Was darf ein Subkulturverein? – Zur Schließung des Venster 99

Das gesetzliche Regelwerk für Veranstaltungslokale ist streng und überholt. Bevor wir es erneuern, müssen wir uns die Frage stellen, ob Vereine mit geringen Auflagen in denselben Gewässern fischen dürfen sollen wie gewerbliche Venues.

© Manuel Fronhofer

Mit dem Venster 99 musste zuletzt ein langjähriger Kulturraum am Wiener Gürtel schließen. Laut Magistrat sei der seit 2006 bestehende Verein ähnlich einer Bar als sogenannter Gastgewerbebetrieb geführt worden. Verantwortliche des Venster 99 geben hingegen an, als nicht kommerzieller Verein keine Gewinne erzielt zu haben. Tatsache ist: Das Venster 99 bleibt auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Diskussion um die Schließung führt aber weit über diesen Kulturverein hinaus und in den Paragrafendschungel der Gewerbeordnung hinein.

Dort wird nämlich festgelegt, wann ein Gewerbe ein Gewerbe ist. Wesentlich sind das »gastgewerbliche Erscheinungsbild« und die »Ertragserzielungsabsicht«. Verkaufen Vereinsmitglieder in ihrem Vereinslokal zum Beispiel Getränke oder bieten diese gegen freie Spende an, kann die Behörde eine Gewerbetätigkeit vermuten. Sollte ein Vereinslokal außerdem mehrmals in der Woche geöffnet haben und keine Mitgliederliste führen, verstärkt das die Annahme, dass der betreffende Verein wie ein Gewerbe betrieben wird.

Paragrafendschungel

An diese gesetzlichen Vorgaben müssten sich auch namhafte Subkulturvereine halten, hebt Andrea Leitner, Pressesprecherin der Magistratsdirektion der Stadt Wien, auf Anfrage hervor. Auch wenn der Verein nun betone, gemeinnützig gehandelt zu haben, sei er »realiter gewerbsmäßig betrieben« worden. Zu dieser Feststellung sei die Behörde im Falle des Venster 99 nach »mehrfachen Überprüfungen durch unterschiedliche Kontrollorgane« gekommen, so Leitner. Auch in einem Bericht des Marktamtes Wien, der dem Verein vorliege, sei dieser Sachverhalt festgehalten.

Offiziell führt die Magistratsdirektion Lärmbeschwerden als Grund für die Kontrollen an. Das sei in der bisherigen Kommunikation mit dem Venster 99 jedoch nicht mitgeteilt worden, erklärt Thomas Jirku von der Vienna Club Commission (VCC). Zwar kämen Lärmstörungen am Wiener Gürtel immer wieder vor – es handelt sich um eine der am stärksten befahrenen Straßen Österreichs –, mit der Gewerbebehörde hätten mögliche Lärmbeschwerden aber nichts zu tun, führt Jirku aus.

Vermehrte Kontrollen

Dass es in der jüngeren Vergangenheit zu vermehrten Kontrollen in Clubs kam, dürfte einen anderen Grund haben. An Silvester 2023 starb eine Frau bei einem Brand in einer Grazer Bar. 21 weitere Personen wurden teils schwer verletzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen Mitarbeiter*innen des zuständigen Magistrats. Der Verdacht: Amtsmissbrauch wegen fehlender Kontrollen. Österreichweit sei es deshalb zu Schwerpunktaktionen in Clubs und Lokalen gekommen, vermutet die VCC.

Inwiefern die Kontrollen von Magistrat, Direktion und Finanzpolizei im Venster 99 mit dem Vorfall in Graz zusammenhängen, lässt sich nicht eindeutig sagen. Auch unsere Anfrage an den Verein blieb unbeantwortet. Jirkus Einschätzung nach führe die Debatte allerdings zu mehreren Fragen: Man müsse klären, wie die Beziehung zwischen Vereinslokalen und gastgewerblichen Betrieben – mit künstlerischem Nischenprogramm und ähnlichem Zielpublikum – aussehe und wie die Koexistenz dieser Orte funktionieren könne. Fragen, die ein Spannungsverhältnis vermuten lassen. Schließlich müssen sich Vereinslokale an weniger Auflagen halten als eine gewerblich geprüfte Bar.

