20 Jahre Female Pressure: Wo stehen wir heute?

Seit knapp 20 Jahre besteht die Datenbank Female Pressure, die bis heute aufzeigen soll, dass Frauen in der elektronischen Musik keine exotische Nebenerscheinung sind. Was ist seitdem passiert, wie agiert die Wiener Szene und was leisten neue Initiativen wie Femdex? Ein Überblick.

Boy Group +1, bitte

Letztendlich funktionieren Bookings dennoch oft über Freundeskreise, die gerade in der Szene ebenfalls oft männlich dominiert sind. Dort, wo viele Frauen im Line-up stehen, befinden sich meist auch viele Frauen im Organisationsteam – und umgekehrt. »Ich glaube, das hat sich oft so entwickelt, die Typen legen auf, die Frauen machen Kassa, Deko oder Flyer, und das verhärtet sich eben. Wenn man von einem Kollektiv mit vier Typen ausgeht, das einen männlichen Headliner bucht, dann wird es schwierig, wenn alle selbst spielen wollen«, so Therese Kaiser. Doch auch Freundeskreise und die oft zitierten »Boy Groups« lassen sich erweitern. Matthias Markovits, Veranstalter von Dead Sea Diaries, erklärt etwa, dass er durch den Artikel von Hannah Christ im vergangenen Jahr durchaus aufmerksamer wurde: »Die Diskussion um die Thematik hat bei mir eine gewisse Neugierde geweckt und ich habe mich aktiv damit beschäftigt, welche weiblichen DJs tatsächlich in Wien tätig sind und mit wem wir musikalisch harmonieren. Der Grund, jemanden zu buchen, ist natürlich das Verständnis für die Sparte, die wir abdecken. Mit Mælanin und Welia habe ich mittlerweile beispielsweise zwei DJs gefunden, mit denen ich mich einerseits musikalisch identifizieren kann und die andererseits auch zu meinem unmittelbaren Freundeskreis gehören.«

Mehr Zusammenarbeit wünscht sich auch Susanne Kirchmayr – nicht zuletzt, weil dadurch alle profitieren würden. Statt einem 50:50-Line-up plädiert Kirchmayr mittlerweile für eine Drittelung, bestehend aus weiblichen, männlichen und gemischten Acts sowie jenen, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen. Gegenseitige Förderung und explizit die Förderung von marginalisierten Gruppen sieht sie als Schlüssel: »Ich glaube, die Zukunft liegt auch darin, dass Männer und Frauen bzw. Menschen aller Geschlechter zusammenarbeiten und dass immer dann, wenn ein Geschlecht dominiert, das oder die andere/-n an Bord geholt werden.«

»Es ist in der Branche zum Teil eher ein Makel, wenn man sich Feminismus andichtet«, sagt Susanne Kirchmayr. © Laura Schleder

Genau diesen Ansatz verfolgen mittlerweile auch einzelne Artists, wie etwa der Berliner DJ Objekt. Voraussetzung für eine Buchung des Künstlers ist es, dass am selben Floor auch eine Frau spielt, ist dies nicht möglich, so muss insgesamt für ein 50:50-Verhältnis gesorgt werden. Eine starke Geste, die durchwegs gelobt wird und als nachahmenswert gilt, aber auch eine, die nicht jede/-r in der Form umsetzen kann, wie Kirchmayr erklärt: »Ich habe das Gefühl, dass ich mir das nicht leisten könnte, nicht zuletzt, weil ich durch meine Arbeit für Female Pressure ohnehin etwas exponiert bin.« Der Einsatz für die Datenbank bringe zwar mediales Echo mit sich, hat in letzter Konsequenz aber nicht nur positive Auswirkungen auf ihre Karriere, so die Künstlerin. »Ich weiß, dass ich in der Vergangenheit bei manchen Festivals aufgrund meiner Assoziation mit Female Pressure nicht gebucht wurde. Das hat sich zwar zum Teil geändert, insgesamt ist meine Rolle in der Hinsicht aber sicher nicht karriereförderlich«, erklärt die Künstlerin weiter. Das sei auch der Grund, warum einige ihrer Kolleginnen nicht in die Datenbank aufgenommen werden wollen: »Es ist in der Branche zum Teil eher ein Makel, wenn man sich Feminismus andichtet.«

