Seit genau 100 Jahren führt die Familie Kolarik im Wiener Prater das Schweizerhaus. Zwischen Stelzen und Budweiser, Tradition und Hightech, wird hier Erlebnisgastronomie der ganz alten Schule gepflegt.
Der Wiener Prater ist im Winter ein trister Ort. Wenn es einen froh macht, kann man die schnurgerade Hauptallee rauf- und runterjoggen, oder im Grünen Prater durch die Botanik spazieren. Immerhin eilt dem Areal mit seinen sechs Quadratkilometern ein guter Ruf als »grüne Lunge« Wiens voraus. Aber im Wurstelprater, dort wo zwischen Autodrom, Tagada und Ringelspiel die soziologische Musik spielt, ist jetzt tote Hose. Ein paar StädtetouristInnen verirren sich auf den legendär hässlichen Prater-Vorplatz, wo das Riesenrad auch im Jänner pflichtbewusst seine Runden dreht. Und die wagemutigsten unter ihnen verschlägt es sogar ins Wachsfigurenkabinett von Madame Tussauds für ein obligatorisches Falco-Selfie, oder was man dort sonst so macht. Aber das war’s dann auch.
So gesehen ist es überraschend, dass im Schweizerhaus reges Treiben herrscht. Schließlich hat die Gaststätte, in unmittelbarer Nähe zum 117 Meter hohen Kettenkarussell Prater Turm, eigentlich geschlossen. Hinter den Kulissen wird allerdings bereits für die Saisoneröffnung Mitte März gearbeitet. »Nach der Saison ist vor der Saison«, merkt Karl Jan Kolarik lakonisch an und sein Sohn Karl Kolarik ergänzt: »Wir haben heute für die Belegschaft ein kleines Get-together bei Maroni und Beerenpunsch veranstaltet – zum Einschwören für die nächsten Wochen und Monate.«
Die kommende Saison ist für die Kolariks eine besondere. Genau seit 100 Jahren ist das Schweizerhaus nämlich in Familienbesitz. 1920 hat Karl Kolarik, der Vater von Karl Jan, als 19-Jähriger die Gaststätte im Prater übernommen. Die war bereits damals eine gastronomische Institution mit einer Geschichte, die tief ins 18. Jahrhundert reicht. Im Laufe der Jahrzehnte trug sie illustre Lokalnamen wie Zur Tabakspfeife, Zum russischen Zaren oder Schweizer Meierei und bewirtete Gäste wie Ludwig van Beethoven, Franz Grillparzer, Hugo von Hoffmannsthal oder Arthur Schnitzler. Aber es war der junge Geschäftsmann und Fleischermeister Kolarik, der ab 1920 den Grundstein legt, um aus dem Praterlokal die Bier-Pilgerstätte zu formen, die man heute kennt. Und das, obwohl nach dem Zweiten Weltkrieg der gesamte Prater Schutt und Asche war und Kolarik von Neuem beginnen musste.
»Nach der Saison ist vor der Saison.«
— Karl Jan Kolarik
»Mein Vater war sehr einfallsreich«, erinnert sich Karl Jan Kolarik und erzählt, wie der Senior mit den Rohscheiben die Kartoffelchips erfand, als erster in Wien eine Schauküche installierte und einige Jahrzehnte später mit dem »Radomat« eine Maschine patentierte, die Bierrettich automatisch in feine Scheiben säbelt. »Das Patent dafür ist vor einigen Jahren abgelaufen«, merkt Karl Jan an und erzählt auch, dass nicht alles immer gelang, was sein Vater ausprobierte. So wurde Wiens erste »Englische Fischbratküche« vom Publikum ebenso wenig angenommen, wie der heute sagenumwobene »Wurstomat«, der nach Münzeinwurf und kräftigem Drehen an einer Kurbel heiße Würste ausspuckte.
Aber beim Bier, da hatte Karl Kolarik senior sofort den richtigen Riecher. »In den Anfangsjahren wurde im Schweizerhaus Pilsner Urquell ausgeschenkt, aber das hopfenherbe Bier war in der Gunst des Publikums gesunken. Auf einer Reise durch Südböhmen entdeckte mein Vater Budweiser Bier.«
Das war vor über 90 Jahren. Seitdem wird das Schweizerhaus mit Bier aus Budweis versorgt. Und die Bekömmlichkeit des Gerstensaftes, vor allem aber die Mengen, die an heißen Tagen hier von durstigen Kehlen vertilgt werden, machen einen guten Teil vom Mythos dieses Ortes aus. An gut besuchten, heißen Tagen können das nämlich schon einmal 6.000 bis 7.000 Krügerl sein. Über genaue Zahlen spricht man nicht so gerne. Über die Qualität des Bieres dafür umso lieber.
Auch weil Karl, der junge Geschäftsführer des Traditionshauses und Enkel des Gründers, auch eine Ausbildung zum Biersommelier absolvierte: »Bevor das Budweiser Bier die Brauerei verlässt, darf es noch ein Vierteljahr im kühlen Keller reifen. Wenn es bei uns im Schweizerhaus ankommt, ruht es im 50-Liter-Fass noch einmal eine Woche, weil es ja am Transportweg ordentlich durchgeschüttelt und gerüttelt wurde.«
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