Wie frei ist die Freie Performance- und Theater-Szene? Vier Meinungen zur Finanzierung freier Bühnen.
Sara Ostertag
The only way is up!
Österreich betreibt ein Modell des Freien Theaters, das minimalste Produktionsstrukturen befördert – im Gegensatz zu gewachsenen und gut dotierten Strukturen in Belgien und den Niederlanden. Der manifeste Unterschied hierbei ist, dass in diesen Ländern die Gruppen und Kompanien hochdotiert gefördert werden und nicht die Institutionen. In Österreich werden repräsentative Produktionsstätten etablierter Kunstproduktion gefördert, so wird vor allem den sogenannten HochkulturproduzentInnen enorme finanzielle und infrastrukturelle Macht geben (z.B. den Bundestheatern). Aber auch im freien Bereich in Österreich erhalten die Koproduktionshäuser im Vergleich zu den produzierenden Gruppen einen enorm größeren Etat. Das macht die Kunst, bzw. die KünstlerInnen, zu BittstellerInnen der Institution. Anders hingegen in Flandern, wo die Gruppen durch ihre finanzielle und künstlerische Wirkungsmacht definieren, wo sie spielen und touren. Dieses Prinzip ermöglicht eben auch großflächiges Touring innerhalb der Länder und an den Koproduktionshäusern. Durch chronische Unterfinanzierung bewegen sich viele österreichische Arbeiten nicht wirklich auf dem nationalen Markt und schaffen es erst gar nicht auf den internationalen. Kulturinstitutionen und Räume müssen vielen Kunstschaffenden zugänglich sein. Auch das ist ein großes Thema für Wien und zum Beispiel eine Chance für die Entwicklung einer spezifischen Struktur wie der des Volkstheaters. Durch den massiven Paygap zwischen Stadttheater und Freier Szene in der strukturellen Förderung, den Arbeitsbedingungen (Versicherung, Karenz, Pension) befinden sich viele KünstlerInnen und Gruppen konstant in einer Form des institutionalisierten Prekariats und einer geduldeten Illegalität. Hier geht es vor allem um Fragen von Mindestgagen, Anstellungen und gleichgestellter Bezahlung aller Geschlechter. Die großen, langfristig gut finanzierten Kulturinstitutionen sind mit Männern an der Spitze besetzt (Burgtheater, Volkstheater neu, Josefstadt, Konzerthäuser, Opernhäuser, usw.). Hingegen sind die freien, massiv unterfinanzierten Koproduktionshäuser mit prekären Arbeitsbedingungen – die Häuser, die aber den größten international tourenden Output in der darstellenden Kunst kreieren – mit Frauen an der Spitze besetzt, die durch die niedrigen Budgets wesentlich weniger Wirkungsmacht erlangen. So bleibt die Freie Szene politisch ein Feigenblatt, obwohl sie seit langem die Impulsgeberin für innovative Vorgänge in der Kunst ist. Die Kulturpolitik muss sich langfristig überlegen, was sie sein möchte: Archivarin des Patriachats in antiquierten Strukturen oder Kreateurin offener, diverser Orte kollektiven Zusammenhalts. Da ist Luft nach oben.
Sara Ostertag ist Theatermacherin, Kuratorin und Mitbegründerin des Kollektivs »Makemake Produktionen«. 2018 wurde sie vom Wiener Bühnenverein mit dem Nestroy-Theaterpreis für die beste Off-Produktion (»Muttersprache Mameloschn«, Koproduktion von Makemake Produktionen und Kosmos Theater) ausgezeichnet.
Dr. Günter Riegler
Staatliche Kunst- und Kulturförderung als Pflicht der Gemeinschaft
Staatliche Kunst- und Kulturförderung ist eine Pflicht der Gemeinschaft, weil die Kreativität, Innovationskraft und auch die kritische Reflexion gesellschaftlicher Entwicklungen durch die Kunst unverzichtbarer Hygienefaktor für eine aufgeklärte Gesellschaft sind. Die Kunst- und Kulturförderung, wie auch die Wissenschaftsförderung und die Förderung von Design und Innovation sind also staatliche Pflichtaufgabe und daher auch von allen drei staatlichen Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden) gemeinschaftlich zu leisten.
Die Kulturpolitik der Stadt Graz ist von ihrer Grundausrichtung sehr stark darauf fokussiert, einen fairen Ausgleich zwischen öffentlichen Einrichtungen und Freier Szene zu schaffen, die Nachwuchsszene und die Schöpfung eigenständiger und innovativer künstlerischer Positionen bestmöglich zu unterstützen. Dies geschieht seit vielen Jahren in mehrfacher Weise – unter vielen anderen:
- durch Geldförderungen in Form von Projektförderungen (mehr als 1000 pro Jahr) sowie auch durch Abschluss von Mehrjahresförderverträgen mit rund 80 Kulturschaffenden
- durch Sachförderungen (z.B. durch Vergabe von mietkostenfreien Tagen in diversen öffentlichen Aufführungsorten – von »Dom im Berg« über das Literaturhaus bis zur Helmut-List-Halle)
- durch Stipendien und Förderungspreise für NachwuchskünstlerInnen und -wissenschafterInnen
- durch finanzielle Infrastrukturunterstützungen von Kultureinrichtungen
- durch Unterstützung bei Werbung und Kommunikation von Kunst- und Kulturveranstaltungen
- durch Beratung der Kunst- und Kulturschaffenden durch die Fachabteilung (Kulturamt)
- durch Kooperationsprojekte und Stiftung von Förderpreisen der Stadt Graz für Studierende der Kunstuniversität, der Ortweinschule und freier Kulturschaffender
- durch Schaffung und Finanzierung von freien Atelier- und Probehäusern (Taggerwerk, Schaumbad, IG Tanz, etc.)
Alle diese Maßnahmen zielen darauf ab, die Situation von KünstlerInnen und Kulturschaffenden kontinuierlich zu verbessern und Graz als Innovations-, Wissenschafts- und Kulturkraftfeldes weiter auszubauen. Es ist mir ein Anliegen zu betonen, dass mir die oftmals prekäre Lage von Kunst- und Kulturschaffenden bewusst ist. Meine politische Überzeugung ist es, dass wir bestmöglich die künstlerische und wissenschaftliche Arbeit unterstützen müssen, nicht nur durch Geld, sondern insbesondere auch durch Infrastrukturförderungen, und so Chancen bieten. Eine darüber hinaus gehende Reglementierung lehne ich ab und würde ein über die beschriebenen Maßnahmen hinaus gehendes Einschreiten des Staates für kontraproduktiv halten.
Dr. Günter Riegler ist Stadtrat in Graz und dort Stadtsenatsreferent für Kultur, Wissenschaft und Finanzen. Zuvor war er unter anderem als Senior Manager einer internationalen Steuerberatungskanzlei und als Rechnungshofdirektor tätig.