Ein Umstand, der problematisch ist, vor allem wenn man bedenkt, dass Frauen der Einstieg in die Szene ohnehin oft schwerer fällt, weniger Frauen aktiv sind und dadurch weniger Role-Models existieren. Genau diesen Umstand sieht auch Soziologin Rosa Reitsamer als zusätzliche Hürde: »Sowohl Frauen als auch Männer sind einem harten Wettbewerb ausgesetzt; für Frauen verstärkt sich dieser unter anderem dadurch, dass sie bis heute die Position von Außenseiterinnen haben und dadurch einer stärkeren Überwachung und Kontrolle durch ihre Peers ausgesetzt sind. Frauen wird mehr ›auf die Finger geschaut‹ als den männlichen Kollegen.« Gerade in der elektronische Musik, die stark mit Technik verbunden ist, haben Künstlerinnen anfangs oft mit Vorurteilen zu kämpfen, so die Wissenschaftlerin weiter: »Die Verbindung von Technik und Männlichkeit strukturiert unsere Gesellschaft und sie zeigt sich beispielsweise an der Kodierung von technischem Können als männlich und der Vergeschlechtlichung von Musikinstrumenten und Tätigkeiten: Denkt man beispielsweise an die E-Gitarre, an Drumcomputer und Synthesizer, an das Programmieren, das in der elektronischen Musikproduktion eine wichtige Rolle spielt, oder daran, dass in den Musikstudios in der Regel Männer arbeiten und die Tontechnik bei Konzerten in der Regel in fester Männerhand ist. Diese Verbindung von Technik und Männlichkeit spielt auch in der Bewertung von musikalischen Leistungen eine zentrale Rolle. Diese Verbindung gereicht Frauen zum Nachteil – historisch und aktuell.«

Wie stark Künstlerinnen diese Umstände wahrnehmen und darauf reagieren, ist unterschiedlich und oft auch vom persönlichen Umfeld abhängig. Während manche, wie auch Susanne Kirchmayr, den Umstand, als Frau in einer männlich dominierten Rolle zu agieren, erst wahrnehmen, wenn sie aktiv darauf angesprochen werden, stellt er für andere eine Hürde dar. DJ-Workshops, Aufklärungsarbeit, Labelarbeit, mehr Präsenz für weibliche Artists und damit einhergehend mehr weibliche Role-Models können den Einstieg für die eine oder andere erleichtern. »Es gibt sicher ganz viele Aktionen, die helfen. Ausbildung und Training müssen leichter zugänglich sein, gleichzeitig braucht es eben Leute, die aus Überzeugung Line-ups machen, die zu einem Großteil aus Female Artists bestehen, denn um gut zu werden, braucht es Praxis. Ich finde gezielte Frauenförderung hier extrem sinnvoll«, erklärt Kirchmayr, die mit Female Pressure in den letzten Jahren massiv dazu beigetragen hat, mehr Bewusstsein zu schaffen. Letztendlich gilt es weiterhin, für ein förderndes Umfeld zu sorgen, Raum zu geben, zu unterstützen und verfestigte Rollenbilder zu durchbrechen. Ein Auftrag, der die Musikszene wie auch die Gesamtgesellschaft wohl noch länger beschäftigen wird.

Im kommenden Jahr feiert Female Pressure 20-jähriges Jubiläum. Die Datenbank ist via femalepressure.net aufrufbar, lokale weibliche Acts findet man beispielsweise via femdex.net. Die gesammelten Interviews mit mehreren Wiener Clubs, die im Rahmen dieses Artikels geführt wurden und nicht in ihrer Gesamtheit verwendet werden konnten, werden in Kürze veröffentlicht.

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