Auf dem »schwierigen« zweiten Album bietet die Wiener Folk-Formation Witwer Lösungsvorschläge für die Bescheidenheit des Hier und Jetzt.
Ich weiß ja nicht, ob wir denselben Lippen Glauben schenken, aber mein Volksmund sagt: zweites Album, immer schwierig. Für das erste hast du ein Leben lang Zeit, für das zweite muss es schnell gehen. Wobei, ist auch immer so eine Sache, da ist der Volksmund manchmal weniger schlau, als er tut. Zwei Jahre arbeiten und proben Witwer am Nachfolger ihres Debüts, das im 18er-Jahr den Namen »Fluss« bekommen hat. Und – hier sind wir uns einig, Weisheiten hin, Weisheiten her – in diesen letzten Jahren gab es einiges, das nicht gerade die feine Englische war. Wo man sagen muss, da müsste man die Mistgabeln anzünden, wenn man auf die Barrikaden steigt. Und das machen auch die fünf Mander aus Wien, die ihrem Zweitwerk »Aber bitte nicht hier!« ein erlebtes Zitat der Spießbürgerlichkeit voranstellen: »Oh, wenn sie tanzen, dann bitte nicht hier«, heißt es da schon im ersten Stück »Ernte«. Sowieso sind alle neun Stücke Kampfansagen ans Leben im Hier und Jetzt in all seiner Bescheidenheit.
Gleich zwei Patentrezepte
Witwer, lösungsorientiert wie es eben eine spätkapitalistische Dystopie von seinen Subjekten verlangt, haben gleich zwei Patentrezepte auf Lager. Erstens, die Flucht, der reichlich Platz eingeräumt wird. Ich sage die Titel, du sagst, stimmt: »Flucht«, »Schiff«, »Albatros«, ciao, baba. Zweitens, das Ergeben. Hände hoch. Bestes Beispiel dafür der tolle Hit »Taube«, der vom (Über-)Leben mittelalter Menschen in der Großstadt erzählt, gefangen zwischen der Belanglosigkeit des Brotjobs und utopischen Träumen; alles grau, grau, grau.
Aber natürlich, nicht nur Totengräberstimmung. Immer wieder werden die Augen auch auf vereinzelte Hoffnungsschimmer gerichtet. Für die sorgt auch die Musik, weil natürlich: Die hat Hand und Fuß; da sitzt jeder Millimeter beim Akkordeon, jeder Saitenstreichler, jede verschleppte Silbe; aber vor allem: Tanzbarkeit über weite Strecken, da gibt’s wenig bis kein Auskommen. Redewendung, Zungenbrecher: Zu den Witwer wippen. Klar, mancherorts gibt’s statt Folk-Pop Wiener Prägung ein bisschen ein proggy Mäandern, Ausnahmen bestätigen hier wieder einmal die Regel. Oder umgekehrt: In der Regel sprechen Alben wie »Aber bitte nicht hier!« für eine Ausnahmeerscheinung im heimischen Pop-Zirkus.
Das Album »Aber bitte nicht hier!« von Witwer ist beim sympathischen Label Strizzico erschienen.