Der Berliner Konzertveranstalter und Musikagent Berthold Seliger hat mit „Das Geschäft mit der Musik“ eine treffende Studie zum gegenwärtigen Musikmarkt vorgelegt.
Klassenkampf im Backstage-Raum
Mit seinem Buch hält Seliger an dem Glauben an eine Popkultur fest, die sich nicht nur von wirtschaftlichen Diktaten dirigieren lässt. Seine Enttäuschung über den Musikmarkt leitet er aus den gegenwärtigen Verhältnissen ab. Monopole, dominante Konzerne und ein nach Standortfaktoren orientierter „Staatspop“ sind, so der Autor, dafür verantwortlich.
Präzise und prägnant ist der Text, wenn es um Musik, Markt-Analyse und die Beschreibung des Status Quo geht. Unterkomplex jedoch wirkt es, wenn der Autor die großen Player und nicht das Game an sich für den derzeitigen Status Quo verantwortlich macht: „Welche Rolle die Kreativwirtschaft, ‚die kreative Klasse‘ (Richard Florida), bei der Zurichtung einer postfordistischen Gesellschaft mit permanenter Selbstausbeutung und einem künstlerischen Prekariat darstellt, zeigt sich vielleicht nirgendwo besser als in der Bundeshauptstadt Berlin“, schreibt Seliger da etwa. Mit dem Verweis auf Richard Florida setzt er neoliberalen Lobeshymen auf die Creative Industrie einen klassenkämpferischen Jargon entgegen. Wie sinnvoll es aber ist, eine Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus mit klassenkämpferischen Vokabular anzugehen, darf durchaus in Frage gestellt werden. Da ist Seliger doch zu sehr in jener Linken-Tradition verhaftet, die ihren Szene-Jargon liebt.
Angerechnet werden kann dem Veranstalter, dass er mit seiner Agentur stets den konsequenten, unbeirrbaren und vor allem selbstkritischen und selbstreflexiven Weg gegen das kritisierte Business suchte. Und so ganz wird Seliger auf das Musikgeschäft auch nicht verzichten: „Es wird ein neues kleines, feines Ein-Mann-Büro geben: ein *Büro für Musik, Texte und Strategien*, das zum 1.1.2014 seine Arbeit aufnehmen wird. (…) Für wenige ausgewählte Bands werde ich wohl auch weiter als Europaagent arbeiten. Ein kleiner Raum, kein Telefon, nur ein Email-Anschluß. Einzelne Projekte durchdenken und/oder organisieren und/oder produzieren. Künstler und Plattenfirmen und Projekte von Fall zu Fall beraten. Strategien entwickeln, wie Künstler oder Kulturprojekte in schwierigen Zeiten überleben können“, kündigt er an. Erneut ein Projekt, das nicht nur illustriert, wie sich Musik organisieren lässt, sondern auch eine Ahnung davon geben kann, wie Berthold Seliger leben will.
Zusammendenken, was zusammen gehört.
„Das Geschäft mit der Musik“ ist weniger ein Insiderbericht, der etwas preisgibt, enttarnt oder offen legt, was zuvor angeblich niemand wusste. Schein-Aufklärung überlässt Seliger klug dem Boulevard. Er hingegen denkt vielmehr zusammen, was ohnehin alle, die mit Musik und ihrer Verwertung zu tun haben wissen, aber oftmals auch aus ideologischem Kalkül nicht zum Thema machen. Aus Tatsachen gegenwärtiger Musikindustrie und Erfahrungsberichten aus 25 Jahren Musikbusiness hat er eine Studie über das Geschäft mit der Musik erstellt. Abseits empirischer und quantitativer Zahlen-Effekthascherei der wohl gegenwärtig beste Status-Bericht der Musikindustrie.
Im Sinne von Dylans "World gone wrong" hält Seliger zur erfrischenden Abwechslung weder einen „Masterplan“ für eine andere oder bessere Welt, noch sinnbefreite Aufforderung zur Empörung oder Wut parat. Dafür eine umso treffsichere Streitschrift, die die Notwendigkeit für eine andere Kultur, aus einer präzisen Analyse der Ist-Zustände, ableitet.
Berthold Seliger "Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht." ist bereits beim Tiamant Verlag erschienen.