Als ob nicht eh schon genug Bestrafung wäre, beim AMS oder Finanzamt anrufen zu müssen, wird man dort in Dauerschleife auch noch zwangsbejodelt. Bis einem die Ohren bluten: Charakteristika und Klangfarbe eines ganz besonderen Genres.
Das Feel Good-Programm: „Der nächste freie Mitarbeiter ist für Sie reserviert“ (© Cyril Hou)
Die Chillout-Lounge ist eröffnet. Du steckst nicht in der Leitung, sondern auf einer Insel der Gelassenheit fest. Mit dem nächsten Floß kommt Josh Hartnett daher und ist allein für dich reserviert. Diese Nummern sind der Inbegriff von Service und wollen nichts mehr als dein ganz persönliches Wohl. A journey begins flüstert Reiseveranstalter Tui, what a wonderful world trällert die BVA. Harmony and Fantasy, versprüht als Synthie-Akustik, Easy Listening und Smooth Jazz. So zu hören bei UPC, ÖBB, A1 oder in der Leitung zur Ottakringer Brauerei. Selbes Soundschema, aber eine etwas dringlichere Zielgruppe haben die „beruhige dich, alles wird gut“-Schleifen. Unbeschwertes Summen und Yann Tiersen versuchen dich bei Laune zu halten. Handlungsanweisung von Wien Energie und Apothekennotruf: Einfach mitpfeifen und warten, bis sich Stromstörung oder akute Angina verflüchtigt. Müsste man diese Kategorie in nur einem Tune festhalten, es wäre das Opus No.1 von Tim Carleton und Derrick Deel. Seit 1989 auf 65 Millionen Telefonanlagen des Anbieters Cisco vorinstalliert (leider alle im amerikanischen Raum) beglückt es Milliarden von Anrufern mit Synthie-Glocken-Gedudel. Prädikat: unbedingt hörenswert.
Das We are family-Programm: „Dein Anruf ist uns wichtig“ (© Monkey Business Images)
Lugner weiß, wie man den eigenen Klan zusammenhält. Deshalb wirst du in der Leitung zur Lugner-City vom King persönlich mit „Du hat die richtige Nummer gewählt!!!! (Ausrufezeichen = Lautstärke)“ angebrüllt. Im Anschluss folgt dann wirklich We are family von Sister Sledge. Diese Kategorie von Warteschleifen appelliert an dein Bedürfnis, Teil von etwas zu sein, egal ob Lugner-City oder örtliche Volksbank. Die Anrede erfolgt oft direkt, der Sound ist ganz unterschiedlich, Hauptsache irgendwie identitätsstiftend. Wir sind kein Unternehmen, wir sind eine Gemeinschaft und du bist Teil davon! Zu hören bei Austrian Airlines: der Donauwalzer. Hach Wien, hach Austrian! „Gleich heben wir für Sie ab.“ Wer in Puncto Kundenbindung noch was lernen will, sollte sich an die Servicemitarbeiter der Rottaler Volksbank-Raiffeisenbank halten. Die können das ganz gut, mit Corporate Identity und so.
Das Serious Classic-Programm: „Gespräche werden zu Trainingszwecken aufgezeichnet“ (© Yuliia Yakovyna)
Egal ob bei der Durchstellung zu Kanzler Kern, der OeNB oder in der Bürgerhotline der FPÖ: Streicher und Bläser sind die Inkarnation von Seriosität am Apparat. Besonders beliebt sind Mozart und Beethoven. Erstens weil eh jedem bekannt und zweitens weil eh beide tot. Erst einmal 70 Jahre verstorben heißt das nämlich freie Werknutzung und das heißt wiederum eine Kostenersparnis von GEMA- bzw. AKM-Gebühren von mind. 155,20 Euro je 30 Amtsleitungen. Natürlich bist du bei diesen Nummern richtig bedient, sie kennen nicht nur die Wiener Klassik, sondern sind erfahren genug, alle Gespräche aufzuzeichnen, um sie dann den Mitarbeitern zum morgendlichen Workout vorzuspielen. Unangefochtene Nummer Eins des Rundum-sorglos-seriös-Pakets ist übrigens Mozarts kleine Nachtmusik.
Das Wir tun nur so als ob-Programm: „Zur Zeit dauert es etwas länger, weil sehr viele Kunden anrufen“ (© Mikael Damkier)
Diese Nummern haben verstanden, wie das Leben läuft: Täuschen, überraschen, aus dem Hinterhalt angreifen. Du bist hier nicht bei der Dixie-Klo-Vermietung, du bist beim mobilen Toilettenerlebnis. Hier spricht nicht das Arbeitsamt, sondern der Service zur Verwirklichung individueller Berufsperspektiven. Ja zur Zeit, da dauert es etwas länger, nicht weil wir nur einen Servicemitarbeiter haben, sondern weil sehr viele Kunden anrufen. Anhören tut sich das dermaßen konträr zu den Dienstleistungen bzw. zum Unternehmen, dass du gar nicht anders kannst, als in der Leitung zu bleiben. Xylophon bei Toi Toi-Klovermietung, E-Gitarre bei Post und AKH, Synthesizer bei Diözese und Finanzamt Wien. Gäbe es einen Warteschleifen-Oscar, die Air Berlin hätte ihn sich redlich verdient. Diese Lyrics, diese Stimme! Wir haben nicht nur Flugzeuge im Bauch, wir haben Kerosin im Blut (der Air-Berlin-Song hat es bis in die deutschen Charts geschafft, wurde aber schon länger aus der Leitung genommen…)
... (© Feng Yu)
Der Tod kommt still und leise und er heißt Silent Hold. Die Steigerung von mieser telefonischer Zwangsbeschallung ist nicht noch miesere telefonische Zwangsbeschallung, sondern das monotone Freizeichen. Einmal gefangen, lassen dich diese Nummern im Glauben, gleich gehört zu werden, während sie dich einlullen und dir Botschaften im Ultraschallbereich einflößen. Vielleicht solltest du besser ein Mail schreiben. Oder ein Jahresticket der Wiener Linien besorgen. Tuuuut, tuuuut. So gehört bei Stadtwerke Wien.
Eigentlich sollte das ein Worst of der nervigsten aller Warteschleifen werden. Und eigentlich habe ich sie mir schon ein bisschen schön vorgestellt, diese zarten Panflötenmelodien, eingängigen Techno-Verschnitte, das bunte Bontempi-Gedudel. Nur schade, dass es solche Hintergrund-Evergreens eigentlich nicht mehr gibt. Irgendwann zwischen Zeit-Schinden und Mozart-Covern hat die Berufssparte Telefonansager/Warteschleifen-Produzent wohl Café del Mar entdeckt. Nichtsdestotrotz, einige Kategorien kann man immer noch ausmachen. Und einige zeitlose Klassiker gibt es auch.
Sich zum Jux durch Warteschleifen klingeln, nach Kategorien suchen und keine finden? Kann man machen. Eure Lieblingswarteschleife wäre welche?