Die Lieblings-Videothek ist weg

Nach 13-jährigem Bestehen, schließt eine der wichtigsten Videotheken Wiens seine Pforten. Alphaville in der Schleifmühlgasse im vierten Bezirk markierte seit jeher einen wichtigen Bestandteil im urbanen und kulturellen Leben vieler Wiener. Trauer steht also nicht nur den langjährigen Stammkunden ins Gesicht geschrieben. The Gap traff sich mit Norman Shetler, einem der Betreiber, und plauderte mit ihm über das neue Konsumverhalten der Filminteressierten, die Schwierigkeiten und die soziale Bedeutung von einem Laden wie Alphaville und über die Weihnachtskarten von John Waters.

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Eure Video- bzw. Mediathek war immer ein Fixpunkt für Cineasten. Die Zahl der Filminteressierten schrumpft doch nicht, oder?! Was hat sich verändert und woran lagen die Schwierigkeiten in eurem konkreten Fall?

Der Kundenrückgang begann schon vor 5 Jahren und hatte sicherlich mehrere Gründe. Einerseits gab es 2004/2005 plötzlich Konkurrenz in Form des 8 ½, die wirklich hervorragende Arbeit leisten. Ein paar Jahre später kam dann noch das OZ im siebten Bezirk dazu. Einer der Bezirke, wo naturgemäß ein großer Teil unserer Zielgruppe beheimatet ist. Zum anderen wurde DVD, sehr im Gegensatz zur CD übrigens, sehr rasch zur absoluten Massenware, die Releases kamen schnell und zahlreich und innerhalb weniger Jahre gab es ein unfassbar großes Angebot an Klassikern, Avantgarde, Serien, Trash, you name it. Das alles zu kleinen Preisen und durch Anbieter wie Amazon sehr leicht und schnell verfügbar.

Die Download-Sache ist sicherlich auch ein Thema, das einen wesentlichen Platz in dieser Debatte einnimmt. Was anfangs den Digital Natives, Early Adopters und Quasi-Geeks vorbehalten war und bei den meisten anderen Leuten durch eine gewisse Hemmschwelle noch verhindert wurde, ist mittlerweile eine vollkommene Selbsverständlichkeit geworden. Das kann und soll man nicht beschönigen, aber andererseits möchte ich nicht, dass das reißerisch zum Grundübel erklärt wird, weil es das nicht ist.

Es ist eben so, dass durch diese unglaubliche, direkte, unmittelbare Verfügbarkeit von Inhalten und Medien ein Paradigmenwechsel stattfand, der uns als Konsumenten ausnahmslos alle betrifft. Wer gewohnt ist, innerhalb von Sekunden ein Musikvideo oder einen Fernsehauftritt auf Youtube zu sehen oder einen neuen Track auf Soundcloud zu hören wird über kurz oder lang nicht den Weg auf sich nehmen wollen, den Film, von dem er grad in seinem Lieblings-Blog gelesen hat, in der Videothek auszuleihen. Vor allem, wenn ebendieser Film, bedingt durch veraltete Zeitfenster und Verleihstrukturen vielleicht erst in einem Jahr ebendort verfügbar sein wird.

Wo führt dieser Paradigmenwechsel – Inhalte sind online leichter, bequemer und billiger zu beziehen – im Musik-und Filmbereich deiner Meinung nach noch hin? Muss man Konzepte wie eures zwangläufig ins Netz verlagert und lässt sich das als Kleinunternehmer überhaupt realisieren?

Es ist eben als Liebhaberprojekt möglich oder als – ganz bewusst pauschalisiert ausgedrückt – Downloadplattform, wobei eine Mischform sicherlich spannend wäre. Aber auch hinter Downloadplattformen steckt eine Menge Logistik, man muss genauso Werbung betreiben, in CI, PR, Pressearbeit investieren, vor allem weil man ja als Konsument ohnehin überladen ist von Angeboten.

Da hat man es, behaupte ich mal, als physische Lokalität schon leichter, in den Köpfen der Menschen zu bleiben. Aber als kapitalistisch denkender Mensch, und das muss man zwangsläufig als realistisch denkende und handeln wollende Geschäftsperson auch sein, sehe ich da keinerlei Zukunft, nein. Concept Stores funktionieren sicherlich bedingt weiter, Pop-Ups in irgendeiner Form zumindest kurzzeitig auch. Aber heutzutage muss man flexibel bleiben, sich neu erfinden, adaptieren und konzipieren.

Was würde es eurer Meinung nach brauchen um Läden wie euren in Zukunft halbwegs gewinnbringend am Leben zu erhalten? Ein besseres Förderungssystem vielleicht?

