Lilli Hollein ist Direktorin und Mitbegründerin der aktuell stattfindenden Vienna Design Week. Warum in ihrem Team meist mehr Frauen arbeiten, in welchem Moment selbst sie Design langweilig fand und welche Schätze der diesjährige Fokusbezirk Rudolfsheim-Fünfhaus bereit hält, erzählt sie im Interview.
Die Vienna Design Week bestimmt jedes Jahr einen neuen Wiener Fokusbezirk, der das Zentrum des Festivals bildet. Warum ist die Wahl heuer ausgerechnet auf Rudolfsheim-Fünfhaus gefallen?
Wir stellen uns bei der Suche immer die Frage, wo wir unser Publikum hinführen wollen. Es ist nicht notwendigerweise die schicke Ecke, sondern die Stadt, wie sie eben ist. Wir haben uns für Rudolfsheim-Fünfhaus entschieden, weil dort die Entwicklung an manchen Ecken so rasant vorangeht und es auf der anderen Seite eine große Diversität gibt. Der Bezirk hat gefühlsmäßig sehr unterschiedliche Viertel, sehr unterschiedliche Atmosphären und auch diese gewisse Zweiteilung durch die Bahntrasse macht das Areal so spannend. Es gibt heuer auch erstmalig zwei Zentralen. Wir hatten es allerdings noch nie so schwer, einen Ort für die Festivalzentrale zu finden. Wir waren geblendet von vermeintlichen Leerständen, aber alles, was wir uns vergangenen Herbst angesehen hatten, wurde innerhalb kürzester Zeit abgerissen, verkauft oder umgebaut. Die rasante Entwicklung des Bezirks haben wir selbst zu spüren bekommen. Letztendlich haben wir jetzt zwei tolle Orte gefunden: Einerseits das Blaue Haus, wo IKEA eine City-Zentrale errichten wird und die Zentrale Süd in einer ehemaligen Filiale der Zentralsparkasse aus den Siebzigerjahren, entworfen von Johann Georg Gsteu, der zu einer Architektengruppe gehörte, die ganz wesentliche Einflüsse in den 50er- und 60er-Jahren gesetzt hat. Außerdem braucht es im Bezirk auch handwerklich arbeitende Betriebe, die im Idealfall exotisch sind. Heuer haben wir beispielsweise den Kupferschmied Roman Hegenbart und den Hornhersteller Thomas Petz dabei.
Welches Gebäude ist in dem Sinn die größere Design-Sünde im 15. Bezirk, der sanierte Westbahnhof in der heutigen Form oder die Lugner City?
Der Begriff „Design-Sünde“ ist eine rein formale Hülle, die wir nur am Rande des Festivals behandeln. Das sind diese reinen Ästhetik-Fragen, die ich natürlich durchaus für relevant halte, die aber nicht immer entscheidend sind. Natürlich ist die Lugner City architektonisch in meinen Augen kein großer Wurf, aber sie funktioniert in einer gewissen Weise. Für den Bahnhof und alles, was man rundherum wahrnimmt, gilt Ähnliches. Das sind wesentliche Orte für Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt. Das sind ganz wesentliche, extrem strapazierte Orte mit einer unglaublichen Dichte. Diese Dichte muss ein Gebäude leisten und bewältigen. Ich glaube, diese Orte sehen so aus, wie sie aussehen, weil sie das leisten müssen, was sie leisten.
Ich glaube aber auch, dass eine Shopping Mall mit Kino und mit viel Fläche, die von Jugendlichen als konsumfreier Meeting-Ort genutzt wird, mehr Atmosphäre haben kann, als sie die Lugner City vielleicht hat. Das ist überhaupt keine Frage. Eine größere Design-Sünde wäre allerdings eine Lugner City, die leer ist, weil sie von niemandem angenommen wird.
Design ist seit Jahren ein bestimmendes Thema für dich. Gibt es Momente, in denen man genug davon hat?
