Zwei mal zwei macht queer

Queere Identitäten in der Musikbranche stehen auch heuer auf dem Programm des Identities Film Festival. Die Lebensgeschichten von vier Musikerinnen stehen dabei besonders im Vordergrund.

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Dass Kristen Stewart halbwegs gut singen kann, hat sie schon als Trailer Park Cutie in »Into The Wild« bewiesen. Mit E- statt Akustikgitarre ist sie nunmehr erneut in einem alten Wohnwagen beim Musikmachen zu sehen. »The Runaways« stellt als Biopic der titelgebenden Punkrockband der 70er vor allem Gitarristin Joan Jett (gespielt von Stewart) und Leadsängerin Cherie Currie (Dakota Fanning) in den Vordergrund. In dem Musikfilm mit Coming-of-Age-Elementen werden queere Thematiken jedoch nur gestreift.

Ein anderer Musikerinnenfilm im heurigen Identities-Programm widmet sich einem neuseelandspezifischen Kuriosum: Jools und Lynda Topp sind – simplifiziert ausgedrückt – lesbische, jodelnde Zwillingsschwestern. Was auf dem Papier eher nach kommerziellem Ruin schreit, funktioniert in der Praxis einwandfrei. Als Country-Musikerinnen und Comedians sind sie in ihrem Heimatland höchst prominent. Die Doku über die beiden nennt sich zwar »The Topp Twins: Untouchable Girls«, präsentiert die Geschwister jedoch aus recht intimer Nähe und macht die Kultfiguren greifbar.

Zwei All-Girl-Bands, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, porträtiert in zwei Filmen sehr verschiedenen Formats zeigen, dass man weder den Musikfilm noch »queere« Bands über einen Kamm scheren kann.

Jail-fucking-bait. Jack-fucking-pot.

Für das Band-Drama »The Runaways« ist Gender-Uneindeutigkeit eine Facette von vielen im Image-Gemenge der stilprägenden Punkrockformation: Obwohl vom Manager Kim Fowley (amüsant dargestellt von Michael Shannon) als aufreizende Sex-Kittens mit ungestümem Hard-Rock-Temperament vermarktet, haben sowohl Joan als auch Cherie etwas Queeres an sich. Dies schlägt sich nicht nur ihrem androgynen Körperbau nieder, sondern auch in der Wahl ihrer Vorbilder. Während Cherie bei einer Talentshow David Bowie personifiziert, kommt Joan in ihrem Auftreten einer Mischung aus Suzi Quatro und Keith Richards gleich.

»The Runaways« hat vor allem durch die Kussszene zwischen den beiden Up-and-Comers und »Twilight«-Co-Stars Stewart und Fanning für Aufsehen gesorgt. »I wasn’t allowed to grope her«, erzählte Kristen Stewart im Interview im Hinblick auf das zarte Alter ihrer erst 15-jährigen Kollegin. Dass die Szene auch für die Regisseurin Floria Sigismondi ein Rather Big Deal war, lässt die filmische Umsetzung erahnen. Dafür, dass der Kuss sowohl von Stewart als auch von der realen Joan Jett selbst als Banalität abgetan wird, wirkt der Moment etwas überstilisiert. In rotes Licht getaucht, gehen die schemenhaften Gestalten in einer Menge Schall und vor allem Rauch unter. Das Ganze hat etwas sehr Musikvideohaftes, was die Vermutung aufwirft, dass Sigismondi angesichts der Konfrontation mit einem derartigen Halbwegs-Tabu im Zweifel in jene stilistischen Gefilde ausweicht, aus denen sie ursprünglich stammt. (Der Kreis schließt sich: Mitte der 90er drehte die Regisseurin zwei Clips für David Bowie.)

Im Vordergrund steht aber das Female Empowerment der Gruppe. Mit Sprüchen wie »My brother says, guys don’t like girls that are tough« und »Girls don’t play electric guitars« konfrontiert, wollen die Mädchen aus der Tretmühle traditioneller Geschlechterrollen ausbrechen. Zwar bedarf es ein paar Schubsen von Seiten des profitgeilen Svengali Fowley, dennoch ist klar, dass die Musikerinnen als erste »all-girl rock band« eine bahnbrechende Rolle in der Musikgeschichte einnehmen.

