Status, Oida!: III: Offene Briefe

Sinéad O’Connor ist Seneca 2.0. Außerdem: Der Beweis, dass Moral und oral immer Hand in Hand gehen.

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Ok, ihr denkt also vielleicht: Briefe sind jetzt so das neue Ding. Aber ich sage euch: Briefe sind voll das alte Ding. Und ihr so: Ja, aber das Internet, das gabs nicht in der Antike. Und ich so: Scheiß auf das Internet, Oida!

Worauf es nämlich wirklich ankommt, ist diese Moral. Das Bedürfnis Menschen mitzuteilen, wie sie sich zu verhalten haben. Das nervt nämlich schon seit mehr als 2000 Jahren. Und worauf es noch ankommt, ist dieses Öffentliche. Dass es eigentlich nicht wirklich um den Adressaten geht, sondern um das Erreichen einer breiten Öffentlichkeit.

Aber noch mal von vorne: Da kommt Miley Cyrus auf einer Abrissbirne dahergeschwungen und schleckt ein bisschen an einem Hammer. Gut, ein bisschen ist untertrieben. Mileys Zunge ist tatsächlich überall. Während ich das schreibe, schleckt sie gerade den Boden auf und macht damit Meister Proper Konkurrenz, dem neben Sinéad O’Connor meist gefürchteten Glatzkopf für Dreckspatzen. Sauberfrau Sinéad reagiert auf Mileys orale Fixation mit einer moralischen und verfasst eine Reihe von offenen Briefen, die zu besseren Zeiten als Epistulae Morales ad Mileym (ich deklinieren Frau Cyrus nach der e- wie Ecstasy-Deklination) in die Geschichte eingegangen wären. Da wir aus ebendieser Geschichte lernen sollen, mache ich mir ernsthafte Sorgen, dass da noch einiges folgen wird. Immerhin hat unser guter Freund Seneca der Jüngere fast 125 Briefe an den armen Lucilius geschrieben; vor allem über Philosophie, manchmal auch über Asthma. Ich weiß nicht ganz genau, ob Seneca von selbst damit aufgehört hat oder ob sich Kaiser Nero irgendwann dachte: „He can’t stop, he won’t stop“ und ihn dann deswegen zum Selbstmord gezwungen hat. Eine unschöne Sache, die sich erboste Mileyaner angeblich auch für Sinéad wünschen. Anyway. Seneca schrieb seinem Buddy Lucilius jedenfalls nicht, weil dieser moralisch hinüber war, sondern um seine Gedanken über Philosophie in der einfach lesbaren Briefform für die Nachwelt festzuhalten. Sinéad will auch Öffentlichkeit, verwendet dafür aber einen gerade aktuellen Popstern und macht sich dabei derselben Art von Benutzung einer Person schuldig, die sie in ihren Briefen vorallem an männlichen Exemplaren der Industrie kritisiert. Dagegen hätte auch Seneca etwas gehabt. Die andere Oral der Geschichte ist: Leute, schreibt einfach keine Briefe, irgendwer will deswegen sicher euren Tod.

Anregungen, Wünsche, Beschwerden und antikebezogene Anekdoten, aber auch gerne offene Briefe an bensaoud@thegap.at

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