Total. Ich habe während meinem Studium und in den ersten Jahren danach so viel über Design geschrieben, dass ich irgendwann die Nase voll hatte. Ich habe damals für eine Tageszeitung gearbeitet und dort ging es im Wesentlichen um das Thema Wohnen. Es hat mich aber einfach nicht ausreichend interessiert, ob das Sofa jetzt runde oder geschwungene Haxen hat.
Ich weiß also, wie sich das anfühlt. Bei unserem Festival passiert das nicht, weil wir eine unglaublich breit gespannte Thematik haben und den Fokus immer wieder anders setzen können. So lässt sich die Begeisterung halten. Ich glaube auch, dass es wichtig ist, dass ein Festival wahrnimmt, was es anderes leisten kann als etwa Museen. Wir können sehr unmittelbar reagieren, können Themen setzen und eine Pluralität an Ansätzen aufzeigen und weitertreiben.
Stichwort Pluralität und Team: Männer sind bei euch eher in der Unterzahl. Ist das ein Zufall oder eine Notwendigkeit?
Es ist wahrscheinlich kein Zufall, es ist eher ein Dauerzustand, dass wir noch nie eine 50:50-Quote hatten. Ich glaube, dass Frauen im Kulturbereich extrem engagiert sind. Wir haben aber auch immer wieder tolle Männer im Team.
Ich als Obfrau und Leiterin dieses Ladens sehe es sicher als meine Aufgabe, Frauen besonders zu fördern und zu stärken. Es ist natürlich schwierig, weil wir als Kunstfestival null Basisfinanzierung haben. Wir müssen unser Budget jedes Jahr von null aufstellen. Insofern bieten wir auch eine Art Sprungbrett, wir bilden Leute super aus und schicken sie weiter auf die Reise. Da wir einen guten Zusammenhalt haben, freue ich mich auch darüber, wenn ich den Leuten irgendwann wieder begegne und sehe, was sie aus dem, was sie bei uns gelernt haben, gemacht haben und wie sie ihre Rollen gefunden haben. Es ist keine Absicht, dass weniger Männer hier sind, sondern es spiegelt glaube ich ein bisschen die Realität im Kulturbereich wider.
Aber grundsätzlich sind Frauen doch in allen Kulturbereichen extrem engagiert und trotzdem dominieren Männer zum Teil die Szene …
Klar, das ist wie: Wer kocht 365 Tage im Jahr und wer macht dann das Weihnachtsmenü? Ich sage das glücklicherweise nicht aus einer persönlichen Bitterkeit heraus, in meiner privaten Beziehung ist das überhaupt kein Thema und wir arbeiten auch immer mit Männern zusammen, bei denen das keine Frage ist. Es stimmt natürlich: Die Speerspitzen des Design-Bereichs sind immer wieder Männer. Ein ganz klar wesentlicher Faktor ist die Bescheidenheit. Wer dieses Sofa gemacht hat, interessiert sowieso nur sehr wenige Leute. Wenn du dann nicht zumindest eine lustige Frisur oder eine große Klappe hast, oder ein möglichst extrovertierter Typ bist, oder ein gekonnt introvertierter Typ wie Jaspar Morrison, wird es noch schwieriger.
Ich glaube, wir müssen nicht darüber diskutieren, dass die Fähigkeiten bei Männern wie Frauen gleichermaßen bestehen. Die einzige Frage der Befähigung ist: Stelle ich mich ausreichend selbstbewusst neben meinen Entwurf? Zum Glück steigt bei allen dieses Bewusstsein, dass man die eigene Arbeit als „meine Arbeit“ kommunizieren muss, oder als Team-Arbeit.
Welche Programmpunkte darf man denn heuer nicht versäumen, wenn man euch besucht?
(Greift demonstrativ nach Programm-Folder.) Also wir haben hier 190 Programmpunkte. Und wir halten das so, wie es Eltern mit ihren Kindern halten sollten: Wir bevorzugen niemanden. (Lachen.)
