Zeigst mir deins, zeig ich meins

Es gibt Leute, die haben einen Klescher. Psychologen sagen dazu Tick, Verhaltensforscher sehen´s kreativ und die Leute vom Theater nennen es einfach Spleen. Richtig arg wird es, wenn eine ganze Straße einen Spleen hat. Was sich die Organisatoren des Kinder- und Jugend-Theaterfestivals in der Jakoministraße in Graz dabei gedacht haben, hat Julia Melcher im Laufe der letzten Woche recherchiert.

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Etwas verwahrlost wirkt eine kleine Straße, inmitten des Grazer Zentrums, die weg vom Jakominiplatz in Richtung Süden führt. Das tut sie, weil viele Geschäftslokale und Wohnungen dort leer stehen. Ein Phänomen, das sich in der Grazer Innenstadt besonders abzeichnet, seit am Stadtrand ringsherum die Einkaufszentern, wie die Schwammerl aus dem Boden sprießen. Es haben vor allem die kleinen Händler immer schwerer und viele von ihnen müssen zähneknirschend das Handtuch werfen. Dabei ist die Jakoministraße ein kunterbuntes Sammelsurium aus Läden, die man im gewöhnlichen Stadtbild sonst nicht findet: alte Handwerkskunst, Trödler und ein Abflußreinigungs-Dienstleister zum Beispiel. Hier leben Menschen unterschiedlichster Herkunft und bieten ihre Waren feil. Dazwischen gähnt die Leere und ein paar dringend sanierungsbedürftige Gebäude strecken fahl ihre Dächer in den Himmel. Doch gibt es eine Institution inmitten dieses scheinbaren Nichts, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Kunst und Kultur in einen Teil des städtischen Raums zu bringen, an dem man diese am Wenigsten vermutet: Die ESC im Labor. Wahrscheinlich mit ein Grund, warum man sich heuer die Jakoministraße auch als zentralen Veranstaltungsort für das Spleen-Festival ausgesucht hat, an dem eine Woche lang für Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene, Theater gespielt wurde.

Spleen

Was sich da eine Woche lang abgespielt hat, ist allerhand und ganz sicherlich nicht alltäglich. Neben dem Theater-Programm fand nämlich ein Rahmenprogramm statt, das den gewohnten Trott der Stadt für 6 Tage aus den Angeln hob. Man konnte sich beispielsweise, für die Dauer eines Tages, als Ehrenbürger der Jakoministraße bewerben. Hatte man sich diese Ehre erworben, dann durfte man diesen Tag in einer der vielen leer stehenden Wohnungen der Straße wohen, bekam Gutscheine für die außergewöhnlichen Läden vor der Haustür geschenkt und am Abend einen Besuch vom Theater-Zustelldienst. Was das ist? Das funktioniert gleich wie mit dem Pizza-Zustellen, nur dass statt der italienischen Teigplatte eine ganze Theatergruppe ins Wohnzimmer kommt und ein Stück zum Besten gibt (ohne Artischoken und Anchovis natürlich!). Super Alternative zum Fernsehen eigentlich. Ein Newcomer der österreichischen Indie-Szene, Matthias Frey alias Sweet Sweet Moon spielte in der Jakoministraße am Montag Abend ein Konzert und kleckste noch einen Zuckerguss Musik auf das kulturelle Treiben drauf. Die Redakteure der Fetivalzeitung Spleenat waren immer live vor Ort und berichteten täglich über das Geschehen. Sitz der Redaktion war im Festival-Zentrum, im ESC. Doch was hat es jetzt damit nun wieder auf sich?

