Femizide sind Ausdruck einer misogynen Gesellschaft. Umso wichtiger ist es gesellschaftliche Antworten zu finden. Medienschaffende Alexandra Stanić, Rechtspsychologin Mercedes Haindl, Sprachwissenschaftlerin Maria Pober und Wiener-Frauenhäuser-Geschäftsführerin Julia Brož bieten Lösungsansätze.
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Drei Tage. Drei Tage hat es gedauert, bis zum ersten Femizid im neuen Jahr 2025. Während auf den Straßen die allerletzten Böller verklingen und noch an das Neujahrsfeuerwerk erinnern, ist in Österreich bereits die erste Frau aufgrund ihres Geschlechts von einem Mann ermordet worden. Da bleibt nicht einmal Zeit für die Trauer um die 27 ermordeten Frauen des vergangenen Jahres. Österreich ist Spitzenreiter in der EU, wenn es um Frauenmorde geht. Doch obwohl das Problem so offensichtlich ist, ändert sich seit Jahren nichts. Wie können Femizide in Österreich verhindert werden? Welche Maßnahmen müssen Politik, Medien und Justiz setzen? Inwiefern ist ein gesellschaftliches Umdenken notwendig?
Alexandra Stanić
Medienschaffende
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Frauenhass nicht totschweigen
»Ehedrama«, »Aus Eifersucht ermordet« oder »Rosenkrieg« – wenn so über Morde an Frauen berichtet wird, erweckt es den absurden Anschein, die Tat hätte etwas mit Zuneigung zu tun. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um eine vollkommen verzerrte Realität. Niemand mordet aus Liebe. Medien müssen endlich aufhören, mit problematischen Schlagzeilen Klicks zu generieren und ihren Konkurrenzkampf auf dem Rücken von Betroffenen auszutragen. Leidtragende brauchen eine Medienlandschaft, die sich für sie einsetzt, ihnen glaubt und aufzeigt, wie tief verwurzelt Frauenhass in Österreich wirklich ist.
Wir leben in Österreich in einer rechten Gesellschaft, in der ein konservatives Frauenbild vorherrscht. Ebenso wird ein toxisches Männlichkeitsbild mittransportiert. Der »starke« Mann, der nicht weinen darf und den Beschützer spielt, ist eben derselbe Mann, der seine Partnerin und sich selbst ermordet, wenn sie sich von ihm trennen möchte. In rechtem Denken wird Gewalt an Frauen wenig bis gar keine Existenz zugesprochen. Wenn Gewalt an Frauen anerkannt wird, dann nur die, die ins Bild passt: Männer (mit Migrationshintergrund), die im Busch warten, um fremde Frauen zu überfallen. Dass es in Wirklichkeit der Partner, Vater, Bruder oder Ex ist und der gefährlichste Ort für Frauen die eigenen vier Wände sind, wird gekonnt ignoriert.
Frauenhass beginnt nicht erst beim Femizid oder bei einem körperlichen Angriff, sondern startet schon bei Einstellungen und Überzeugungen. Nacktfotos weiterzuschicken, »Bodycounts« zu erstellen oder Frauen auf der Straße hinterherzupfeifen, ist ebenso gewaltvoll. Wer das erkennt, erkennt auch, welch große Verantwortung Medien tragen. Denn sie sind Meinungsmacher*innen und Gatekeeper*innen und prägen Einstellungen sowie Überzeugungen maßgeblich. Von ihnen verwendete Sprache formt, wie wir im Alltag über Geschehnisse nachdenken. Deshalb ist es ihre Aufgabe, stetig und wahrheitsgemäß über Gewalt an Frauen zu berichten, aufzuklären und Dinge so zu benennen, wie sie tatsächlich sind. Nämlich nicht als Drama zwischen Liebenden, sondern als strukturelles Problem.
Alexandra Stanić ist Medienschaffende und Content-Creatorin aus Wien. Ihre journalistische Karriere fand ihren Anfang beim Wiener Stadtmagazin Biber. Ihre Texte drehen sich unter anderem um gesellschaftspolitische Themen wie Queerness, Feminismus und Rassismus.
