betriebes noch kaum mit unangenehmen Vorfällen konfrontiert wurden – gute Laune steckt eben an.
Christine Chaloupka-Risser & Ralf Risser, 54 & 62, FACTUM OHG, Verkehrspsychologen
„Aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu hinterfragen“
Die Mehrheit der Wiener Bevölkerung hat sich für die Verlängerung der Betriebszeiten der U- Bahnen am Wochenende ausgesprochen. Dieser Wunsch wurde umgesetzt. Für das Wiener Taxigewerbe bedeutet dies, dass das Fahrtenvolumen um rund 10 % zurückgegangen ist – eine schmerzliche Auswirkung. Die Kunden, insbesonders junge Kunden, nutzen nun die freie Fahrt mit den U-Bahnen, wobei sich bei den Endstellen der U- Bahnen ein neuer Markt entwickelt. Wenn in einem Taxi 4 Personen fahren und man den Fahrscheinpreis von Euro 1,80.- pro Person (4 X Euro 1,80= Euro 7,20.-) vergleicht, ergibt sich oft keine Ersparnis. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist zu hinterfragen, ob sich die Betriebszeitenverlängerung für die Wiener Linien und die Stadt Wien rechnet, oder die Steuerzahler die zusätzlichen Betriebskosten bezahlen müssen.
Christian Gerzabek, 53, Kommerzialrat und Obmann der Fachgruppe für die Beförderungsgewerbe mit PKW (Taxiinnung.)
»Der nächste Schritt müsste sein, die rigide Sperrstundenregelung zu überdenken«
Der 24-Stunden-Betrieb der Wiener Linien freut uns vom Fluc sehr. Das Plus an Lebendigkeit und Großstadtfeeling auf der Suche nach der besten Party, dem spannendsten Konzert oder der interessantesten Kunst-Performance in der Stadt kann von unserer Seite nur begrüßt werden. Fakt ist, dass die Leute an Wochenenden noch später kommen als bisher, dafür bleibt aber der Zustrom an Besuchern beständig über die ganze Nacht hindurch bestehen. Letztlich sind alle Veranstalter nunmehr noch mehr gefordert, den mobilen Partyhoppern Topacts und besten Sound zu bieten, um sie zum Verweilen zu bewegen. Dieses Bemühen und dieser damit einhergehende weitere Qualitätsschub in der Wiener Clubszene zeichnet sich meiner Meinung nach bereits ab und wird auch noch verstärkt zur Geltung kommen. Das Fluc als Location, die direkt an zwei U-Bahnen und der Schnellbahn liegt, hat mit dieser Zusatzleistung sicherlich gewonnen. Der nächste Schritt der Stadtregierung müsste jetzt sein, die rigide Sperrstundenregelung zu überdenken und schlussendlich ebenfalls zu liberalisieren. Die von oben verordnete 4.00 bzw. 6.00 Uhr Ausnahmegenehmigung erscheint unter diesen neuen Voraussetzungen wie ein Relikt aus den 50er Jahren. Wer A sagt, darf auch B sagen… Martin Wagner, 41, Künstler, Kurator und Mitbegründer und -Betreiber des Fluc und der Fluc_Wanne am Wiener Praterstern.
Seit 3. September 2010 fährt in Wien an Wochenenden und vor Feiertagen die Nacht-U-Bahn. Im Fünfzehn-Minutentakt bringt sie Nachtschwärmer quer durch die Stadt an ihr Ziel. Die extra eingesetzten uniformierten Ordnungshüter sind schon wieder passé, von Übergriffen oder vermehrten Gewalt- und Drogendelikten wird nicht berichtet. Nur ein per Handy gefilmter Koitus sorgte in den Medien für kurze Erregung, großteils für Lacher. Die Nacht-U-Bahn bietet dabei nicht nur für Jugendliche einen Mehrwert, sondern auch für Club- und Barbetreiber. Glaubt man zumindest. Da die Besucher nun nicht mehr nach Betriebsschluss mit dem Taxi kommen, sollten sie auch mehr Bares haben, das sie in der Location ihres Vertrauens ausgeben können. Das wäre logisch. Dass Menschen nicht immer von Ratio getrieben werden, ist das andere. Lockten die Veranstalter bisher ihre Besucher mit ermäßigtem Eintritt vor Mitternacht, kommt es nun immer öfter vor, dass die Tanzflächen bis zwei Uhr Früh fast leer bleiben. Dafür geht es danach vor den Türen oft turbulent zur Sache, da sich das Vorglühen daheim um ein bis zwei Stunden verlängert und somit der Heiterkeitsspiegel und die Selbstüberschätzung der Besucher steigen. Ist der Rausch dann doch heftiger als geplant, bringt einen das Taxi doch noch am sichersten nach Hause. Aber reichen den Taxilenkern diese Einkünfte in Anbetracht etwaiger Gewinneinbußen? Auf jeden Fall ist die 24-Stunden-U-Bahn ein kleiner Schritt in Richtung internationaler Metropole. Die Eingewöhnungsphase ist bald vorbei, doch wie gravierend sind die Auswirkungen der Nacht-U-Bahn wirklich?