Günther Friesinger ist Künstler, Kurator und Produzent – mit seinem organisatorischen Talent und seinem Know-how über Finanzierungen ist er aber vor allem auch jemand, der anderen Projekte erst ermöglicht.
Es ist schwer abschätzbar, wieviele Kulturprojekte und -aktionen es nur deswegen gibt, weil Günther Friesinger mit dabei war. Der Künstler, Kurator und Produzent ist ein Organisations- und Managementtalent und kennt die heimische Förderlandschaft wie sonst wohl kaum einer. Und so macht er immer wieder den entscheidenden Unterschied, wenn es darum geht, ob aus einer Idee oder einem Wunsch ein Projekt realisiert werden kann – sei es eine Konferenz, ein Buch, ein Festival oder ein Film. Seit vielen Jahren gehört er zum fixen Ensemble von Monochrom, ist im Team der IG Kultur in Wien, Erfinder von Paraflows, einer der Veranstalter von Komm.st in der Steiermark oder meist dabei, wenn Roboter Cocktails mixen. Und das sind nur jene Projekte, die in Österreich stattfinden und an denen er als Urheber beteiligt ist. Seine jeweiligen Kollegen sind sich einig: Ohne Günther, sein Wissen und seine strukturierte Arbeitsweise würde es vieles davon nicht geben.
Er selbst beschreibt sich als jemand, der »einfach tun muss«, der an Dinge herangeht, um sie auszuprobieren. Ziel ist es nicht, in einem bestimmten Feld zum Meister zu werden, sondern sich in verschiedenen Medienformaten auszuprobieren. Und wenn Günter von Medienformaten spricht, kann man das ruhig wörtlich nehmen. Vieles von dem was er macht liegt in einem Spannungsfeld von Kultur und Technologie und in diesem Sinn meint er nicht nur die Formate wörtlich, sondern auch die Medien. Und in den meisten Fällen spielen auch verschiedene Formen von Vermittlug eine Rolle. Er ist selbst Künstler, hat als ausgebildeter Musiker komponiert, kuratiert Festivals, arbeitet mit Theater und Musical (etwa über Udo Proksch, ausgzeichnet mit dem Nestroy-Preis), produziert Filme (etwa über den Genozid in Ruanda oder im Irak), arbeitet an Computerspielen mit, hat Fanzines mit dem Gewicht von Ziegelsteinen veröffentlicht und zig Bücher herausgegeben. Und immer eine Anekdote wert: Facebook einmal in Imagefragen beraten.
Medienmissverständnisse
Schon während des Musikstudiums (Posaune, Komposition und Dirigieren) hat er bei Franz Rogler in Graz auch Malerei studiert, »um etwas anderes zu machen als Noten zu schreiben«. Beim Ausprobieren verschiedener Ausdrucksformen spielte naheliegender Weise in den 90er-Jahren Digitales und alles mit »dem Netz« eine große Rolle. Eine Technologie, mit der er nicht aufgewachsen ist. So auch in einem der ersten Projekte gemeinsam mit Monochrom: Der Exot. Einem Lego-Roboter, der sich über einen selbst programmierten Chat steuern ließ und unter anderem Bilder aus einer WG – 56k-Modems ließen an Bewegtbild nicht denken – übertragen hat. Die User haben sich koordiniert, um den Roboter zu steuern – und Monochrom hatte damit sein erstes Kunstprojekt, das kuratiert und von der Secession übernommen wurde. Allerdings mussten sie beim Aufbau der Installation in der Secession feststellen, dass die Einladenden das Projekt nicht verstanden hatten: Es gab kein Internet in der Location und es war auch keines geplant. Ein in vielerlei Hinsicht Augen öffnender Moment, gerade auch was das Medienverständnis der Kunstszene betraf.
Technologie hat auch zu Günthers erstem Job geführt. Nach einer Jugend zwischen Graz und dem südoststeirischen Bauernhof der Großmutter mit viel Wald und Vieh, ging er mit 15 zum Musikstudium nach Wien, mit 18 kurz nach London und kehrte dann zurück nach Graz, um zum Bundesheer zu gehen und dort Teil der Militärmusik zu werden. So konnte er Musik machen und nebenbei studieren. Bei der Pannonischen Philharmonie in Graz wurde damals ein Mitarbeiter gesucht – der mit Computern umgehen konnte. Und binnen einem Jahr war Günther Orchestermanager und organisierte unter anderem Sommerkurse und Konzerte. Er blieb dort, bis sich für ihn alles wiederholte: »Das ist das Traurige an der klassischen Musik. Man hat ein bestimmtes Repertoire … vor allem wenn man Konzertkarten verkaufen will. Das Bildungsbürgertum fährt ab auf Mozart, Haydn, Schubert und Beethoven; Klassik und Romantik. Bruckner ist da schon schwierig zu verkaufen – außer es gelingt eine Geschichte erzählen, wie bei unseren Konzerten in Weiz, zu denen Kardinal König kam.«
Das richtige Medium für die richtige Geschichte