Mercedes Haindl
Rechtspsychologin
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Gewaltschutz betrifft uns alle
Femizide als extremste Form geschlechtsspezifischer Gewalt stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. In den Medien ist Gewalt gegen Frauen erst seit wenigen Jahren eine Thematik, die große Wellen schlägt, obwohl speziell in den 1960er- bis 1990er-Jahren die Zahlen der Frauenmorde laut Kriminalstatistik des Innenministeriums wesentlich höher waren als aktuell. Nichtsdestotrotz ist jeder Femizid einer zu viel. Maßnahmen wie das Gewaltschutzgesetz als auch Anlaufstellen verschiedenster Art (beispielsweise Frauenhäuser und Beratungsstellen) sind wichtige Eckpfeiler, um interpersonellen Gewalteskalationen entgegenzutreten. Diese greifen allerdings erst, wenn es bereits zu gewalttätigen Handlungen gekommen ist. Somit gilt es, Aufklärung und Achtsamkeit als präventive Faktoren in den Fokus zu rücken: Wo beginnt geschlechtsspezifische Gewalt? Welche Strukturen fördern diese? Was sind die »red flags«, auf die man achten sollte – sowohl im individuellen als auch im sozialen Umfeld?
Präventionsprogramme jeglicher Art müssen außerdem zusätzlich so gestaltet werden, dass sie nicht nur Betroffene erreichen, sondern Menschen jeglichen Geschlechts – und das bedeutet auch eine Inklusion von Gefährder*innen und Täter*innen. Dafür muss es einen offenen Diskurs über Funktionsweisen von Gewalt sowie ein »Verständlichmachen« der zugrunde liegenden Dynamiken geben. Das schließt eine klare Haltung gegen Gewalt und deren Ursachen nicht aus.
Weiters ist aus psychologischer Sicht in dieser Thematik zu beachten, dass es nicht zu einer Verantwortungsdiffusion kommen darf – damit ist das Übergeben der Verantwortung an höhere Stellen wie beispielsweise Politik und Justiz gemeint. Natürlich ist eine Positionierung dieser Institutionen von enormer Bedeutung, wenn es um Maßnahmen und deren Umsetzung geht. Dennoch gilt es, Verantwortungsübernahme bei jedem*jeder Einzelnen von uns zu fördern, damit kein Wegschauen, kein Bagatellisieren passiert, sondern Hilfe auch von Individuen angeboten wird, wo es nötig ist. Gewaltschutz betrifft uns alle – und diese Erkenntnis kann ein gesellschaftliches Umdenken ermöglichen.
Mercedes Haindl ist klinische Psychologin und Rechtspsychologin. Sie war unter anderem als Projektmitarbeiterin beim Kriminalpsychologischen Dienst in Wien und als Psychologin in einer Justizanstalt in Oberösterreich tätig.
Maria Pober
Sprachwissenschaftlerin
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Sachverhalt klar benennen
Männergewalt, sei sie nun »nur« gewalttätig oder in Form von sexualisierten Gewaltdelikten bis hin zu Frauenmord beziehungsweise Femizid, stellt immer noch – nach fast 50 Jahren Eherechtsreform (in Österreich: 1975 bis 1978) und damit Gleichberechtigung der Frau – eine grausame sowie traurige Realität dar. Ein Blick in die Medien zeigt, dass dieses Problem unter anderen natürlich auch ein sprachliches ist. Denn wenn ein Sachverhalt wie Männergewalt nicht klar und transparent benannt wird, sondern verallgemeinernd als »Gewalt gegen Frauen« oder als »häusliche Gewalt«, kann sich auch kein wirkliches Bewusstsein für diese Straftat und deren Verursacher entwickeln.
