Mit „Office“ läuft dieses Jahr ein südkoreanischer Thriller am /slash Filmfestival, der den Schrecken ins Großraumbüro zaubert. Ein eiskalter Kommentar auf die Leistungsgesellschaft und was sie mit uns macht. Welchen Stellenwert hat der Arbeitsraum im Film generell und welche Möglichkeiten bietet er? Ein Querschnitt.
Menschen in ihrem Arbeitsraum zu beobachten, weckt in uns ein voyeuristisches Interesse. Nicht ohne Grund ist dieses Setting schon längst ein beliebtes in Film und Fernsehen. Es ist ein Ort, an dem wir selbst einen Gutteil unserer Zeit fristen, an dem viele sehr unterschiedliche Menschen aufeinanderprallen können und an dem Glück und Verzweiflung sehr nah beieinander liegen. Die mit ihm verbundene Arbeit kann leicht in die Eskalation rutschen. Etwa wenn George Clooney in seiner Rolle als Ryan Bingham in Up in the Air ihm fremde Menschen am Laufband kündigen muss und das mit einem Lächeln quittiert. Tränen fließen, Ordner fliegen.
Der Arbeitsmarkt kann aber noch ganz andere Ungetüme ausspeien, einer seiner fanatischsten und populärsten Vertreter ist Patrick Bateman aus American Psycho. Die Darstellung des karrieregeilen Investmentbankers als abgefuckten Serienmörder, der lediglich Gefühle für die perfekt geprägte Visitenkarte zeigt, funktioniert gut als Kritik am Kapitalismus. Wie viel es gebracht hat, ist ja bekannt. Beim Stichwort Fanatismus flackert auch die berühmte Zeile “All work no play makes Jack a dull boy” auf, die Jack Nicholson in Shining immer und immer wieder in seine Schreibmaschine hämmert, als ihn der Wahnsinn in seinem “Home Office” packt. Und auch die genüssliche Entstellung moderner Bürokratie durch Terry Gilliam’s Brazil in einer Welt aus Automatismen und Entmenschlichung weiß den Arbeitsraum und alle darin eingepferchten Lebewesen in Szene zu setzen.
Die Faszination über diesen Ort und was er mit uns anstellt wird nicht nur im deutschen Dokumentarfilm Work Hard – Play Hard festgehalten. Auch im Fernsehen halten Büroräume ungebrochen Einzug. In der AMC-Serie Mad Men befinden wir uns fast ausschließlich in ihnen. Dort wird geredet, getrunken und geraucht – und wir schmelzen dahin. Im Breaking Bad-Spin Off Better Call Saul ist die Beschaffenheit des eigenen Büros essentiell für die Grundmotivation des Protagonisten und den Handlungsverlauf. Denn das Büro ist nicht nur der schreckliche Ort, in dem wir festsitzen, er kann auch Statussymbol sein.
Schon seit der Comedyserie The Office, die den Arbeitsalltag an seine humoristische Spitze treibt, ist klar, wie viel Charme dieses Setting haben kann. Humor ist generell eine beliebte Variante mit dem vom Alltagstrott beladenen Umfeld zu spielen. Diesen Trott lässt Beavis and Butthead-Erfinder Mike Judge seine Protagonisten in Office Space mit der nötigen Prise Anarchie bewältigen. Und auch das Gagfeuerwerk rund um Anchorman Ron Burgundy und seine Getreuen ist im Grunde eine Satire auf die chemischen Reaktionen innerhalb eine Bürobelegschaft. Man kann gut darüber lachen, weil man sich irgendwo, wenn vielleicht auch in weniger extremer Form, selbst finden kann. Den Stress mit dem Chef, Spannungen zwischen Arbeitskollegen oder auch nur der Frust über eine nicht funktionierende Kaffeemaschine. Ganz nebenbei therapieren wir uns selbst.
Aber es geht auch mit weniger Humor. Der Filmklassiker All the President’s Men mit Dustin Hoffman und Robert Redford in den Hauptrollen, welcher die Aufdeckungsarbeiten zweier Journalisten zur Watergate-Affäre unter Nixon thematisiert, spielt über weite Strecken in den vier Wänden der Redaktionsräume der Washington Post. Das Publikum ist dabei von einer dauernden Soundkulisse aus Telefonklingeln und dem Klappern von Schreibmaschinen umgeben, die nur von den Unterredungen der Journalisten übertönt wird. Das Stressgefühl schwappt auf uns über. Gar noch intensiver ist die filmische Büroerfahrung im Drama Glengarry Glen Ross, in dem wir zwei Tage lang gemeinsam mit Jack Lemmon, Al Pacino, Ed Harris, Alan Arkin und Kevin Spacey in der Filiale einer Immobilienfirma verbringen und dabei kaum einen Fuß vor die Tür setzen. Die Spannung reißt dabei keine Sekunde lang ab. Wir verfolgen ein Kammerspiel, das explizit für die beengenden Bürowände geschrieben worden ist. Kein Wunder, basiert der Film immerhin auch auf einem Theaterstück. Der Raum wird zum Medium.
