Wenn Alexandre Farto alias Vhils reist, dann sammelt er Gesichter. Die Menschen der Städte sind die Basis für seine explosive Arbeit.
Vhils at work
Vhils: Cans Festival London
Vhils: Collagen
Vhils: Collage
Vhils: Italien
Vhils: Moskau
Vhils: Porto
Vhils: Torres Vedras
Es knallt, Putzteile fliegen durch die Luft, Rauch steigt auf. Als sich dieser langsam legt, erscheint ein Gesicht, gesprengt in die Wand des Abrisshauses. Der Street-Art Künstler Vhils nutzt die Kraft der Zerstörung für seine Reliefs. Begonnen hat alles in Lissabon, Alexandres Heimatstadt. Inspiriert von den mit Werbung überklebten Wandmalereien der 70er Jahre fertigte er Collagen an, tauchte in die Sprayer-Szene ein. Doch das Besprühen der Hauswände reichte ihm bald nicht mehr. Er wollte mehr Menschen erreichen, als es mit Tags möglich war, die von der Öffentlichkeit kaum oder negativ wahrgenommen werden. Laut einem Interview mit der Zeit kam der 24-Jährige über das Schablonieren zum Sprengen. Dazu meißelt er eine Zeichnung in die Wand, bringt Sprengstoff auf, verputzt die Fläche und sprengt sie auf.
Geliebter Vandalismus
Seine überlebensgroßen Porträts und poetischen Schriftzüge mussten nicht lange auf Aufmerksamkeit warten. Nach der Teilnahme am Urban Art Event »Cans Festival« präsentierte er mit Galerist Steve Lazaride, der auch Street Art Legende Banksy vertritt, seine erste Soloshow »Scratching the Surface«. Die portugiesische Band Orelha Negra setzte für das Video zu M.I.R.I.A.M. auf seine Sprengkünste, die dazu in Slow-Motion Aufnahmen sehenswert eingefangen wurden. Auch die : 2008 schaffte es seine Arbeit neben der von Banksy auf die Titelseite.
Der Überraschungseffekt, den seine Wandarbeiten bieten, kommt auch bei der Werbewirtschaft gut an. Sowohl für einen Spot der Levi’s Marketing-Kampagne »Go Fourth« wie für die Spielberg-Serie »Falling Skies« sprengte er Slogans. Diverse Galerien stellen dazu seine in Stein, Holz und Metall gemeißelten, geschnitzten und gekratzten Portäts sowie die zusätzlich gefertigten Collagen aus. Ein Problem zwischen der Arbeit als unabhängiger Künstler und Auftragnehmer großer Geldgeber sieht er bisher nicht. Für ihn zählt die bestmögliche Präsentation seiner Performance, weniger das Endprodukt.
Suche nach Identität
Die Weiterentwicklung der Street Art hat mit Vhils einen neuen Streckenabschnitt erreicht. Anders als beim Scratching oder Etching, wo mit spitzen Gegenständen oder Säure Botschaften in die Oberfläche gebracht werden, steht für ihn nicht die Kommunikation mit anderen Artists oder das schlichte Aufzeigen der eigenen Existenz im Vordergrund. Vhils mythische Sprengbilder beziehen ihre Form aus dem Leben, wirken dreidimensional. Seine Zerstörung hat künstlerischen Anspruch und ist ästhetisch wie ein gutes Piece.
Zudem spiegeln die detailreichen Arbeiten wie ein Menetekel das zentrale Thema in der Anonymität der Metropolen: Die Suche nach Identität. Vhils will den Großstädten ein Gesicht geben und gleichzeitig ihre Bewohner ermutigen mehr sein zu wollen, als nur einer unter vielen. Die zufällig gewählten Porträts, die stumm von seinen Häuserwänden blicken, werfen die zentrale Frage nach dem eigenen Ich zurück auf den Betrachter. Ihre Lebensdauer ist so flüchtig wie die Aufmerksamkeit der reizüberfluteten Stadtmenschen, dennoch bietet der produktive Abbruch ihnen für einen Moment die Chance, aus dem Alltag aufzuwachen.