Bei letzterem Begriff wird zwar der Fokus auf die Gewalt im Haus gelegt, also auf das familiäre Umfeld und nicht auf den großen Unbekannten, wie das lange der Fall war. Aber gleichzeitig weitet das Attribut »häuslich« den Personenkreis auch sehr aus und führt damit vom eigentlichen Täter weg. Denn in einem Haus leben in der Regel die Ehefrau oder -partnerin, die Kinder und manchmal auch die Großeltern. Sie alle werden durch die Verallgemeinerung »häuslich« in der Wahrnehmung zu potenziellen Täter*innen. Wenn weiters in diesem Zusammenhang von »Beziehungstat« oder »Familientragödie«, also dezidiert von positiv besetzten Begriffen wie »Familie« oder »Beziehung« und überhaupt nicht von »Gewalt« die Rede ist, dann drängt sich doch die Vermutung auf, dass hier bewusst etwas verschleiert oder sogar beschönigt werden soll: nämlich die Straftat Männergewalt.
Obwohl es die Funktion von Bestimmungswörtern wie Beziehung und Familie sein sollte, einen Sachverhalt möglichst genau zu beschreiben und präzise zu bestimmen, wird diese Funktion in diesem Fall unterlaufen. Weder ist »Tat« mit einer Straftat gleichzusetzen, noch verweist eine »Tragödie« auf einen aktiv Beteiligten, sondern in ihr ist bereits das Ende durch die Ausgangslage festgelegt. Damit wird suggeriert, der Gewalttäter befände sich in einer ausweglosen Situation, weil die ganze Tragödie buchstäblich über ihn hereinbreche und ihn daher zumindest weniger oder vielleicht sogar keine Schuld treffe.
Maria Pober ist Sprachwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Gender, Semantik und Lexikografie an der Universität Wien und sie ist Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Rechtslinguistik.
Julia Brož
Geschäftsführerin Wiener Frauenhäuser
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Jetzt schützen, langfristig denken
Hinter jeder Ermordung einer Frau durch ihren (Ex-)Partner steht eine meist lange Geschichte von Kontrolle, Demütigung und Gewalt. Diese Gewalt ist ein Ausdruck ungleicher gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Es gilt, jede dieser Ebenen zu adressieren, um sowohl den Schutz der Betroffenen zu gewährleisten als auch langfristig geschlechtsspezifische Gewalt zu verhindern.
Gewaltbetroffene Frauen müssen die Möglichkeit haben, verfahrensunabhängig und unkompliziert mit einer spezialisierten Beratungseinrichtung (zum Beispiel Frauenberatungsstelle und Frauenhaus) in Kontakt zu treten, und Unterstützung dabei erhalten, sich aus der Gewaltbeziehung zu lösen. Gleichzeitig ist es essenziell, die Verantwortung für die Gewalt nicht bei der Betroffenen zu suchen, wenn Frauen sich (noch) nicht aus einer Gewaltbeziehung lösen (können). Es gilt, auch die Täter zu adressieren und flächendeckend langfristig wirksame opferschutzorientierte Täterarbeit umzusetzen.
Um den bestmöglichen Schutz der Betroffenen zu gewährleisten, sind eine gute Vernetzung und ein regelmäßiger Austausch von Opferschutzeinrichtungen und Institutionen (zum Beispiel Justiz, Polizei, Gesundheitsbereich, Kinder- und Jugendhilfe) notwendig. All das kann jedoch nur dann gelingen, wenn alle beteiligten Institution sich – mittels Schulungen durch Expert*innen – der Spezifika von häuslicher Gewalt bewusst werden.
Dabei können auch detaillierte Analysen von schweren Gewalttaten bis hin zu Femizidversuchen und Femiziden stattfinden, im Rahmen derer strukturelle Lücken aufgedeckt und präventive Maßnahmen entwickelt werden können. Forschung kann uns hierbei wichtige Hinweise für Risikofaktoren und Handlunsgspielräume. Deren Finanzierung und Durchführung ist daher essenziell.
Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen als Ausdruck ungleicher Machtverhältnisse braucht somit auch gesamtgesellschaftliche Antworten: etwa die Erkenntnis, dass Geschlechterungleichheit Gewalt verursacht und es Frauen erschwert, sich aus Gewaltbeziehungen zu lösen. Gleichstellungsmaßnahmen und breite Primärprävention können dazu führen, dass wir uns Fragen wie diese in Zukunft nicht mehr stellen müssen.
Julia Brož ist ausgebildete Sozialarbeiterin und seit 2024 Geschäftsführerin des Vereins Wiener Frauenhäuser.