545 Filme, 112 Jahre Filmgeschichte, 8 Jahre Arbeit: Johann Lurfs Epos ★ auf der Viennale

Johann Lurf ist einer der spannendsten Filmemacher im internationalen Experimentalfilm. Nach acht Jahren Arbeit feiert sein neuestes Werk mit dem symbolischen Titel ★ auf der Viennale Weltpremiere. Und gefeiert wird das Universum: Ein 97-minütiger Film, der aus mehreren tausend Sternenhimmel-Szenen besteht, die aus 545 unterschiedlichen Filmquellen entnommen sind und 112 Jahre Filmgeschichte umspannen, von 1905 bis heute. Der neugierige Blick des Menschen gen Himmel – erzählt aus der Sicht des Kinos. 6 Fragen an den wachen Kinodenker Johann Lurf.

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Der Wiener Filmemacher Johann Lurf beim Pausentee (Foto © C/O Vienna, Gregor Karl)

Ein Film, der nur aus Szenen besteht, in denen Sternenhimmel zu sehen ist: Wie kam es zur Idee, daraus deinen ersten langen Film zu machen?

Wie sahen an der Akademie der bildenden Künste in der Klasse von Harun Farocki den Film Stromboli von Roberto Rossellini – dort blickt Ingrid Bergman in den Sternenhimmel, der aber sehr künstlich wirkt, die Sterne sind viel zu groß. Da habe ich mich gefragt, wie denn eigentlich Sterne in anderen Filmen aussehen, und rasch gemerkt, dass es da grobe Unterschiede gibt – obwohl sie sich ja ähneln sollten. Die Dauer des Films ergab sich dann aus dem Konzept: In einer Testversion von einer halbe Stunde waren noch große Lücken in der Filmgeschichte, erst jetzt zeigt sich ein vollständigeres Bild.

Sobald ein Baum in den Himmel ragt oder ein Raumschiff zu sehen ist, ist die Szene für deinen Film nicht mehr relevant. Warum war es dir wichtig, den Blick in den Himmel frei zu halten?

Um die Vergleichbarkeit der Einstellungen zu gewährleisten. Ein Objekt im Bild zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Ohne Vordergrund ist es erst möglich, das zu sehen, was sonst im Hintergrund bleibt.

Chronologisch reiht Johann Lurf mehrere tausend Sternenhimmel-Szenen aneinander. Hier sind Sternenhimmel in Filmen aus den Jahren 1955 (oben) und 2016 zu sehen

Wie einfach ist es überhaupt, einen objektfreien Film-Sternenhimmel zu finden, und aus welchem Film konntest du die meisten Szenen entnehmen?

Anfang war meine Recherche noch eher unstrukturiert, aber man verfeinert die Methoden und stößt dann immer wieder Türen auf, die besser zu den gesuchten Einstellungen führen. Welcher Film die meisten Szenen hat, weiß ich gar nicht, interessant ist allerdings die durchschnittliche Dauer der Sterneneinstellungen von weniger als 10 Sekunden. Es gibt natürlich auch längere, aber die meisten sind doch relativ kurz – daher auch die große Anzahl an Filmquellen.

Gibt es kulturelle oder historische Unterschiede, wie der Mensch durch das Kino den Himmel sieht?

Selbstverständlich. In den 1930er Jahren war Raumfahrt noch Utopie: ‘Die Sterne zu erreichen’ hieß auch, dass die Menschheit näher zusammenrückt. Das hören wir im Tonfall der Ausschnitte. Später in den 1950er Jahren ist ein Unbehagen, eine Angst vor einer unbekannten Gefahr spürbar – der Kalte Krieg zeichnete sich auch in der Science-Fiction-Welle damals stark ab.

Mir geht es da auch um die Fragestellung der Gegenwart: Welche Stimmungen sind heute spürbar und wie unterscheiden sie sich von den vorangegangenen? Der Film endet ja jetzt mit Ausschnitten aus dem Jahr 2017. Die kulturellen Unterschiede sind auch evident, ich habe z.B. besonders viel japanisches Kino in den Film einarbeiten können, da gibt es auch eine Vorliebe für das Sternenhimmel-Sujet.

Filmausschnitt aus dem Jahr 1936.

Deine Filme nutzen die Kraft von Bewegung und Wahrnehmung oder thematisieren oft auch Film und Kino selbst. Was interessiert dich an Film und Kino?

In diesem Fall ist der ungeheure Einfallsreichtum vieler Generationen von Filmschaffenden sichtbar – und auch erlebbar gemacht. Durch den direkten Vergleich der Einstellungen lassen sich viele Rückschlüsse ziehen. Manche Bilder ziehen uns Betrachtende tief in sie hinein. Spannend finde ich, wie die Ausschnitte einfach für sich selbst sprechen – und wie wir sie auch lesen können. So können wir vom Kino über uns Menschen lernen.

Wir alle haben Vorbilder und Vorlieben: Empfiehl uns bitte einen Film oder ein/e Filmkünstler/in, die dich faszinieren oder geprägt haben.

Die Antwort auf diese Frage führt in eine Sackgasse, aus der es schwierig ist herauszukommen. Wird ein Name genannt, werden Bezüge gesucht, die ich gar nicht so interessant finde. Ich gehe gerne mit frischen Augen an ein Werk, anstatt schon im Vorhinein zu denken ‘Das ist so wie…’ So bleibt doch mehr Raum für eigene Gedanken, und darum geht es doch.

Der Film läuft am Montag, 23. Oktober, 16 Uhr, in der Urania und am Dienstag, 24. Oktober, 18 Uhr, im Metro Kino. www.viennale.at. Eine Reihe in Kooperation mit Cinema Next – Junges Kino aus Österreich.

 

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