Die Diskussion um Vereinslokale und Gastgewerbebetriebe besteht schon länger. So forderte die Interessenvertretung der freien Kulturarbeit in Österreich (IG Kultur) bereits 2016 eine Änderung der Gewerbeordnung. »Die Ausnahme für Kulturinitiativen von dieser Ordnung wäre ein kohärenter Schritt in der Entrümpelung der Gewerbeordnung«, heißt es dort. Außerdem würde die Arbeit der Vereine durch »sichere Rahmenbedingungen« und den Wegfall »unnötig bürokratischer Auflagen« erleichtert werden.

Thomas Jirku, Vienna Club Commission: »Orte wie das Venster 99 sind essenzieller Bestandteil einer Stadt und tragen zu einem lebendigen Kulturleben bei.« (Bild: Manuel Fronhofer)

Das angeführte Kriterium der Gemeinnützigkeit könnte in dieser Angelegenheit wichtig sein. Ein Verein wie das Venster 99 wird von ehrenamtlichen Mitgliedern betrieben und ist auf keinen wirtschaftlichen Vorteil ausgerichtet. Das heißt: Erhält ein Verein eine freiwillige Spende für ein Dosenbier, diene das »ausschließlich der Erfüllung des ideellen Zwecks der Initiative«, wie die IG Kultur schreibt. Man könnte auch sagen: Die Spenden erhalten einen nicht kommerziellen Veranstaltungs- und damit Kulturraum – gerade indem er frei zugänglich ist und mehrere Tage in der Woche geöffnet hat.

Folgt man dem aktuellen Gesetzestext, kann diese Herangehensweise für das Vereinslokal jedoch übel enden. Vermutet die Behörde nämlich »gewerbsmäßige Ziele«, kann es zur Schließung kommen. Das Sub in Graz, ein selbstorganisierter Verein samt Lokal, musste 2019 schließen, weil Getränke gegen Spenden ausgeschenkt worden waren. Erneut öffnen konnte das Sub nur, weil auf die Bar verzichtet wurde. Seither gibt der Verein an, dass Veranstaltungen ausschließlich »vereinsintern« seien. Auch der Wiener Kulturverein Einbaumöbel – unmittelbarer Gürtelbogen-Nachbar des Venster 99 – betont im jüngsten Vereinsnewsletter, dass der »Vereinsraum und somit auch die Veranstaltungen nur für Mitglieder zugänglich« seien.

Grenzen für Vereinslokale?

Den Barbetrieb dauerhaft einzuschränken, dürfte für Vereine wie das Venster 99 allerdings keine Lösung sein. Hier bleibt derzeit die Frage offen, wie sich das Spannungsverhältnis zwischen Vereinslokalen und Gastronomiegewerbe lösen lässt. Dafür bräuchte es zunächst eine politische Diskussion darüber, ob Vereinskonzepte mit ihren geringeren Auflagen ähnliche Zielgruppen bedienen können sollen wie gewerbliche Betriebe, die strenge Regelungen und Eignungen erfüllen müssen.

Der Gesetzestext hinkt in dieser Konstellation hinterher. Eine Änderung, wie von der IG Kultur vor Jahren vorgeschlagen, wäre eine mögliche Lösung. Für Jirku von der VCC ist jedenfalls klar: Orte wie das Venster 99 sind essenzieller Bestandteil einer Stadt und tragen zu einem lebendigen Kulturleben bei. Das Venster 99 habe in den letzten Jahren vielen Musiker*innen zu ersten Bühnenerfahrungen verholfen. Außerdem sei der Raum ein Experimentierfeld ohne ökonomische Zwänge. Auch deshalb wolle die VCC das Venster 99 »unter Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen« unterstützen.

Aktuell ist das Venster 99 noch geschlossen. Zwischen dem Verein, dem Magistrat und dem Bezirk laufen aber Verhandlungen.

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