„Kingdom Come: Deliverance“ entführt nicht nur inhaltlich, sondern auch spieldynamisch und ideologisch in die Vergangenheit.
Eine realistische Reise ins Mittelalter haben Chef-Entwickler Daniel Vávra und seine Warhorse Studios den Unterstützerinnen und Unterstützern ihrer Kickstarter-Kampagne versprochen. Und sie haben sich sichtlich bemüht, dieses Versprechen einzulösen. Für „Kingdom Come: Deliverance“ wurde das Böhmen des frühen 15. Jahrhunderts in Polygone gepresst, mit seinen Wäldern, Wiesen und Dörfern, den Strohdächern, den Burgen und den schlammigen Straßen dazwischen. Heinrich, der Held des Spiels, muss essen und schlafen. Die meisten Nahrungsmittel sind schnell verdorben und wenn er am falschen Ort sein Schwert zieht, wird er von den Wachen niedergeknüppelt und in den Kerker geworfen. Heilzauber gibt es genau so wenig wie Orks und Drachen und eine vollständige Rüstung besteht aus mehr Teilen als eine Lego-Ritterburg.
Spielerische Stolpersteine
Darüber hinaus ist „Kingdom Come: Deliverance“ ein recht klassisches Rollenspiel. Was Heinrich tut, lässt ihn ebendarin besser werden. Sowohl er als auch seine Ausrüstung werden durch Zahlenwerte definiert, die Erfolg und Niederlage mitbestimmen. Und Entscheidungen in Dialogen beeinflussen den Fortlauf der Geschichte.
Auch spieldynamisch tut sich hier eine Reise in die Vergangenheit auf, zurück zu Sperrigkeiten, die so nicht mehr ausgegraben hätten werden müssen. Mittelpunkt aller Frustmomente ist dabei das Speichersystem, dass nur bei wichtigen Quest-Abschnitten automatisch speichert. Wer manuell seinen Spielstand sichern will, muss Schnaps trinken. Und der kostet mehr als der Verkauf einer einfachen Rüstung einbringt. Nicht speichern zu können, kann schon einmal die Spannung erhöhen, aber nicht, wenn lange Spaziergänge zum Spielsystem gehören. Nicht, wenn ein einfacher Dialog ungewollt in einem Faustkampf enden kann, der Wiederum die Wachen auf den Plan ruft. Nicht, wenn ein unnötig frustrierendes Schloss-Knack-Mini-Game zwischen Quest-Erfolg und Heinrichs Tod entscheidet. Das Spiel lässt seine Spielenden viel zu sehr im Dunklen tappen, um sie frustfrei eine halbe Stunde zurückzuwerfen, weil gerade kein Speicherpunkt erreicht wurde.
Überhaupt entsteht der Eindruck, Warhorse habe sich in der Umsetzung einiger spannender Ideen ordentlich übernommen. Vieles wirkt unfertig, überall lauern Bugs und Sackgassen, ganze Stadtbevölkerungen geben auf manche Fragen die exakt gleiche Antwort und einige wichtige Details werden ganz einfach nirgends erklärt.
Politik und Spiel
Und dann ist da noch die Sache mit der historischen Exaktheit. Daniel Vávra hat vorab schon für Aufregung gesorgt, als er zynisch und verständnislos auf Kritik am Bild eines rein weißen europäischen Mittelalters reagiert hat. Während diese Diskussion im Hinblick auf das Spiel selbst ein weiteres Mal aufzeigt, das „historische exakte“ Spiele auch immer nur eine mögliche Interpretation der vorhandenen Daten darstellen, und diese Interpretation dann selbstverständlich auch noch auf den Rahmen eines Spiels verkürzt werden muss, führt die Person Vávra zur alten Frage nach der Verbindung von Künstler und Werk.
Wenn Vávra bei Presseterminen T-Shirts rechtsradikaler Musiker trägt und sich auf Twitter über Kritik an „seinem“ weißen Mittelalter lustig macht, dann tut er das ganz bewusst im Kontext der Spielentwicklung und –bewerbung. Das Argument, man dürfe das Werk nicht für einen seiner Macher kritisiere, ist in dem Fall also durchaus problematisch. Gerade angesichts der schon länger laufenden Diskussion um die Abwesenheit von Nicht-Weißen im Spiel, ist diese auch ein politisches Statement. Genauso wie der Umstand, dass Heinrichs Charakterwerte ihm kostenlose Huren bescheren können, mit Vávras Unterstützung von #GamerGate in Verbindung steht.
Spiele sind immer auch politisch. Und öffentlich auftretende Entwickler sind nicht nur Privatpersonen mit privaten Meinungen. Das beweist Vávra gerne selbst, indem er auf einen Beschwerde-Tweet an Warhorse zu seiner Person antwortet: „Thanks for reporting me. I’m actually founder of the studio, so not sure it will help.”
„Kingdom Come: Deliverance“ ist bereits für PC, PS4 und Xbox One erschienen.