Bei diesen Voraussetzungen, Diversität an Charakteren und Konfrontationen, Identifikationspotenzial, Stress und klaustrophobischen Zuständen, ist es etwas verwunderlich, dass es nicht viel mehr Horrorfilme gibt, die dieses Setting wählen. Während Krankenhäuser und psychiatrische Anstalten Top-Locations für Nervenkitzel sind, ist das Büro als Ort des Schreckens weit weniger etabliert. Speziell auch was das Potenzial für den scharfen gesellschaftlichen Kommentar betrifft, der ja oft gern in Horrorfilmen platziert wird (sei es um von schlechten Effekten abzulenken, oder tatsächlich, um mehr Tiefgang zu erwirken).
Die, die es gibt, sind oft B-Movies, die gerne auch ins Komödienhafte abdriften. Etwa im Creature Feature Infestation, in dem Fanboy Chris Marquette gekündigt wird, um im Moment darauf eingewickelt in einem Kokon im Büro aufzuwachen, ebenso wie auch die restliche Belegschaft. Folglich geht es in den gemeinsamen Kampf gegen überdimensionale Alien-Insekten. Etwas gorelastiger wird es im australischen Torture Porn Redd Inc. “I am not a murderer, I am a regional manager!”, brüllt der schlipstragende Serienkiller den sechs Büroangestellten zu, die er an ihre Schreibtische gekettet hat und im wahrsten Sinne zu Tode arbeiten lässt. “Hard work never killed anybody” lautet eine Weisheit aus dem Volksmund, die Berufskomiker und ehemaliger US-Präsident Ronald Reagan einmal mit dem Beisatz “but I figure why take the chance?” ergänzt hat. “Why not?” lautet die umgedrehte Logik in Redd Inc. und ähnlich gearteten Filmen, die auf eher platte Weise Arbeits- und Machtverhältnisse thematisieren wollen.
Der Arbeitsraum kann aber auch ohne allzu dickem Auftragen, Augenzwinkern oder schwarzem Humor schnell zur Hölle werden. Davon kann man sich dieses Jahr beim /slash Filmfestival überzeugen. Ein von Mobbing am Arbeitsplatz geplagter Mann kommt abends heim, schlägt seiner ganzen Familie mittels Hammer die Schädel ein und kehrt schließlich wieder ins Büro zurück. Anhand dieser Tat baut sich Office, das Regiedebüt des Südkoreaners Hong Won-chan auf. Won-chan spielt mit dem Image der Arbeitsmoral, das Ländern wie Südkorea oder auch Japan international vorauseilt. Die Menschen haben sich hörig als kleine Zahnräder eines großen übergeordneten Systems in Position gebracht, koste es was es wolle. So das geläufige Bild, das sich etwa auch in Haruki Murakamis gesammelten Betroffenenberichten rund um die Sarinanschläge in Tokios U-Bahn-Netz im Jahr 1995 widerspiegelt, in dem Menschen immer wieder und trotz aller Umstände die Wichtigkeit betonen rechtzeitig am Arbeitsplatz anzukommen.
Diese Grundlage nutzt Won-chan für seinen scharfen Kommentar zur Leistungsgesellschaft. Die Tat in Won-chans Thriller hat schließlich Auswirkungen auf die anderen Büroangestellten, auf das Arbeitsklima und auf den Ort der Arbeit selbst. Aber dem nicht genug. Als die Ermittlungen in den Büroräumen starten und weitere Leichen auftauchen, ist bald klar, dass sich der gegeißelte Mörder immer noch im Gebäude befindet und einen größeren Rachefeldzug gestartet hat. Einmal öfter wird das Büro zur Bühne, die Wände drohen immer kleiner zu werden. Der Film spielt aus, was der Büromief-Charme zu bieten hat und ist damit ein Paradebeispiel für dieses Setting.
Office von Hong Won-chan läuft am 23.9. um 23:00 im Rahmen des /slash Filmfestivals im Filmcasino Wien.