Verliebt, verwegen, von verzopft keine Spur

Während in »The Runaways« gleichgeschlechtliches Experimentieren nur einen Teil der »Sex, Drugs and Rock’n’Roll«-Trinität ausmacht, haben die neuseeländischen Topp Twins Fragen sexueller Orientierung und geschlechtlicher Uneindeutigkeit gewissermaßen zum Programm gemacht. Sie treten – auch mit konkretem politischem Engagement – für Gleichberechtigung und Akzeptanz ein. Ihr Act ist höchst subversiv, zumal Country & Western-Musik tendenziell sehr geschlechtsspezifisch codiert ist. Obgleich das Bild von Country als Musik weißer, männlicher, reaktionärer Hinterwäldler ein Klischee ist, sind die Geschlechterverhältnisse dieses breitenwirksamen Genres nach wie vor sehr klar verteilt.

Die Topp Twins sind vollkommen Mainstream. Dass sie out-of the-closet sind, ist insofern von großer Bedeutung. Die Tatsache, dass sie ihre Beliebtheit bei den Massen nutzen, um sich für das Gay Rights Movement einzusetzen, macht sie gewissermaßen zu einem »anarchist variety act«. Auf humorvolle Art wird dem gängigen Bild der Redneck-Country-Musik etwas entgegengesetzt, mal subtil-blumig in Form eines lesbischen Liebesliedes, mal aufrührerisch durch richtiggehende Protestsongs. Bereits seit 30 Jahren im Geschäft, stehen die Topps unter anderem auch mit dem beliebten Cross-Dressing-Act »Ken and Ken« für die Sichtbarmachung eines queeren Lebensstils. Anders als in der Punkrock-Szene der Runaways adressiert ihre Country-Musik nicht ein ohnehin tendenziell liberales Publikum und hat nicht mit dem Fallstrick des »Preaching-to-the-choir«-Dilemmas zu kämpfen.

Two voices, like the same voice in stereo

Dabei haben die Schwestern, wie die Doku »The Topp Twins”« (Regie: Leanne Pooley) belegt, ganz einfach nur Spaß und das färbt auf das Publikum ab. Sie singen über Homosexualität und die Leute stört das kein bisschen. Der Unterhaltungsfaktor überwiegt. Auf der Bühne sind die Topp Twins ausgesprochen offen und bieten zu jedem Lied eine Anekdote aus ihrem Leben.

Der Film tut es den Schwestern gleich: er überzeugt ebenfalls durch Unverblümtheit und Humor und wirkt in seiner Gesamtheit sehr stimmig. Er spannt den Bogen von der musikalischen und politischen Karriere der Topps zu ihrem Privatleben und zeigt sich gegen Ende von seiner ernsteren Seite, indem er Jools‘ Kampf gegen Brustkrebs thematisiert. Nicht nur in Bezug auf seine Musik ist das Duo konsistent unisono. Der sehr enge schwesterliche Bund wird auch im Privaten deutlich, die lebensfrohen Schwestern wirken unzertrennlich in jeder Lebenslage.

Diese Harmonie kontrastiert deutlich mit dem Ungestüm der Runaways. Schon im Sinne einer soliden Rock-Saga ist »The Runaways« auf bandinterne Dramatik angewiesen: In Widerspruch zu Erzählungen der realen Joan Jett wird die Beziehung zwischen Cherie und Joan im Film zwar als (sowohl psychisch als auch physisch) sehr eng dargestellt, endet jedoch in einem Zerwürfnis, das letztlich zur Auflösung der Band führt. Ein (historisch ebenfalls fragwürdiges) Happy End wird allerdings auch hier nicht gänzlich verwehrt. Was über solche Unterschiede hinweg aber von beiden Filmen im Gedächtnis bleibt, ist die unbändige Stärke und Dynamik ihrer Protagonistinnen, die die Ketten ihrer jeweiligen, sehr geschlechterspezifisch codierten Musikgenres sprengen.

Das Queer Film Festival Identities findet von 2. bis 12. Juni statt.Programm und Details unter www.identities.at

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