Wien klingt anders

Auf ihrer musikalischen Entdeckungsreise rund um den Globus bleiben die beiden Autoren Philipp Krohn und Ole Löding auch in Wien stehen. Wie ihr Reisetagebucheintrag zu Wien als Musikstadt aussieht, kann man hier in Auszügen hier vorab lesen.

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Da haben sich zwei gedacht, sie fahren einmal um die Welt und schreiben einen Reiseführer. An sich nichts Neues – Philipp Krohn und Ole Löding haben einen Reiseführer geschrieben, in dem es um Musik geht. Auf ihrer Reise sind sie der Frage nachgegangen, was den Sound einer Stadt eigentlich ausmacht und haben dafür die wichtigsten Protagonisten der Musikszenen von insgesamt 25 Städten zum Interview gebeten, darunter San Francisco, Nashville, Köln, Stockholm, Bristol oder Memphis. Auf rund 20 Seiten widmen sie sich auch der "Vampirstadt" Wien – die dürfen Teile davon hier vorab zeigen.

Wir sind tief in den Westen der Stadt gefahren, um mit zwei Legenden der österreichischen Musik über die Popstadt Wien zu sprechen. Am Rande des Stadtteils Ottakring, auf halber Strecke hoch zu der Parkanlage um das Schloss Wilhelminenberg, sind wir mit Rabitsch (*1956) und Markus Spiegel (*1952) verabredet. Wir hoffen, von ihnen zu erfahren, was aus ihrer Sicht gerade den »Sound of Vienna« so besonders macht. Die beiden prägen Wiens Popmusik seit über 30 Jahren, haben die 70er Jahre, den österreichischen Punk, Falco und die Gegenwart erlebt.

»Ich kann mich noch gut daran erinnern, was mich an ihm [Falco] am meisten verblüfft hat«, erzählt Thomas Rabitsch. »Nachdem er seine erste eigene Single gemacht hat mit ›Der Kommissar‹ und ›Helden von heute‹, da war ich bei Markus im Geschäft auf der Favoritenstraße. Und Markus hat mir aus dem Achtnadel-Drucker die neuen Texte von Falco gezeigt. Ich hab das echt nicht gepackt, weil ich nicht wusste, dass der Kerl auch noch texten kann.

Zum Abschluss des Gesprächs fragen wir, wie viel von der Figur Falco eigenständig und wie viel aus verschiedensten Einflüssen übernommen und neu zusammengemischt ist. Markus Spiegel antwortet lachend mit einer Feststellung, die uns für den Rest unserer Recherche in dieser Stadt begleiten wird: »Die Verschmelzung ist eine typische Wiener Angelegenheit. Wir nehmen Dinge nicht so stur, wir nehmen sie nicht so puristisch, wir nehmen es sehr locker. Wientypisch ist ein gewisser Vampirismus: Wenn dir etwas taugt, dann sauge es auf, verarbeite es und mach es zu deinem eigenen. Und dann lege noch ein bisschen Schönbrunn drüber, ein wenig Lokalkolorit.«

Peter Kruder, der Weltstar, den man in einem Cafe übersieht

Wir hatten die Hoffnung, mit Peter Kruder (*1967) sprechen zu können, eigentlich schon aufgegeben. Der gebürtige Wiener, der als Teil des DJ- und Produzentenduos Kruder & Dorfmeister zu Weltruhm gelangte und mit seinem Soloprojekt Peace Orchestra zu den spannendsten Elektronikern der Gegenwart zählt, gilt als medienscheu. Mehrere Anfragen lehnte sein Management erwartungsgemäß in knappen Worten ab. Dann setzte sich Thomas Rabitschs Frau Anja für uns ein. »Ich werd ihn direkt mal fragen«, mailte sie uns, und eine Stunde später kam die Interviewzusage. Hier entwickelt sich ein ganz eigener Sound: Eigenbrötlerische Klangtüftelei trifft auf die vampiristische Vereinnahmung internationaler Elek- trogenres wie Dub, Drum ’n’ Bass, Trip-Hop, Acid Jazz und Techno, im Falle von Kruder & Dorfmeister noch vermischt mit Einflüssen, die von Bossa Nova, Reggae, Boogie und Hip-Hop bis zur Düsseldorfer Schule um Kraftwerk reichen.