Die Doppelrolle aus (musikalischem) Inhalt und Organisation war Teil seines Schaffens, seit er mit 15 im Musikstudium begonnen hat, Ensembles zu koordinieren, sich um Bookings, Abrechnungen und Auszahlungen zu kümmern. Er spricht in diesem Zusammenhang durchaus von einer »Freude an der Struktur und an den Zahlen«. Und natürlich hat es immer eine Rolle gespielt, dass er damit Dinge ermöglicht hat, die sonst nicht passiert wären: »Was mich interessiert hat, war die Möglichkeit, Geschichten zu erzählen. Mich treibt etwas um und ich wollte die Möglichkeit haben, um das umzusetzen.« Über die Jahre haben sich die Ausdrucksformen verbreitert und es wurde immer wichtiger, das richtige Medium für die richtige Geschichte zu finden. Mit der Orchesterarbeit nicht ausgelastet – „ich war wie ein trockener Schwamm und wollte mehr wissen“ – begann er nicht nur Malerei, sondern auch Theologie zu studieren, um »als Atheist zu durchschauen, wie die Kirche funktioniert«. Glaube und die Bibel als spannendes Feld für den Sohn eines Bestatters, der verstehen wollte, wie eine unglaubwürdige Geschichte über 2.000 Jahre aufgebläht werden kann. »Mich hat die Struktur dahinter interessiert. Das faszinierendste für mich war dabei immer die Erfindung des Fegefeuers – und wie hier nebenbei Kapitalismus entsteht.«
E-Learning vor dem iPod
Mit 27 hat er dann beschlossen nach Wien zu gehen, um Filmproduktion (bald abgebrochen, weil zu schulmäßig), Philospophie und Publizistik zu studieren. »Letzteres war vor allem spannend, weil ich viele Leute. mit denen ich heute noch in Verbindung bin, Ende der 90er Jahre dort in dem Allerweltstudium kennengelernt habe«. Über die Uni Wien hat er auch ein Stipendium für ein Jahr Ausbildung bei McKinsey bekommen und dort viel über Betriebswirtschaft gelernt – und auch, »dass ich das dort gelernte Denken nicht übernehmen will.« Den ihm angebotenen Job hat er nicht angenommen – aber viel Wissen für kommende Kulturprojekte mitgenommen. Und die Erkenntnis, dass für ihn viele Unternehmen mit kurzfristigen Wachtumszielen und jährlichen Gewinnbestrebungen nicht stabil werden: »Wir haben vergessen, dass Produkte mit Händen erzeugt werden. Wir produzieren Dinge mit dem Kopf und am Ende des Tages, ist das nicht im gleichen Ausmaß befriedigend.« Programmieren gelernt hat er auf der Philosphie, nachdem ihm ein Professor empfahl. Medientheorie mit diesem Wissen zu starten. Bereits 1999 hat er eine Publizistik-Einführungsvorlesung von Bauer live gestreamt und kurz darauf mit dem Uniradio eine E-Learning Plattform mit einem CMS selbst aufgebaut und Vorlesungen online angeboten. Unzufrieden mit Systemen. auf denen Lehrende ohne didaktisches Konzept ihre Materialien hoch geladen haben. gründete er in dieser Zeit »ein Start-up, in dem wir die Audio-Aufzeichnugen der Vorlesungen mit Inhalten angereichert haben. Das war spannend, aber wir waren zu früh dran. Erst mit dem iPod kamen später Geräte, die wir dafür gebraucht hätten. Aber Apple setzte nicht so wie wir auf Flash.« In diese Zeit fällt auch die intensivierung der Zusammenarbeit mit Monochrom, die dazu geführt hat, dass er seit 2005 deren Geschäftsführer ist, »neben Franky Ablinger, der die technische Leitung macht und Johannes Grenzfurthner, der die künstlerische Leitung innehat« ist er Teil des Kernteams. Aktuell sind sie bei der Planung des 2018 stattfindenden 25-Jahr-Jubiläums der Künstlergruppe und arbeiten an einem Musicalfilm über Tycho Brahe.
Unis denken nicht quer
2009 hat Günther Friesinger die Uni verlassen – im Gefühl, dort gegen eine Wand zu rennen. »Es tauchten Vorgänge aus der Betriebswirtschaft auf und das Personal wurde nicht mehr als Wissenschafter, sondern als Projektmanager angesehen. Es ging viel um Administration und Verwaltung – so kann man aber nicht kreativ sein. Ich bin überzeugt, dass diese Entwicklungen eher zu Mittelmaß führen und nicht zu Spitzenleistungen. Ich finde es nach wie vor schade, dass Unis nicht quer denken. Man gibt den Leuten nicht die Zeit, die es braucht, damit Exzellenz entsteht.« Er sieht den Bedarf aber nicht nur in finanziellen Mitteln, die oft falsch eingesetzt werden: »Exzellenz schafft man nicht durch Geld, sondern durch Freiräume, die man fördert. Es hat natürlich auch mit dem Stellenwert von Wissenschaft und Forschung in Österreich zu tun, aber so wie die Universitäten ausgerichtet werden, ohne Freiräume zum Experimentieren, wird man dort keine Elite finden – was man auch den internationalen Uni-Rankings sieht.«
Heute sind die meisten seiner Tätigkeiten wie bei vielen Kulturschaffenden projektbasiert: »Das ist unter anderem der Situation geschuldet, dass Fördergeber keine Strukturen mehr möchten. Gerade Kulturförderungen wurden in den letzten 15 Jahren in Richtung Projektförderungen umgestellt. Es ist hier politisch gewollt, dass Projekte keine Stabilität erreichen – es sollen keine Strukturen entstehen, weil diese erhalten werden müssten. Das ist selten dämlich.« Mehrjahres-Förderungen gibt es nur in wenigen Feldern wie im Theater. »Von 2012 bis 2016 habe ich bei einem großen EU-Projekt mitgearbeitet, das mir langfristige Planung ermöglichte – EMEE, dessen Idee es war sich damit auseinander zu setzen, wie man Museen spannender machen könnte.« Es hat mit einem zentraleuropäischen Bildungsbügertum zu tun, dass Museen geschlossene Systeme sind – und nicht Lebensräume. Hier könne man von Museen in den USA oder auch London lernen. So sehr er die Sicherheit langjähriger Projekte zu schätzen weiß, so sehr genießt er aber auch die Freiheit sich seine Arbeitsbereiche frei auszusuchen.