Wir sind jetzt Post-Graffiti

Street-Art in Wien findet sich eher im siebten Bezirk als in Kagran und eher auf freigegebenen Flächen als auf U-Bahnen und Werbemitteln. Die Tendenz geht klar weg vom Graffiti und hin zur Kunst im öffentlichen Raum.

Was ist mit der Realness? Wer malt heute noch den Zug?

Ok, Nychos nimmt sich immer noch Züge ebenso wie Leinwände vor. So enge Anknüpfungspunkte mit dem Graffiti wie er haben aber immer weniger Street-Artists.

Margit Mössmer (hier die Langversion des Interview), die für das Quartier21 die Artists in Residence-Studios an Street-Artists vergibt, meint: "Die Leute haben meistens einen Graffiti-Background, haben sich aber nicht selten davon wegentwickelt." Street-Art hat heute offenbar nicht mehr die ursprüngliche realness gegenüber der Straße, aber oft einige Realness gegenüber dem Kunstdiskurs. Die Street-Artists haben sich oft früh dafür entschieden, auf die meisten Stützen des klassischen Kunstdiskurses zu verzichten. Laut Margit Mössmer fangen die Artists mit dem Street-Art Begriff auch darum wenig an. Manche wollen gar nicht Künstler genannt werden. Florian Rivière bezeichnet sich zum Beispiel als "Urban Hacktivist". Ihm geht es um die Schönheit der Störung. Dahinter steht auch der Anspruch, für alle da zu sein und sich eben nicht in einem voraussetzungsreichen, mehr oder weniger elitären Kunstdiskurs zu bewegen.

Jetzt folgt auch für immer mehr Street-Artists der Schritt in die Galerie und ins Museum, die meisten bleiben trotzdem auf eigene Kosten auf der Straße aktiv. Internationale Szenegrößen, die auf Festivals wie dem Cash, Cans & Candy, Escape Golden Cage oder dem BLK River vertreten sind, nutzen oft auch die Nächte in Wien. Festivals scheinen der geeignete Weg, um Straße und Geld zusammenzubringen. Sie sind ein Support für die Szene, weil sie Gelegenheit bieten, zusammenzukommen, sich um Genehmigungen kümmern, im großen Rahmen Flächen zu schaffen, aber auch schlicht, weil sie eine große Zahl internationaler Größen gleichzeitig auf Wiens Straßen stellen. Für die Stadt werden einige relevante Arbeiten bleiben. Bei Cash, Cans & Candy werden gleich mehrere Street-Artists einen alten Speicher in der Ankerbrotfabrik großflächig bemalen. Nebenher werden wohl auch zunehmend relevante Umsätze für die Galerien gemacht.

"Wir sind sozusagen ein bisschen Post-Graffiti", kommentiert Margit Mössmer diesen Zustand, denn: "Graffiti spricht in Codes, die nur eine kleine Gruppe verstehen kann, während Street Art und Urban Hacktivism versuchen, möglicht voraussetzungsfrei lesbar zu sein. Das Spannungsfeld sieht heute also folgendermaßen aus: Die Leute kommen oft aus dem Graffiti, haben sich aber von den ästhetischen Formen, den Botschaften und manchmal auch den Szenen verabschiedet."

Die Straße ist in der Galerie gelandet. Sie etabliert sich, man kann damit Geld verdienen. Für die Galeristen sind erfolgreiche Street-Artists trotzdem nur aufstrebende Künstler am Anfang ihrer Karriere. Das hat Nychos schnell gemerkt. Auf dem Kunstmarkt ist er mittlerweile Künstler, für ihn heißt das, termingerecht zu liefern, fleischige Buchstaben für eine Ausstellung in Detroit oder anatomisch sezierte Mickey Mouse-Figuren für New York. Sein überlebensgroßer Fuchs ist erst für Ausstellungen im nächsten Jahr vorgesehen. Herzlich Willkommen im Kunstdiskurs!

»Cash, Cans & Candy« startet am 31. Mai in der Ankerbrotfabrik. Dabei wird nicht nur ein alter Getreidesilo in Favoriten neu gestaltet, auch Workshops und Diskussionen stehen auf dem Programm.

»Escape The Golden Cage« findet von 16.–31. Mai statt.

»Blk River« folgt im Herbst.

Weitere Orte, um Street-Art indoor in Wien zu sehen:

Inoperable Gallery, Burggasse 24, 1070 Wien

www.inoperable.at

Rabbit Eye Movement Art Space, Gumpendorfer Straße 91, 1060 Wien

www.rabbiteyemovement.at

Street Art Passage Vienna, Quartier21, Museumsquartier, 1070 Wien

www.betonblumen.org

Hier weiter zu den Interviews mit Margit Mössmer und Nychos.

Bild(er) © 1: Hannes Friesenegger 2-5: Yannick Gotthardt
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