Interview mit Alexandre Farto aka Vhils
Ist die Anerkennung der Street Artists wichtig für dich?
Nun, es ist natürlich wichtig für mich, von den Leuten, die ich bewundere, Respekt zu bekommen. Ich höre mir viele Meinungen an und respektiere sie, egal ob es Street Artists, Galerie-Besitzer, Kuratoren oder meine Familie und Freunde sind. Aber die Anerkennung ist nicht hauptsächlich das, was mich antreibt.
Wie gehst du mit deiner wachsenden Bekanntheit um?
Ich konzentriere mich nicht wirklich darauf, sehe Dinge nicht aus dieser Perspektive. Ich konzentriere mich auf meine Arbeit und darauf, dass die Dinge fertig werden. Es ist toll, dass Leute meine Arbeit mögen und die Anstrengung wahrnehmen, die ich investiere. Aber ich werde nicht von meiner Bekanntheit gesteuert, sie beeinflusst mich nicht besonders. Ich bin immer noch die gleiche Person und mein Leben ist so ziemlich dasselbe, das es vorher war.
Bekommst du mit deinen Wandarbeiten mehr positive Reaktionen von der Bevölkerung als mit Graffitis und Collagen?
Ich würde sagen, es verursacht eine größere Wirkung. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass die Wandarbeiten mehr ausgestellt sind und ein größeres Publikum erreichen, weil sie in der Öffentlichkeit sind und einen großen Maßstab haben. Persönlich finde ich die Arbeit in den Straßen wichtiger, sie ist interessanter vom Standpunkt des kreativen Prozesses und seiner Ausfertigung. Diese Arbeit ist definitiv anspruchsvoller und das Ausmaß macht es lohnender. Das heißt aber nicht, dass ich meinen anderen Werken weniger Bedeutung beimesse, unabhängig vom Medium.
Hast du deine Identität in der Street Art gefunden?
Jede Identität ist in Bewegung, ein fortlaufendes Projekt … Ich bin nicht wirklich derjenige, der über mich richtet. Ich habe Ideen, was ich versuche zu vermitteln, aber verschiedene Menschen sehen die Dinge auf unterschiedliche Weise, so ist alles offen für Interpretationen. Jede Künstleridentität findet sich wohl im visuellen Ausdruck der Arbeit, im eigenen Stil wenn du so willst. Jede Überrationalisierung führt da zur Rationalisierung der Identität und nicht zur Identität selbst.
In welche Richtung wird sich die Street Art-Szene deiner Meinung nach entwickeln?
Ich habe keine Idee. Das Phänomen ist so vielfältig und voller Vitalität, dass ich ehrlich denke, dass es sich in eine Vielzahl von Richtungen entwickeln kann. Und auch in verschiedene Richtungen zur selben Zeit. Jede Möglichkeit ist spannend zu diesem Zeitpunkt. Es wird neue Ansätze und neue Richtungen geben – einige davon werden im institutionellen Bereich (Galerien, Museen usw.) und andere in den Straßen weiterentwickelt werden.
Was ist dein nächstes Ziel?
Zu versuchen, Dinge so gut ich kann voranzutreiben. Die Grenzen aller Prozesse innerhalb meiner Lebensspanne (ohne jetzt dramatisch klingen zu wollen) zu verschieben. Ich bin immer interessiert am Experimentieren mit neuen Werkzeugen und Materialien, auf der Suche nach neuen Ideen, neuen Ansätzen. Ich kann nie wirklich sicher sein, wann ich mich selbst führe und wann mich meine Arbeit leitet. Ich mag diese Unberechenbarkeit.
Alexandre Farto aka Vhils (geboren 1987) hat am Central Saint Martins Collage of Art and Design in London studiert und lebt seither dort, wenn er nicht gerade irgendwo auf der Welt Bilder in Hauswände sprengt.