Dieser Sound, der sich als Gegenentwurf zum eintönigen, schnellen Großdiskotheken-Techno versteht und dem Motto »Je langsamer, desto besser« folgt, passt wie kein zweiter zum Puls der Stadt. Das 1998 veröffentlichte Remix-Album The K&D Sessions wird zum Ausdruck einer musikalischen Identität, die Einflüsse von außen schätzt, das Hektische ablehnt und das Gefühlvolle in der elektronischen Musik zulässt.

Nun wollen wir herausfinden, welche Relevanz die popmusikalische Geschichte Wiens heute noch für junge Musiker der Stadt hat. Wir verabreden uns mit den Musikern des 2004 gegründeten Trios Elektro Guzzi. Produziert unter anderem von Wiens bekanntestem Techno-Musiker Patrick Pulsinger, ist das Besondere an der Band, dass sie zwar durch den Detroiter Techno beeinflusst ist, ihre Version davon aber in klassischer Bandbesetzung ohne Loops oder Samplings umsetzt. Als wir dann mit Schlagzeuger Bernhard Breuer (*1978) und Gitarrist Bernhard Hammer (*1980) sprechen, wird uns schnell klar, dass wir den Einfluss der Vorgänger nicht überschätzen dürfen. »Wir sind ja die Generation danach«, sagt Hammer bestimmt. »Für uns war K&D weit weg.«

„Wien ist eine unaufgeregte Stadt“

Wir verabreden uns mit zwei der eigenwilligsten und eigenständigsten Künstler der Stadt, Eva Jantschitsch alias Gustav und Nino Mandl a.k.a. Der Nino aus Wien, um über das Phänomen der sprichwörtlichen Langsamkeit Wiens und über die Vielfalt von kleinen Szenen zu erfahren. »Wien ist eine sehr unaufgeregte Stadt. Sie gibt dir das Gefühl: Du hast Zeit. Es ist ein unangestrengtes Dasein möglich. Du musst dich nicht irgendwie kleiden, um zu einer Szene zu gehören, du musst dich nicht irgendwie darstellen. Du kannst zwei, drei Jahre Projekte abklopfen und dann vielleicht machen.«

Genau diese Unaufgeregtheit der Stadt strahlt auch Nino Mandl (*1987) aus, als wir ihn in der Nähe des Praters in einem seiner Stammcafés treffen. Hier kennt man ihn, und unser Gespräch wird immer mal wieder unterbrochen von irgendwem, der ihm auf die Schulter klopft, »Griaß di Nino, wos tuat si?« sagt und nach einer kurzen Plauderei mit einem freundlichen »Pfiat di, Baba« verabschiedet wird. »Ja, vielleicht ist die Stadt von ihrem Temperament, ihrer Atmosphäre und ihrer Stimmung gelassener als andere Städte«, bestätigt Der Nino aus Wien.

Mut zum Scheitern

»Man muss davon ausgehen, dass jeder, der heute das Musikmachen beginnt, das Scheitern als Vision hat, weil es anders gar nicht sein kann«, erklärt Markus Spiegel dazu, und Thomas Rabitsch ergänzt: »Daraus entsteht ein eigenartiges Biotop von Leuten, die wissen, dass sie nichts zu verlieren haben.« Maurice Ernst (*1988) von Bilderbuch bestätigt diese Aussage: »Perspektivenlosigkeit ist ein ganz wichtiges Wort in Österreich in der Musik«, sagt er, als wir ihn und Bassist Peter Horazdovsky zum Interview treffen.

Festivals wie das FM4-Frequency und insbesondere die Verleihung des prestigeträchtigen FM4-Awards haben viele Karrieren angeschoben. Eine dieser FM4-Bands ist Wanda. Zum Abschluss unserer Recherche treffen wir Songschreiber Marco Michael Wanda und Keyboarder Christian Hummer in einem charmant heruntergekommenen, von Zigarettenrauch geschwängerten Caféhaus am Wiener Gürtel. Musikalische Kreativität, künstlerische Freiheit und ein trotziger Wille zur Eigenständigkeit sind, das wird uns in dem Gespräch mit Wanda klar, untrennbar mit den Charakterzügen der Musikstadt Wien verbunden: der Kunststadt Wien, in der es leichtfällt, an Vorbilder wie die Wiener Klassik, den Wiener Aktionismus oder den Sound of Vienna anzudocken.

"Sound of the Cities. Eine popmusikalische Entdeckungsreise" erscheint am 23.9. im Verlag Rogner und Bernhard. Weitere Infos zum Buch und den Autoren gibt es hier.

Bild(er) © 2: Bilderbuch 3: Falco 4: Kruder und Dorfmeister 5 + 6: Wanda byMarlene Mautner
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