Der Gedanke an Festivals birgt manchmal diesen schalen Beigeschmack – von Menschenmassen und allem, was sie so mit sich bringen. Während große Acts, viel Entertainment und Zeltmeere für die einen genau das Richtige sind, gibt es in Österreich aber genug Veranstaltungen, bei denen das Attribut »klein« groß geschrieben wird und der Idealismus den Profit übersteigt. Ein Shout-out.
Die Szene der kleinen Festivals mit Besucherzahlen unterhalb der 5.000 oder sogar unterhalb der 500 ist groß, Namen wie Noppen Air, Acoustic Lakeside oder Picture On schwirren seit Jahrzehnten durch die Sommerplanungsdiskussionen im Freundeskreis, andere sind eher Geheimtipps, tragen »Wiese«, »Dorf« oder »Mühle« in ihrem Namen und sorgen bei Hauptstadtkindern eher für fragende Gesichter. Was nach Provinz klingt, hat oft eine sehr spezielle musikalische Ausrichtung, kann mit einer schönen, unentdeckten Location punkten, bringt viel Liebe zum Detail mit und fördert nebenbei lokale Artists oder den Aufbau einer alternativen Szene und bietet für Großstädter nicht zuletzt die Möglichkeit eines gediegenen Kurzurlaubs mit Musikuntermalung. Und womöglich könnte man dabei das Vorurteil gegenüber dem provinziellen Kulturangebot zwischen Kirtag und Feuerwehrfest ein bisschen zerstören.
»Wir wollen keinem Trend folgen, sondern explizit eine Nische bedienen. Dann hoffst du, dass du dieser Nische die richtige Aufmerksamkeit gibst und sie glücklich machst und vielleicht auch Personen darüber hinaus erreichst«, erklärt Raphael Pleschounig vom Acoustic Lakeside. Mit dem kleinen Gelände am Sonnegger See hat man eine Location gefunden, die an Idylle kaum zu überbieten ist. Rund 300 Freiwillige sind jährlich damit beschäftigt, das Festival auf die Beine zu stellen. Eine Bühne, direkt an einem kleinen See, weit weg von Großstadt und Trubel, bespielt mit akustischen Gustostückerln. Weniger romantisch begann das Kunstfestival Perspektiven am Attersee. Nachdem der Ortskern ausgestorben war, begann man mit der Zwischennutzung leerstehender Gebäude. Mittlerweile hat sich das Festival etabliert.
Dass auf bereits vorhandene Infrastruktur zurückgegriffen wird, eint viele der kleinen Veranstalter. »So ein kleines Festival mitten auf die grüne Wiese zu stellen, ist quasi ein Ding der Unmöglichkeit. Da ist es schon gut, wenn es wie beim C’est la Mü eine bestehende Infrastruktur gibt. Umgekehrt können wir mit dem Argument, klein und familiär zu sein, Sachen bieten, die ein großes Festival ganz bestimmt nicht hat – auch für die Künstler. Weniger Geld, aber mehr aufmerksames Publikum«, erklärt Hannes Tschürtz vom C’est la Mü, das seinen Platz in der Cselley Mühle im Burgenland gefunden hat und dort neben einem vielfältigen Musikprogramm auch Literatur und Kleinkunst bietet. Die Kleinen werden finanziell nicht von großen Werbedeals und fetten Line-ups getragen, sondern sind auf freiwilliges Engagement und Liebe zur Sache angewiesen.
Idealismus > Budget
Aber warum tun es sich Leute an, über Jahre Festivals zu organisieren, ohne daran zu verdienen? Es steckt wohl viel Idealismus dahinter, der die Kunst- und Kulturszene gerade in kleineren Gemeinden trägt und aufrechterhält. Das Fundament dieser Veranstaltungen bildet gelebtes DIY.
Von der Motivation, die es braucht, um über Jahre hinweg ein Festival rein durch freiwillige Mitarbeit zu organisieren, kann Raphael Pleschounig, Mitorganisator des Acoustic Lakeside, ein Lied singen: »Wir wollen die Heimat mit unserem Charakter prägen, neben den Feuerwehrfesten und Kirtagen soll auch unsere Kultur Platz haben. Wir wollen die österreichische Musik fördern und einen Platz schaffen, wo es eben nicht ums Geld geht, sondern um die Glückseligkeit.«
Diesen Zugang will Pleschounig auch mit anderen teilen. Vor wenigen Monaten hat er die Organisatoren 15 anderer kleiner Festivals nach Kärnten eingeladen, um mit ihnen über Gemeinsamkeiten im Kontext zu sprechen. Das »Netzwerk österreichischer Festivals – eine Initiative zur Vernetzung kleiner Festivals« entstand auch mit dem Hintergrund, es nachkommenden Generationen leichter machen zu wollen und ihnen die Möglichkeit zu geben, auf vorhandenes Know-how zurückgreifen zu können. Die Herausforderungen fangen bei der Bürokratie an und reichen über Sicherheitsbestimmungen bis hin zu Marketingstrategien.
Die Goldene Zone
Betrachtet man diese kleine, von kulturellen Initiativen und engagierten Privaten getragene Szene, sticht ein Bundesland heraus: Oberösterreich. Ob Noppen Air, Free Tree, Sonograph oder Bongo Flavour – die Liste der Veranstaltungen, die sich im Bundesland etabliert haben, ist lang. Ermöglicht werden viele dieser Festivals durch eine tighte Vereinsstruktur. »Hier sind die Bereitschaft etwas zu machen und der Zusammenhalt ziemlich groß. Das ist eine ganz bestimmte Mentalität. Die Menschen wollen Kultur nutzen und auch dafür zahlen. Und wenn es sein muss, macht man einfach selber was«, erklärt Kemal Durakovics. Er lebt eigentlich seit Jahren in Wien, veranstaltet aber von hier aus, heuer zum vierten Mal, das zweitägige Sonograph in seiner ehemaligen Heimatstadt Vöcklabruck. Neben dem Engagement hilft auch die Nähe zu den Städten und Fördermöglichkeiten wie die Kulturplattform Oberösterreich, kurz KUPF.
In entlegeneren Ecken des Landes ist das Veranstalten schwieriger, aber nicht unmöglich. Man muss an dieser Stelle nur einen Blick nach Vorarlberg werfen, wo das Poolbar Festival mit einem mehrwöchigen Programm den Sommer prägt und das Dynamo Festival schon im Frühling Bands aus dem ganzen Land versammelt. Dabei kommen schon längst nicht mehr nur Vorarlberger. Ähnlich beliebt ist das Wetterleuchten in Tirol, das mit einem Festivalgelände auf 1.900 Metern Höhe gewissermaßen ein Alleinstellungsmerkmal hat. Um Besucher müssen viele der kleineren Veranstaltungen aber aktuell ohnehin nicht mehr so sehr bangen. Neben der starken lokalen Community finden auch immer mehr Menschen von außerhalb den Weg zu den Kleinen: »Es kommen immer mehr Leute, die es klein und fein und gemütlich haben wollen. Es gibt hier fast einen Hype und es sprießen auch immer mehr diese kleineren Projekte als Alternative aus dem Boden, die eher einen ideellen Zweck verfolgen statt einen kapitalistischen.«