Der Berliner Konzertveranstalter und Musikagent Berthold Seliger hat mit „Das Geschäft mit der Musik“ eine treffende Studie zum gegenwärtigen Musikmarkt vorgelegt.
Calexico, Pere Ubu, Lambchop, The Residents, Patti Smith, Bonnie „Prince“ Billy oder Lucinda Williams – Konzertveranstalter waren es gewohnt, dass Mails der Berliner Agentur Seliger Europatourneen oder Konzerte von Bands anvisierten, die getrost zu den Klügsten und Interessantesten der gegenwärtigen, gitarrenliebenden Popkultur gerechnet werden können. Umso größer war das Erstaunen über die Ankündigung, dass Berthold Seliger seine gleichnamige Konzertagentur mit Jahresende schließen werde. Seine Beweggründe lassen sich nun in seiner allumfassenden Studie „Das Geschäft mit der Musik“ nachlesen.
Ausgehend vom Musikbusiness kommt der Konzertveranstalter auf den Ist-Zustand von Politik und Gesellschaft zu sprechen. Seliger, der auch als schreibgewandter und arrivierter Autor arbeitet (Freitag, Konkret) – und jüngst etwa einen scharfsinnigen Text über antisemitische Boykott-Aufrufe gegen Israel aus den Reihen der Popkultur in der Jüdischen Allgemeinen publizierte – stellt sich mit seinem Essay in die Tradition jener Texte zu Pop und Musik, die mit Begriffen wie Kulturindustrie hantieren. Er blickt auf die Rückseite des Musikgeschäfts. Jenes Musikgeschäfts, mit dem er zu tun hatte. Also auch das Segment des Musikgeschäfts, das gerne als Alternativ oder Indie, letztlich als der „bessere“ Bereich des Pops beschrieben wird.
Alternatives-Indie-Business als Teil des Ganzen
Papperlapapp! Marktkonventionen und die Zumutungen der Musikbranche machen auch vor Indie- und vermeintlich alternativen Strukturen nicht halt. Kulturindustrie ist letztlich Kapitalismus, meint Seliger. Kritik der eigenen Reihen ist für den Autor immer auch Gesellschaftskritik.
Wenn Seliger über Musikindustrie schreibt, kommt er also notwendigerweise auf prekäre Arbeitsverhältnisse, Selbstausbeutung und „morbide Arbeitssucht“ (Paul Lafargue, 1880) zu sprechen. Der Arbeitsfetisch wird ebenso kritisiert wie Tonträger- und Live-Industrie, Sponsoring und Musikjournalismus.
Leitmotiv des Buches aber ist Seligers unaufhörliche Liebe zur Musik. Zitate von Patti Smith und Bob Dylan dienen als Einstieg in Gesellschaftsanalysen. Anekdotenhaft schweift Seligers Essay durch die Jahre und skizziert beiläufig den Umbau des Musikmarktes. Dem immer prägnanteren „Diktat des Marktes“ setzt Seliger ein Plädoyer für Materialästhetik entgegen. Einfacher gesagt: „Mich interessiert die Frage, um die in unserem Geschäft längst alles kreist, nämlich „wie viele Tickets verkauft die Band xyz?", deutlich weniger als die Frage der Qualität der Musik, die eine Band spielt. Darüber wird aber kaum mehr gesprochen.“