Wer sich nicht durch diese 190 Punkte durchackern will, ist sicher mit unseren Touren ganz gut bedient. Was ich an dem Festival mag, ist, dass es eine ungeheure Breite hat. Jemand, der im Bezirk über unsere Veranstaltung stolpert und sich eigentlich nicht für Design interessiert, wird Dinge finden, die ihn interessieren und von denen er nicht wusste, dass wir sie unter Design subsumieren würden.
Auf der anderen Seite haben wir ein wirklich großes Angebot an die Professionals aus dem Grafikdesign-Bereich, aus dem Architektur-Bereich, aus dem Produktdesign-Bereich. Wir haben viel, wo es um das Machen an sich geht, du kannst in Werkstätten rein, du kannst an Workshops teilnehmen, du kannst dir Orte ansehen, die du sonst nicht besuchen kannst. Das Festival ist einerseits immer charakterisiert durch den Festivalbezirk, andererseits durch das Gastland, in diesem Jahr Rumänien. Das ist ein Land, das auch nicht jeder auf der Design-Landkarte eingekreist hat. Wir wollen Länder vor den Vorhang holen, die nicht als Design-Nationen wahrgenommen werden. Die Szene ist überschaubar, aber das, was da ist, ist toll. Ich freue mich heuer auch sehr auf die Diskussionen. Ich glaube, dass beispielsweise diese Grätzel-Branding-Frage und auch die Frage der Gentrifizierung wichtige Themen sind. Dann gibt’s noch einen Talk zum Thema Republiks-Jubiläum und zum Thema Design-Ausbildung. Dieser Begriff wird durch technologischen Neuerungen momentan in so viele Richtungen aufgesprengt und umgeschrieben. Wir haben dafür sehr unterschiedliche internationale Unis versammelt, die darüber diskutieren, aber auch zum Teil ausstellen.
Wie lockt ihr heuer die Anrainer im 15. an, welche Neuerungen dürfen sie sich vom Festival erwarten?
Die Neuerung ist, dass die Vienna Design Week vor ihrer Haustür stattfindet. Dieses durch-die-Bezirke-ziehen führt immer dazu, dass wir mit Leuten in Kontakt kommen, die niemals vorsätzlich die Vienna Design Week besuchen würden. Die Stadtarbeit, unser Social-Design-Format, fungiert oft als Ice-Breaker. Das sind oft Dinge die Partizipation ermöglichen, anbieten, erfordern und im öffentlichen Raum stattfinden.
Wir haben dieses Jahr beispielsweise eine Gruppe, die ein eigenes Wettcafé namens „Admirabel“ aufmacht. Es geht darum, dass du wettest und Wetteinsätze definierst, die viel mehr mit einer Haltung, einer persönlichen Leistung, oder mit einer persönlichen Fähigkeit zu tun haben.
Als Beispiel: Wir wetten auf die Besucherzahl der Vienna Design Week im Jahr 2017 und du bist ein 1a-Feuerschlucker und bietest mir an, auf der nächsten Vienna-Design-Week-Party Feuer zu schlucken und ich bin dafür bereit, Seil zu tanzen. So wie das gesteuert wird, geht es aber nicht nur um Jux-Geschichten, sondern auch unmittelbar messbare Wetten, die zwischen den Wettpartnern sehr persönlich verhandelt werden können. Ein Paar, das zusammenwohnt, kann beispielsweise auch einen Konfliktpunkt definieren und vereinbaren, was die jeweilige Person bereit ist, dafür zu tun…
… wer das nächste Mal das Bad putzt …
Genau. Ein kleiner Sprung über den eigenen Schatten in einem offiziellen Setting. Das ist ein sehr interessantes Projekt. Wir hätten das sehr gerne auch in einem Haus gemacht, wo ein Admiral drinnen ist, aber leider haben wir die Türen zu diesem Haus nicht geknackt. (Lacht.)
