Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Andreas Dorau – »Das Wesentliche«
Im Wesentlichen ist alles über das Enfant terrible des deutschen Alternative Pop – natürlich nur positiv gemeint – gesagt. Dass Andreas Dorau tatsächlich nachhaltig seine Veröffentlichungsfrequenz nach oben schraubt, ist eine echte Wohltat. Nach dem 2017er Album »Die Liebe und der Ärger der Anderen«, das unter anderem durch »Ossi mit Schwan« wieder Kultstatus erreicht hat und sogar für zwei Wochen in den deutschen Albencharts platziert war – eine Premiere! –, erschien im Vorjahr das Musical »Koenig der Moewen«. Und nun eben wieder eine reguläre Langspielplatte. »Das Wesentliche« ist ein typisch verrückter Wurf von Dorau – und: er ist nicht gerade falsch betitelt. Denn sämtliche Stücke konzentrieren sich vor allem auf den Refrain. Strophen sind ohnehin überbewertet und der Connaisseur des Kehrreims hat eben auch hierin seine Stärken. Neben diesem künstlerisch interessanten Kniff, spielt Dorau auch auf der musikalischen Klaviatur mit Geschick: Neben fast schon einzigartiger Süße findet der Meister auch seinen Weg zurück zu elektronischen Zeiten – wie etwa im Vorab-Song »Naiv« –, der in schwelgerischem House-Beat um die Ecke kommt. Kurz: Ein Kaleidoskop an träumerisch-romantischem Liedgut voller Liebreiz. Er kann’s einfach!
»Das Wesentliche« von Andreas Dorau erscheint am 7.6.2019 via Tapete. Termine in Österreich: 4.10. Replugged Wien.
Bonaparte – »Was mir passiert«
Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen. Tobias Jundt, besser bekannt als Bonaparte, ist seit Jahren unterwegs, tritt mit und ohne Band auf, und hat für eine Generation an Indie-StudentInnen Lebenshymnen wie »Too Much« und vor allem »Anti Anti« auf den dünnen Leib geschneidert. Zwei lange Jahre war der Schweizer aus Berlin in der Welt unterwegs, hat sich mit großen Augen die Welt angeschaut und vor allem vom Vibe in Abijan anstecken lassen. Herausgekommen ist das erste deutschsprachige Album, das nicht nur mit einer Mischung aus afrikanischen und europäischen Einfluss aufwartet, sondern mit einem gehörigen Aufgebot an KollaborateurInnen: Neben Bela B. und Farin Urlaub – auf »Big Data« – finden sich auch Sophie Hunger – im Schweizer Duett »Dene wos guet geit« oder die ivorische-malische Songwriterin und Grammy-nomierte Fatoumata Diawara auf »Was mir passiert« wieder. Die Musik ist ebenso vielfältig. Neben gesellschaftskritischem Balla-Balla finden sich auch melancholische Midtempi-Stücke wie »Château Lafite«. Hat er gut gemacht.
»Was mir passiert«von Bonaparte erscheint am 14.6.2019 via Columbia. Termine: 23.11. Flex Wien.
Die Kerzen – »True Love«
Isn’t it ironic? Die Gruppe Die Kerzen, die schönste Perle aus Meckpomm, strotzt nur so vor Post-Ironie, spielt gekonnt mit Klischees des Pops und haben trotz aller Zitate einen »USP«, wie die Trendsetter sagen würden. Nach der bereits völlig mit Querverweisen und hipsteresker Ästhetik überzogenen EP »Erotik International« – alleine schon der Titel! – kommt mit der Debüt-LP »True Love« nicht nur der titeltechnisch nächste Schritt, sondern die Perfektionierung dessen, was man tatsächlich als postironischen Schlafzimmerpop bezeichnen könnte. Das ist Sexmusik für die Bio-Bagage, Kuschelrock für Helikoper-Eltern oder Dreampop für Desillusionierte. Das sind die 80er für in den 90ern Geborenen. Das ist kitschig, das ist zuckersüß, das ist massiv too much. Aber auch: Das ist ganz schön gut. Mit einer gar selbstständigen, aber nie zu ausufernden Tanzbarkeit und einer Ohrwurmdichte. Das macht Spaß, da sitzt jede Synthie-Fläche – und davon gibt es ganz schön viele –, da ist jedes Wort abgewogen. Das ist durchdacht. Und damit weit mehr als nur ein Guilty Pleasure.
»True Love« von Die Kerzen erscheint am 28.6.2019 via Staatsakt. Noch keine Österreich-Termine geplant.
Von Luft – »Wo die Flamingos stehen«
Besonders schön: Neuentdeckungen von grundsympathischen Labels. Hier: Bohemian Strawberry, geführt von den Zwillingsschwestern Grether, welche man aus den gut sortierten Magazin-, Literatur- und Plattensammlungen kennen dürfte. Die haben nämlich auch lang- und kurzfristige Hypes in ihren Reihen, neben natürlich Doctorella sind das etwa auch Maike Rosa Vogel oder Die Supererbin. Recht neu ist die Gruppe Von Luft, die auch gleich ihr Debüt »Wo die Flamingos stehen« auf den Markt bringt. Wobei, neu ist natürlich immer relativ: Die Gruppe war früher als Helikon aktiv und ergibt sich zuvorderst aus dem Ehepaar Jochen Schmadte und Anna Otto – aufregend: ein doppeltes Palindrom! – und etwa auch aus Mitgliedern von Kettcar oder Kid Kopphausen. Die Marschrichtung ist also bekannt: Klassischer Indie-Pop Hamburger Machart, melodisch, angesiedelt zwischen Americana und New Waves, zwischen Up-Tempo-Folk und Rock, poetisch und natürlich mit der ein oder anderen Zeile für dein Lieblings-Turnsackerl, wie etwa: »Alle gleichen wie ein Ei dem anderen / nur das eine hat nen Knacks«. Und das hier – »Wo die Flamingos wohnen« – schmeckt besonders gut.
»Wo die Flamingos stehen« von Von Luft erscheint am 21.6.2019 via Bohemian Strawberry. Keine Ö-Termine.
Schmafu – »Siswisis«
Weißt eh, wie es ist: Die Formation Schmafu aus Wien/Oberösterreich, die bereits seit 2015 mit Guerilla-Aktionen wie dem Hörsaal-Crash an der Uni Wien einiges an Aufmerksamkeit für sich gewinnen konnte, hat nach einer EP von 2017 nun den ganz großen Coup gewagt und stellt ihr Debütalbum in die Läden. Darauf exerziert der Fünferpack eine gar unerhöhte Mischung aus österreichischen Texten, aufregendem und aufgeregten Sprechgesang und einer breiten Range aus musikalischen Spezereien. Achtung Wortwitz!: Von Funkstille ist auf »Siswisis« keine Spur. Denn wenngleich die Synth-Flächen manchmal sogar melancholisch ausfallen oder die Slide-Gitarren teilweise cheesy singen, sind es vor allem die funky Licks, die das Grundgerüst der zehn Nummern auf »Siswisis« tragen. Besonders kommt dies bei der Single »Odanedodawos« – deutsch: »Oder nicht oder was?« – hervor, gleichzeitig auch der größte Hit auf dem Album. Ned schlecht, odanedodawas?
»Siswisis« von Schmafu erscheint am 7.6.2019 via Hinterhof Records. Termine: 19.9. Fluc Wien, 28.9. Jazzkeller Krems an der Donau.