Auch am zweiten Tag fanden sich zahlreiche Highlights am Waves Vienna. Das Team von The Gap ist an allen drei Tagen in den Gürtellocations des Showcase-Festivals unterwegs.
Edna Million (do)
Die österreichische Singer-Songwriter-Sensation, die mittlerweile in Berlin wohnt, hat zwar einen kleinen Startnachteil, spielt sie doch als erster Act am zweiten Tag gleich in der wohl größten Location, dem guten alten Chelsea, vor dem die Hitze des Tages noch die Fetzen der Erinnerung an letzte Nacht verbrennt. Million hat aber dennoch auch einen Startvorteil: Ihre tiefe Stimme, die im Festival-Beipackzettel gar mit Tom Waits verglichen wird. Auch wenn sich der Publikumsraum eilig füllt – sowieso ist immer und überall viel los! –, ist ihr oft refrainloser Barfly-Folk nur echt auf Barhocker mit Neon-Backdrop. Ihre Musik, großteils vom Debütalbum »The Pool« aus dem März, für einsame Stunden und Herzen, Leid und Freud’ sind in den englischsprachigen Texten nah beisammen.
Leber (do)
Für Tifosi e Tifose des Punk dürften die Oberösterreicher*innen von Leber ein Must-see sein, spätestens seit ihrem gepflegten Abriss am Popfest und den vielen sehr tollen Singles und EPs gelten sie als »Hoffnungsträger*innen« des heimischen Krawalls. Dass sie auf jenen – völlig zurecht – gebürstet sind, daran lassen sie keinen Zweifel, das zahlreiche Publikum im viel zu kleinen Kramladen wird aufgeklärt über die Abscheu gegenüber Femiziden, Narzissten, Gebährzwang und all dem Arschloch-Gesocks da draußen. Das ist lyrisch on Point on Chiffre und vor allem auch musikalisch top. Feinstes Geknüppel, wer braucht schon mehr als 2 Minuten pro Song? Weil alle Gigs am Waves Vienna 45 Minuten gehen, bleibt also genügend Zeit für die ganze Diskografie. So muss Showcase!
Eat-Girls (do)
Die Besetzung Bass, Gitarre und Elekronik sowie mehrstimmiger Gesang und einzeln gespielte Noten lassen in Referenzkästen gerne nach Vergleichen mit den unfehlbaren The XX kramen. Was die Französ*innen mit teilweise deutschsprachigen Ansagen im Kramladen (ha!) liefern ist natürlich artverwandt mit den britischen Vorbildern, könnte aber nicht ferner liegen. Als wären The XX in einem somnambulen Albtraum gefangen, geben sich die famos benannten Eat-Girls nicht mit Harmonie zufrieden, sondern variieren ihr Set mit frickelnden, krachenden, entrückten Klangelementen, maximal verzerrtem Hall und Dissonanz. Die Location, ordentlich vorgeschwitzt von den Vorgänger*innen verwandelt sich in ein Biotop aus Kopfnicken, staksischem Tanzen und Applaus.
Oh Alien (ln)
Synthie, Bass, Gesang. Loslassen und wachsen. Klingt jetzt erst einmal nicht neu, ist es ja auch nicht. Aber es funktioniert. Die selbsternannte Avant-Garde-Pop-Band Oh Alien und ihr Debüt-Album »What We Grow« erfinden nichts neu aber finden sich darin offenbar gut zurecht. Die Songs über alltägliche Probleme und Zwischenmenschliches machen sie sympathisch und nahbar und der dazugehörige Sound tauchte das B72 in eine verträumte, lieblich-trübe Wolke. Ob das jetzt Avant-Garde ist, darüber kann man streiten. Aber es ist auf jeden Fall guter Indie-Pop, der ankommt. Beim Publikum vor Ort und offensichtlich auch darüber hinaus. Denn Oh Alien gehören zu den sechs Nominierten für den diesjährigen XA-Export-Award. Wir drücken die Daumen!
Lucy Dreams (bf)
Eine Stunde später spielen zwei weitere Nominierte für den XA-Award am anderen Ende der Festivalstrecke im Coco. Oder sollte ich eher drei Nominierte sagen, denn die einzelnen Songs des Sets werden von der namensgebenden Computerstimme Lucy anmoderiert. Für ein Showcase, bei dem die Acts gewöhnlich versuchen möglichst viele ihrer Songs in die engen Slots zu quetschen ist dieser Fokus auf eine in sich geschlossene Performance erfrischend. Das wirkt durchdacht von den Outfits, über die Beleuchtung – mit abschließenden Feinjustierungen bis zur wortwörtlich letzten Sekunde – bis hin zur Plasmakugel als Stand-In für Lucy. Und musikalisch? Auch sehr fein! Synthie-Pop mit viel Bass, verzerrter Stimme und mitreißendem Groove. Die Nominierung überrascht nicht.
I Hate Myself Because (do)
Mit großen Vorschusslorbeeren ist die ukrainische Band mit dem wunderbar fatalistischen Namen zum Waves Vienna angereist, Empfehlungen vielerorts und ordentliches Radio-Airplay dürften ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Der Kramladen ist proppevoll, das Ein und Aus nur mit körperlichen Höchstleistungen bewältigbar, Großlocations früherer Waves-Jahre hätten gefüllt werden können, der Sound der live zum Trio Gewachsenen ist zu gut, tickt zu viele Boxen der Checker*innen. Sympathisch eskapistischer Post-Wave-Punk ist zwar im heurigen Line-up kein USP, aber nirgendwo sonst hört man ihn so dringlich, so tight, so hittig, so voller Potenzial fürs ganz Große. Absolutes Highlight!
Schnieke (ln)
»Are we starting?« – »Yes.« – so fängt Schnieke an und das Loft Wohnzimmer fühlt sich gleich wie so eines an. Die Sitzgelegenheiten (die schon bald niemand mehr benutzt) und die vielen Teppiche tragen zur Atmosphäre bei, aber Schnieke wirkt auch, als würden sie gerade irgendwo bei Freund*innen ein Wohnzimmerkonzert spielen. Sie schmeißen sich direkt ins Rennen um die sympathischste Band des diesjährigen Line-ups. Und sie bringen einen Sound, den sonst auch niemand bringen konnte. Mit Schlagzeug, E-Gitarre und Geige fetzen sie einen Mix aus traditionellen anatolischen Klängen und elektronischer Musik hin. Unterstützt von Visuals der Stadt am Bosporus bringen sie via Berlin ein bisschen Istanbul nach Wien. Laut eigener Aussage wollten sie ein tanzbares Set spielen. Die Rechnung ging auf. Ein schnieker Moment im – rasch umbenannten – Loft Tanzzimmer.
Das Waves Vienna findet noch bis inklusive 7. September in diversen Gürtellokalen statt.