Viele Leute haben gefragt, ob man nicht irgendwie über die Stadt Wien so etwas wie Alphaville hätte fördern lassen können, aber ehrlich gesagt, das wäre nie in unserem Sinn gewesen. Man verliert ein Stückchen Unabhängigkeit, da braucht man sich nix vormachen. Wir waren immer ziemlich kompromisslos in all unseren Handlungen, auch wenn es Untätigkeit und Apathie war. Und wir sind niemandem Rechenschaft schuldig gewesen, das ist schon ein unglaublicher Luxus, den man nicht so einfach hergeben möchte.

Soweit man weiß, gab es ja die Option Alphaville als Liebhaber-Projekt weiterzuführen. Warum kam es nicht dazu?

Ich für meinen Teil bin seit Dezember 2008 im Gartenbau-Kino tätig und da bleibt keine Zeit. Manchmal nicht einmal zum Filmschauen. (lacht!)

Was die ‚Alphavillains’ betrifft, denen wir diese Möglichkeit natürlich angeboten haben. Diese waren alle schon sehr lang dabei und hatten zum Teil auch schon die sprichwörtliche Decke erreicht. Zwei davon machen Filme und sind auch sonst im Filmbusiness recht umtriebig, eine ist Schauspielerin, eine Andere widmet sich Vollzeit ihrer Akademischen Karriere und so weiter. Da eine Stange Geld in Hand zu nehmen und dieses Risiko auf sich zunehmen erfordert schon sehr viel Mut.

Was passiert mit den Filmschätzen die nicht beim großen Abverkauf unter den Hammer kommen?

Mal sehen was da noch übrig bleibt – besonders viel wird es wohl hoffentlich nicht sein. Ich denke mal, dass wir da einfach eine Damenspende beim Abschlussfest machen oder die DVDs als Untersetzer für Getränke verwenden. (lacht!)

Blutet einem da nicht das Herz?

Es hat in seiner Konsequenz auch was Romantisches, irgendwie. Es ist ein bisschen so wie einen Film rückwärts abspielen; so wie sich in er Anfangszeit das Geschäft stetig gefüllt hat wird es nun wieder entleert. Wesentlich schneller allerdings. Klar tut es weh aber es war der einzig konsequente Entschluss. 3500 Filme hat das Filmmuseum gekauft und wird sie, über kurz oder lang, auch in irgendeiner Form zur Verfügung stellen. Der Rest geht in die Hände, die dafür gesorgt haben, dass wir sie überhaupt kaufen konnten, unseren Kundenstock also. Selber wollten wir nichts einbehalten, das wäre ein wahres Fass ohne Boden gewesen.

Was ist für die Abverkaufszeit noch geplant?

Es wird eine Closing Party geben. Die wird voraussichtlich am Wochenende des 5./6. November, also gleich anschließend an die Viennale, stattfinden und einige unserer liebsten DJ-Kunden featuren. Und vielleicht ein paar Leute aus England. Und vielleicht Tex Rubinowitz. Lasst euch überraschen. Location ist derzeit noch das Hauptproblem, aber da sind wir für jegliche Ideen sehr offen.

Die schönste Alphaville-Geschichte eurerseits?

Mir fallen da Hunderte ein. Begegnungen mit Leuten wie John Waters zum Beispiel, der uns übrigens noch immer Weihnachtskarten schickt.

Alphaville war im Kern einfach ein Betrieb mit Kundenverkehr wie jeder andere, nur mit dem Unterschied, dass hier wirklich Menschen aus allen Ländern, Religionen, Orientierungen, Herkünften, Ansprüchen vorbeikamen, vom UNO-Kurzzeitbediensteten bis zum philippinischen Botschafter, vom Mistkübler bis zu den Proto-Bobos und vermeintlichen Opinion Leaders dieser Stadt und natürlich einer Vielzahl an Kulturschaffenden aus allen Sparten und Bereichen. Afrikaner kamen um sich Nollywood-Filme auszuborgen, das indische Restaurant um’s Eck tauschte Essen gegen Filme, das Trendhotel holte für Robbie Williams DVDs, Eddie Izzard ging wochenlang ein und aus, natürlich in Rock und High Heels.

Das war ja auch immer unser Anspruch, möglichst viele Leute auf möglichst vielen Ebenen anzusprechen und nicht nur Filme anzubieten, die wir selber gut finden oder die in einem gewissen Kanon verewigt sind, sondern auch Filme die vielleicht nur kurzzeitig eine gewisse kulturelle Relevanz haben und woanders nach ein paar Wochen wieder veschwunden sind.

Wir waren wirklich sehr dahinter, möglichst demokratisch zu agieren. Mainstream nicht automatisch zu verteufeln oder sich in stupiden Begrifflichkeiten zu verlieren. Alleine das Wort "Arthouse" löst bei mir Aggressionen aus. Viele Leute haben uns schief angeschaut, weil wir ihnen dann doch nicht elitär genug waren, das hat mir durchaus Freude bereitet, weil das so ein verlogener Zugang zu Kultur war, der da betrieben wurde.

Weitere Information und Kondolenz-Buch unter: www.alphaville.at

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