Die Spieleindustrie liefert uns in immer kürzeren Abständen neue Versionen unseres gerade erst zerstörten Planeten. Offenbar scheint unser Untergang bei den Spielenden gut anzukommen.
Gleich, nachdem in Japan ganz überraschend das Vorhersehbare passiert ist, waren die Redensführer politischer Korrektheit am überlegen, was wir denn nun erst einmal nicht mehr dürfen. Einige »Simpsons«-Folgen wurden aus den Programmen genommen – immerhin verschuldet Homer ab und an im Alleingang kleinere und größere atomare Katastrophen. Und dem Netz war die Info zu entnehmen, der Release des neuen »Motorstorm«-Titels »Apocalypse« würde verschoben. Tatsächlich ist der Fun-Racer nun aber doch seit Ende März im europäischen Handel; nur der Japanstart wurde um eine relevante Zeiteinheit verschoben. Schwer zu sagen, ob derlei Korrektheiten bewusst promotiontechnisch genutzt werden können. Fakt ist, dass unser zukünftig zerstörter Planet als Setting für Bildschirmspiele großen Anklang findet
Ästhetisches
Wenn in »Motor Storm: Apocalypse« irrsinnige Rennfahrer auf ihren Offroad-Vehikeln durch zerstörte Großstädte brettern, kann die Postapokalypse nahezu nur Ästhetisches beisteuern. Spieltechnisch war hier ja schon der Unterschied zwischen Felsstrukturen (»MotorStorm: Monument Valley«) und tropischen Insellandschaften (»MotorStorm: Pacific Rift«) wenig spürbar. Anders war jedenfalls die Atmosphäre; und die postapokalyptische Stimmung ist eine ganz besondere. Schon dicht an der Oberfläche, an der Fassade einer Endzeit-Konstruktion, ist Reizvolles zu erkennen: Angekohlte, verbogene Skelette von Gebäuden, die vor ihrer Zerstörung als Inbegriff der sterilen Glätte der Moderne betrachtet werden konnten. Totenstille auf jenen Plätzen der niemals schlafenden Großstädte, auf welchen momentan geschäftiges Treiben in Dauerschleife läuft. Und in den Rissen im Asphalt beginnt die Fauna mit der Rückeroberung des Terrains. Derart vom Trubel verlassene Standbilder unseres Untergangs sind das pathosschwangere memento mori unserer Kultur. Und an selbiges knüpfen sich verschiedenste ideologische Hirngespinste.
Doch zurück zum Anfang: Als Electronic Arts die Spielenden 1987 mit »Wasteland« erstmals in ein postapokalyptisches Umfeld stieß, war von oben genannter Ästhetik noch wenig zu spüren. Die Gruppe von Desert Rangers, die es zu steuern galt, war eine eckige Figur in eckigem Umfeld, die Häuser erinnerten an erste perspektivische Zeichnungen aus der frühen Schulzeit und das sengende Flirren der Wüste erreichte die Wahrnehmung der Spielenden durch die Textzeile »It’s VERY hot!«. Trotzdem wird bis heute von »Wasteland« geschwärmt und das Spielsetting hat in Titeln wie »Fountain Of Dreams« und der »Fallout«-Reihe seine inoffiziellen Fortsetzungen gefunden. Seither kann der Genre-Nachwuchs nur noch schwer überblickt werden und hat an Buntheit gewonnen: Von dunklen Straßenschluchten, wie sie in »Infamous« und »Prototype« durchwandert werden, bis hin zu nahezu fröhlich anmutenden Versionen der naturgeprägten Postapokalypse in »Enslaved« – gemeinsam haben diese Welten ihre einsamen Krieger, die zwar häufig auf Leben, aber nur selten auf Wohlwollen treffen.
Ein etwas verklärter Romantizismus darf all dem schon entnommen werden. Denn wenn der Mensch fern aller Zivilisation – einem einsamen Wolf gleich – durch die Landschaften zieht, dann kann neben dem Wilden Westen durchaus auch an Jean-Jacques Rousseau gedacht werden, der uns Menschen anriet, uns doch der Wurzeln des Daseins zu besinnen, um uns – quasi vom Baum herunter – unserem Überlebenskampf zu widmen.