ESC

Die Kulturinitiative ESC im Labor bietet Veranstaltungs- und Austellungsraum, sowie Performanzraum in einem, der ideale Ort also, um einem Festival wie Spleen einen zentralen Vernetzungspunkt zu bieten. Denn Vernetzung von verschiedensten Formen des künstlerischen und kulturellen Ausdrucks ist das, was hier stattfindet. Die Wahl des Standorts – der "Schandfleck" Jakoministraße – ist dabei gewollt. Zeitgenössische Kunst soll sich nicht auf einer abgehobenen, unzugänglichen Ebene befinden, in einem noblen, teuren Austellungsraum, sondern erreichbar und erlebbar für alle sein. So erklärt Reni Hofmüller, die künstlerische Leiterin der Institution, dass das Leben einer Stadt, mit all seinen sozialen und politischen Gegebenheiten Teil eines Prozesses ist, in dem Kunst entsteht. Sie versteht Kunst nicht nur als Produkt, das sofort greifbar oder kaufbar sein muss, sondern sieht auch den Werdegang einer Idee, die verschiedenen Irrwege der Kreativität, die oftmals gar kein bestimmtes Ziel verfolgen, als entscheidenden Teil von dem, was Kunst ist und was sie innerhalb einer Gesellschaft macht. Interdisziplinarität und einer Vielfalt von Ansätzen, sei dabei kein Riegel vorgeschoben. Doch, was hier an möglichen Möglichkeiten einzigartig ist, überkreuzt sich mit den Plänen, die die Stadtregierung für die Revitalisierung der Jakoministraße hat.

Politics

Die zuständige Stadträtin Sonja Grabner sieht die Zukunft der Gegend in der Teilnahme zum City of Design-Award und in der damit verbundenen Förderung der Creative Industries, deren Aufgabe es sein soll die Straße durch neues Design und Ansiedlung kreativer Unternehmen, wieder attraktiver zu machen. Ein Vorhaben, dass sicherlich die Wirtschaft in dieser Sparte erheblich ankurbeln soll. Abgesehen davon würde eine weitere Auszeichnung, der Kulturhauptstadt und Menschenrechtsstadt Graz, erneut internationale Aufmerksamkeit verschaffen. Es winkt viel Geld. Hier hakt Hofmüller aber ein: "Revitalisierung bedeutet, wie das Wort schon sagt, das Leben in die Straße zurück zu bringen. Dazu wird es nicht reichen, alles mit neuem Design nach Außen hin zu verschönern. Die Diskussionen mit den Bewohnern der Straße, die hier seit Jahren leben, laufen schon lange, aber Kommunikation mit diesen Menschen findet nicht wirklich statt, genau so wenig, wie eine spürbare Veränderung." Wenn die Jakoministraße wieder ein Ort werden soll, an dem sich die Menschen aus Graz gerne aufhalten, dann müsste man die Menschen auch in diesen Prozess der Veränderung mit einbeziehen und ihren Ideen Raum zur Umsetzung geben.

Theater

Das Spleen-Festival hat bestimmt viel dazu beigetragen, dass diese leer und ausgestorben wirkende Straße – zumindest für die Dauer einer Woche – wieder zu einem lebendigen Ort geworden ist. Trotz unentwegten Schneefalls und eisiger Temperaturen, wurde mitten auf der Straße Theater gespielt. Hier machte der Name des Festivals seinen Protagonisten alle Ehre, denn unbedarfte Passanten, an denen das Wissen über den Grund des Geschehens irgendwie vorübergenangen war, sahen allenfalls ein paar Spinner, die seltsam gekleidet, laut schreiend, auf dem Gehsteig ihre Faxen machten. Es wurde sogar die Polizei wegen öffentlichen Raufhandels alamiert. Mit so viel Kultur auf einem Fleck hatte man nicht gerechnet. Also, wenn das keine Wiederbelebung ist? Es bleibt jedenfalls abzuwarten, was sich nach dem Festival noch tun wird: Die hohe Kunst der Politik erfindet sich im Design neu, während das Leben als Kunstform weiter im dialogischen Abseits verharrt und an den Wegen zum pluralistischen Ausdruck feilt. Von der Idee zum Spleen eben.

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