Wann bist du persönlich eigentlich von Designs überrascht, wann weniger?
Was ich immer mag und was ich auch immer interessant finde, nachdem ich schon sehr oft auch als Jurorin fungiere, ist der Schritt von der Idee zur Umsetzung. Das ist immer wie Weihnachten. Es ist einfach toll, wenn Dinge realisiert werden und dastehen und im besten Fall ist man dann freudig überrascht, und das passiert im Festival auch. Was man immer sehen kann, egal, ob das ein Laienauge oder ein professionelles Auge ist, ist, ob etwas wirklich liebevoll durchdacht und umgesetzt ist. Es ist nicht quantifizierbar, aber es wird vermittelt. Ein Beispiel wäre POLKA von Maria Rama und Monika Singer, die letztes Jahr in unserer Festivalzentrale in einem Puppenstübchen ein Teeservice ausgestellt haben. Dieses Puppenstübchen hat als eine Teestube fungiert und es war klar, dass die beiden das Charisma dieses Ortes verstehen, das Geschirr war dort ins perfekte Environment gesetzt und es hat insgesamt einfach wirklich gut funktioniert.
Kommen wir zur letzten Frage: Wie lang seid ihr im Jahr mit dem Festival beschäftigt?
Es ist so, dass wir unmittelbar nach Ablauf des Festivals die Weichen fürs nächste Jahr stellen. Im Wesentlichen heißt das: Gastland und Fokusbezirk festlegen. Außerdem müssen wir Förderabrechnungen und Reports schreiben und dann, wie gesagt, haben wir null Basisfinanzierung. Das heißt, in den ersten Jahren des Festivals war das eine echte Herausforderung, rein Cashflow-mäßig, dass wir immer sofort alle entlassen mussten im Oktober und wir drei Gründer dann mal monatelang alleine weitermachen mussten, weil wir nicht wussten, kriegen wir wieder was, geht das weiter? Da haben wir jetzt natürlich eine Routine oder Abgebrühtheit erlangt, dass man weiß, das wird schon alles irgendwie gehen. Aber ich will nichts beschönigen: Es ist im Jahr elf nicht leichter geworden. Finanzierung ist immer noch ein Riesenthema und Kultursponsoring ist ein Thema, das meiner Meinung nach politisch viel zu wenig behandelt wird. Die Wirtschaft hat sich erholt, aber das spiegelt sich null wider, das ganze Sponsoring ist in Richtung Soziales gegangen oder einfach ersatzlos gestrichen worden. Es gibt nach wie vor keine steuerliche Vergünstigung und die öffentlichen Gelder werden auch immer weniger. Natürlich wollten wir nie von öffentlichem Geld allein abhängig werden. Es sind seit Jahren 50 Prozent öffentlich, 50 Prozent privat finanziert. Wir versuchen auch, unser Barbudget halbwegs überschaubar zu halten. Wir haben einen Barbedarf von circa einer halben Million und da arbeitet man schnell ein ganzes Jahr dran. Viele im Team, nicht nur ich, hätten gerne mehr Zeit, sich mehr mit inhaltlichen Dingen auseinanderzusetzen. Und dann ist man mit so viel Finanzierung, Administration und Organisation befasst, dass der Teil, der für viele von uns die wesentliche Triebfeder ist, schnell oder unter Druck erledigt wird. Das ist aber in den meisten Kulturmanagement-Jobs so. Aber am Ende ist alles gut, wenn das Festival beginnt und zehn Tage lang ein Feuerwerk abgeschossen wird, das man im Laufe des Jahres aufgebaut hat. Das macht eigentlich immer Spaß. Ich klopfe auf Holz, es ist mein elftes Festival und ich hatte noch keines, wo ich mir gedacht habe, bah, wann ist das endlich vorbei. Das Festival ist der Antrieb fürs nächste Jahr.
Die Vienna Design findet von 28.9. bis 8.10.2017 statt. Alle Infos zum Programm findet ihr hier.