Ideologisches
Und damit wären wir wieder zurück beim ideologischen Ansatz. Dass einige Kulturpessimisten und diverse dem präpotenten Westen feindlich gesinnte Interessensgruppen dem Ende unserer Gesellschaft recht vorfreudig entgegenblicken ist kein Geheimnis. Und selbst wenn es nicht immer so gemeint ist, dürfte der »Geschieht-uns-eh-recht«-Gedanke den Reiz futuristischer Horrorvisionen schon noch erhöhen. In diese Kerbe schlägt vor allem die bereits erwähnte »Fallout«-Reihe. Neben einer ganzen Sammlung boshafter Witze (»I once visited a crematorium where they gave discounts to burn victims.«) liegt hier ein Zynismus über der gesamten Szenerie, der kaum gute Haare an unserer Gesellschaft lässt. Vor allem jene NPCs (nichtspielbaren Charaktere), die sich in die Welt vor den Atomkrieg zurückträumen, frönen einem Ideal der Spießigkeit, dass vielmehr an das Setting eines »Nightmare On Elm Street«-Sequels erinnert als an die heile Welt. Ähnlich wie in genreverwandten Filmen lehrt uns die Handlung der »Fallout«-Spiele schnell, allem zu misstrauen, was nach Ordnung und System riecht. Stößt man auf ein übrig gebliebenes Hochhaus, in dem betuchte Überlebende einem abgesicherten Leben /wie damals/ frönen, so stößt man dort auch auf den despotisch herrschenden Hausherren, der alles hasst und fürchtet, was jenseits seiner Gartenmauern geschieht. Und die richtig Bösen sind ohnehin immer jene, die all das Chaos wieder zu ordnen versuchen. Ganz in der Art der »GTA«-Reihe verabreichen also auch die »Fallout«-Titel systemkritischen Zynismus in kleinen Dosen. Und ebenso wie dort wird auch hier nur ein Bruchteil der Spielenden überhaupt wahrnehmen, dass die Spielwelt Derartiges zu bieten hat. Nachweise dafür finden sich mühelos in einschlägigen Online-Foren.
Simplere Antworten
Relevantere Begründungen für die Popularität unseres Untergangs und der Zeit danach finden sich möglicherweise in Titeln wie »Crysis 2«, der vor Kurzem auf PC, Xbox 360und PS3 gelauncht wurde. Hier schleicht und schießt der Spieler sich als Soldat in einem High-Tech-Bio-Kampfanzug durch ein gerade eben erst zerstörtes Manhattan. Zum Einen gerät er dabei in Headshot-schwangere Auseinandersetzungen mit den Sicherheitsleuten eines Konzerns, zum Anderen sind da aber auch oktopusartige Aliens, die die Stadt heimsuchen. Ganz ideologiefrei ist freilich auch das nicht. Immerhin versuchen die paramilitärischen Truppen eines machtbesessenen Großkonzerns aus der Katastrophe noch Kapital zu schlagen. Aber die Vertreter des Großkapitals sind als Bösewichte in den Unterhaltungsmedien gerade so überraschend wie Hundehalter als Bad Boys der österreichischen Lokalpolitik.
Was Altes, was Neues, was Gruseliges und was Schönes. Was hier ganz nach der Abwandlung eines erbaulichen Hochzeitbrauches klingt, könnte ein Schlüssel zur Faszination Postapokalypse sein. In peripher vertrautem Umfeld dürfen wir ganz gemäß den Gewohnheiten ein paar Menschen über den Haufen schießen, bevor plötzlich gruselige und entstellte Figuren auftauchen, die in dunklen U-Bahn-Schächten und kalten Bunkern ebenfalls ihrem Ende zugeführt werden wollen. Und plötzlich stolpert der Avatar wieder ans Tageslicht und schaut hinunter auf die glitzernde Oberfläche eines überschwemmten Platzes, auf dem, wie zufällig, der Kopf der Freiheitsstatue zu liegen gekommen ist. Mehr als all die anderen Spielewelten dürfen die postapokalyptischen alles miteinander vermischen. Realistische Kriegsschauplätze stoßen hier auf Fantasy und Science-Fiction, Menschen treffen auf Zombies, Mutanten, Aliens und andere Menschen. So können unsere Avatare – und wir vor den Bildschirmen – in vertrautem Umfeld auf menschliche Urängste stoßen. Insektenartige, Krankheitssporen verbreitende Fremde in unseren Großstädten verursachen wunderbares Unwohlsein. Und dem vermeintlich Systemkritischen wird das Reaktionäre gegenübergestellt.
So schön es auch gewesen wäre, hier den subversiven Geist der Bildschirmspiele-Szene heraufzubeschwören, so sehr scheint sich der Reiz zerstörter Großstädte dann doch in den Möglichkeiten des Spannungsaufbaus und der Stimmungsmache zu finden. Denn im Erregen von Spannungs- und Angstgefühlen müssen Bildschirmspiele zur Hochform auflaufen, da sie doch in Bezug auf alle übrigen Emotionen fast immer noch kläglich versagen. Diese Vermutung führt zur Überzeugung, dass alle künstliche Aufgeregtheit ob derartiger Spielinhalte selbst im Angesicht realer Tragödien jeder berechtigten Grundlage entbehrt. Die Postapokalypse als meist unbunte Spielwiese, auf der alle Gesetze nach Belieben außer Kraft gesetzt werden können: Wir Spielenden dürfen uns in jedem Fall darauf freuen, mit allem rechnen zu müssen; auch wenn letztendlich selten Überraschendes geschieht.
»Motorstorm: Apocalpyse« (Sony; PS3) und »Crysis 2« (Crytek/EA; PC, Xbox 360 und PS3) sind bereits erschienen.