Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Rocko Schamoni – »Musik für Jugendliche«
Da ist er nun wieder. Der gute alte King Rocko Schamoni. Wer ganz klar unter den Top 3 der attraktivsten Mitglieder von Studio Braun liegt, kann es sich leisten, gefühlte Millionen Jahren – es waren nur zwölf – keine eigenen Songs mehr zu veröffentlichen. Klar, jemand musste mit Fraktus die Geschichte des Techno neu schreiben und auch das sträflich vergessene Coveralbum »Die Vergessenen« aus 2015 ist zumindest zweite Sahne. Musikalisch ist »Musik für Jugendliche« – guter Witz, die hören heute ja ganz anderes, hört man – ganz entspannt: Müsste man Musik mit Farben beschreiben, würde man wohl jene, in der das Special Vinyl gepresst ist, als Referenzpunkt nehmen: Mintgrün. Wir hören bequemen Soul, wir hören Schlagerpop, der den Geist der italienischen 70er und griechischen 80er Jahre atmet, wir hören Ironie, wir hören Nostalgie, wir hören Patina und Pastell. Wir hören Texte über das Ende der Welt, über den eigenen Tod und den von Geliebten. Wir hören – und jetzt macht das alles wieder Sinn – davon, dass die eigene Jugend nie vergeht. Vor allem, wenn man weiterhin so viele Flausen im Kopf hat.
»Musik für Jugendliche« von Rocko Schamoni erscheint am 6.9.2019 via Tapete. Keine Österreich-Termine.
Kirchner Hochtief – »Evakuiert das Ich-Gebäude«
Kunst und Kacke – in den meisten Fällen ist das doch das gleiche. Die Verbindung von Pop und Kunst ist meist langweilig und zu bemüht. Aber, und es gibt immer ein Aber: Das muss nicht so sein. Bereits seit Mitte Mai läuft etwa in der Kunstmetropole Mannheim die Ausstellung »Evakuiert das Ich-Gebäude«, ein begehbares Pop-Album. David Julian Kirchner würde aber gar keinen Überbau benötigen, keine Sinngebung für seine Musik. Das Album, das bei Staatsakt erscheint, ist vielleicht das interessanteste aus dem so geliebten Genres des Post-Punk: Zwischen verspielter Hamburger Schule mit Offbeat-Gitarren und Versatzstücken aus verzerrtem Krach entspinnen sich elf Stücke, die zwar durchaus unterschiedlich sind und die Lust am Entdecken wecken, aber dennoch stets auf wundersame Weise ineinandergreifen: Dass manchmal nach frühem Enno Bunger geklungen wird und manchmal nach kratzbürstigeren Die Nerven, ist dabei weder störend noch inkonsequent, sondern aufregend. Und das muss du erst einmal schaffen. Sehr gut!
»Evakuiert das Ich-Gebäude«von Kirchner Hochtief erscheint am 20.9.2019 via Staatsakt. Keine Österreich-Termine.
Stefanie Schrank – »Unter der Haut eine überhitzte Fabrik«
Kurze Vorstellungsrunde: Stefanie Schrank ist die Bassistin und Sängerin der an dieser Stelle sehr häufig sehr gelobten Gruppe Locas in Love und auch bildende Künstlerin. Dass nun ihr erstes Solo-Album entsteht, ist eine glückliche Fügung. In persönlichen Liedern, die mit dem sehr sympathischen Lucas Croon von Stabil Elite – wer Stabil Elite nicht mag, hat Musik nie gemocht! – bereits seit Sommer 2016 aufgenommen wurden, nimmt sich Schrank den großen Ungerechtigkeiten des Lebens an, sprich: Neoliberalismus, Patriachat und quasi der zwangsläufigen Depression als Ausdruck all dessen. Dreamy Synth-Flächen sorgen für Unterkühlung, es ist seltsamer Pop, gleichzeitig zugänglich, verspielt, aber gleichzeitig distanziert. Die assoziativen Texte sind mit Geschick und Bedacht ausgewählt, an manchen Stellen mischt sich Deutsch und Englisch Zeile für Zeile. Trotz teilweise entrückter Lyrik wohnt »Unter der Haut eine überhitzte Fabrik« eine gar ungewohnte Klarheit inne, man fühlt sich – so würden wohl Marketingleute argumentieren – abgeholt.
»Unter der Haut eine überhitzte Fabrik« von Stefanie Schrank erscheint am 27.9.2019 via Staatsakt. Keine Österreich-Termine.
Rauchen – »Gartenzwerge unter die Erde«
Das Album nach dem Hype: Bei der grandiosen Vorab-EP »Tabakbörse« und insbesondere dem weithin vorgestelltem Single-Hit »Opfermythos am All-You-Can-Eat-Buffet« haben auch die nicht ganz so coolen Leute aus deiner Timeline einen Daumen hergegeben. Das Album »Gartenzwerge unter der Erde« ist wieder pure Distinktion für jene, die dagegen sind. Auf atemberaubenden zehn Stücken, die gerade mal zwölf Minuten dauern, gibt’s natürlich kein Durchschnaufen, in schallend schnellem Post-Hardcore wird gegen alles angeschrien, was ankotzt: Das Patriachat und Deutschland, die voyeuristischen Blicke am »Schwengelstrand Nordostdeutschland«, die Trachten-Trottel – Retraditionalisierung am Arsch –, der Neoliberalisierung des Selbst. Rauchen haben einiges Richtiges zu sagen und machen’s kurz. Warum auch rumeiern und unnötig in die Länge ziehen? Wer so prägnant texten kann und schnell auf den Punkt kommt braucht keine fünfzig Wörter pro Songs. Ganz großartig!
»Gartenzwerge unter der Erde« von Rauchen erscheint am 13.9.2019 via Zeitstrafe. Ärgerlicherweise keine Ö-Termine.
Wanda – »Ciao!«
Das vermeintlich meistverkaufte Album des Monats – und eventuell auch des gesamten Jahres – wird natürlich wieder jenes von Wanda sein. 100.000 Leute waren im Vorjahr auf dem Donauinselfest, Headliner am nach eigener Zählweise größten Festivals Europas, das kann schon was. Und – das muss man sich auch wirklich eingestehen –, Wanda sind längst in die Sphären jener aufgestiegen, die ebendort legendär konzertierten: Falco, ja, Rainhard Fendrich, Wanda. Auf dem vierten Album, natürlich italienisch benannt, aber nicht als Abschied gemeint, ist die Gruppe derweil so variabel wie noch nie: Neben der typischen Wanda-Hymne »Ciao Baby«, die zehn Sekunden nach Veröffentlichung schon viral war, finden sich auf »Ciao!« öfters funky Licks wie in »Nach Hause gehen« und auch nahezu alle Variationen des großbuchstabierten Rocks, eckt an alle Jahrzehnte der Popgeschichte an, ist gleichzeitig modern und vermeintlich zeitlos. So geht man zumindest sicher: Auch wenn den Leuten nicht alle Songs taugen, zumindest einer taugt ihnen sicher.
»Ciao!« von Wanda erscheint am 6.9.2019 via UMD / Vertigo Berlin. Auf großer Bühne in Österreich sind sie 2020: 9.5. Olympiahalle Innsbruck. 15. und 16.5. Stadthalle Wien, 18.7. Freiluftarena B Graz.