5 vor 12 fürs Qualitätsradio

Die Zeit im Funkhaus läuft ab. Das zeigt nicht nur eine Bildergalerie von Uhren im Funkhaus.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Seit geraumer Zeit fotografiert der Radio Wien-Redakteur Peter Blau für seine Facebook-Seite die Uhren, die im Funkhaus in der Argentinierstraße hängen. Die kleine Bildergalerie zeugt nicht nur von der Eleganz dieses architektonischen Meisterwerks, sondern auch davon, dass sich dort verschiedene Zeitschichten überlagert haben. Am nüchtern-eleganten Design erkennt man die originalen Uhren aus der Entstehungszeit des denkmalgeschützten Baus, dazu sind im Laufe der Jahrzehnte weitere Zeitzeugen gekommen: Mal sind es klare, sachliche Klassiker in der Designsprache von Max Bill, die Präzision der Digitaluhren wiederum scheint für ein Medium wie das Radio maßgeschneidert zu sein. Und wie um zu beweisen, dass grandiose Architektur auch Scheußlichkeiten verträgt, hängt da zwischendrin eine gelbe Lotto-Uhr mit einem Glücksschwein.

Nicht zufällig hat Peter Blau die Uhren jeweils dann fotografiert, wenn sie 5 vor 12 anzeigen: Denn die Zeit im Funkhaus läuft ab. Den Plan, den Standort aufzugeben, um sämtliche Abteilungen des ORF zentral am Küniglberg zu versammeln, gibt es schon seit Jahren. Nun wird tatsächlich ernst gemacht: ORF-Finanzdirektor Richard Grasl verlautbarte im „Standard“, dass das Funkhaus bereits 2015 veräußert werden soll (und man sich dann für die verbleibenden Jahre dort einmieten wolle).

Grasl und sein Chef Alexander Wrabetz halten an ihrem Kurs fest, und das trotz anhaltenden Protests gegen die Absiedelung der Radiosender Ö1, FM4 und Radio Wien. Neben etlichen Protestveranstaltungen hatte es u. a. im November eine Unterschriftenaktion für das Funkhaus gegeben, an der sich so unterschiedliche hochkarätige Persönlichkeiten wie Nikolaus Harnoncourt, Elfriede Jelinek, Christoph Ransmayr, Erhard Busek, Karl Korinek oder Carl Djerassi beteiligt hatten (um nur einige wenige von mehr als 100 „Prominenten“ zu nennen).

Kritik nicht erwünscht

In der Belegschaft – allen voran bei Ö1 – gärt es schon seit langem, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Vielen schien es bislang zu riskant, sich als Gegner der Zentralisierungspläne zu „outen“. Knapp vor Weihnachten fand schließlich der interimistische Ö1-Chef Peter Klein erstmals klare Worte. In einem Brief an die Stiftungsräte und den Generaldirektor warnte er vor einer Demontage des Qualitätsradios: „Wenn Ö1 die baulichen, räumlichen und organisatorischen Grundlagen entzogen werden, wenn die Identität des Senders mutwillig zerstört und beschädigt wird, beschädigt oder zerstört man mutwillig und sehenden Auges das Programm."

Die Retourkutsche folgte sofort: Laut „Standard“-Berichten soll Wrabetz im Rahmen einer kurz darauf folgenden Stiftungsratssitzung unmissverständlich mit Kleins Abberufung gedroht haben. Kritik ist nicht erwünscht, auch wenn sie sachlich begründet ist und noch dazu von vielen Redakteurinnen und Redakteuren mitgetragen wird. Doch immerhin scheint eine breitere Öffentlichkeit langsam zu verstehen, dass es bei den Plänen der ORF-Führung nicht um den wohlgemeinten Umzug in ein anderes Bürogebäude geht, sondern um die Substanz des Radios. Die Qualität des Senders Ö1 ist durch die Neustrukturierung bedroht (Stichwort: Multimedialer Newsroom, Einbettung in thematische „Cluster“ statt Senderidentität). Die traditionell kritische Berichterstattung, Features abseits vom Mainstream, Zwölftonmusik und Hörspielnische – viel steht auf dem Spiel: für die RadiomacherInnen, aber auch für diejenigen, die ihre GIS-Gebühr nicht für Champions League, Songcontest und Castingshows zahlen wollen, sondern in Ö1 zurecht die Bastion des vielzitierten Kulturauftrages sehen. Die Politiker würde es natürlich nicht stören, im Morgenjournal in Zukunft nicht mehr „zerlegt“ zu werden. Sie können sich freuen, wenn die Uhren im Funkhaus ablaufen. Eines muss aber den Medienkonsumenten allerdings klar sein: Zurückdrehen kann man die Zeit dann nicht.

Die Fotos der Uhren von Peter Blau waren als Privatprojekt gedacht, deshalb sind natürlich Ausleuchtung und Auflösung nicht immer ganz professionell.

manifest-fuer-den-rundfunk.at

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...