»Approximation« ist ein mathematischer Begriff für den physikalischen Prozess der Annäherung einer Kurve an eine Gerade. So nähern sich auch Musik und visuelle Kunst sowie deren SchöpferInnen in einer gleichnamigen Sammelausstellung im Museumsquartier Wien an einander an.
»Diese kalte Welt braucht mehr Approximation, weil es gibt nur eine Culture, und die kennt keine Nation«, lautet eine Zeile in »LED Go« von Bilderbuch. Der Song findet sich auf dem zuletzt erschienen Album der Band, »Vernissage My Heart« (2019). Jetzt folgt als logische Konsequenz auf die Vernissage die Ausstellung, deren »Heart« das Aufbrechen altbekannter Konzepte und die Freude am gemeinsamen Schaffen, an gegenseitiger Inspiration ist.
Das kennt man von Bilderbuch: musikalische und optische Querverweise, (Stil-)Zitate unterschiedlicher Zeiten und Genres, die sie sich in der Gegenwart zu eigen machen, die Wandelbarkeit als scheinbar einzige Konstante. In diesem Kontext sind auch die Frisuren der Bandmitglieder zu verstehen, bei denen es niemals einfach nur um Haare geht: Als sie ihren Durchbruch hatten, fungierte der wasserstoffblonde Schopf von Maurice Ernst als wichtiges identitätsstiftendes Element. Der Wechsel zu Dunkelbraun markierte dann den Beginn einer neue Ära, die Cornrows seiner Kollegen waren Gegenstand von Diskussionen und fanden ihre NachahmerInnen.
In der Aufnahme von Leonardo Scotti vom Hinterkopf des Gitarristen Michael Krammer kommt nun wiederum einiges zusammen: Die Liebe des Fotografen für die Perspektive von hinten mit gewohnt greller Optik und dem Rave-Smiley, stellvertretend für eine ganze Epoche. Man begegnet sich über die zeitgenössische Fotografie irgendwie, irgendwo und irgendwann in der Gegenwart. Den Rasierer schwang in diesem Fall der Wiener Künstler Fresh Max, der auch, dem Prinzip der Vielstimmigkeit folgend, zusammen mit der Band und dem Berliner Kulturpublizisten Jannik Schäfer für die Entwicklung des Ausstellungskonzeptes verantwortlich ist.
Im Sinne des Bilderbuch-Popbegriffes, der weit über ein rein musikalisches Verständnis hinausgeht, wird nun diesem kreativen Austausch auf visueller Ebene gehuldigt: Gezeigt werden Arbeiten verschiedener KünstlerInnen, die sich mit der Band für Albencovers oder Videos auf Annäherungen eingelassen haben, darunter etwa Werke von Mafia Tabak. Der Künstler gestaltete das Artwork für »Vernissage My Heart«, sowie Teile der Requisite für die Videoauskoppelung zum Song »Frisbeee«, bei der Handgemaltes abgefilmt wurde – digital und analog sind sowieso längst keine eindeutig trennbaren Kategorien mehr.
Viele der Exponate sind Ergebnisse des Zusammenspiels unterschiedlicher künstlerischer Positionen, die oftmals ganz spezifische Sichtweisen auf die Welt sind. Die resultierende Bilderwelt von Bilderbuch wird als kollaboratives Gesamtkunstwerk präsentiert, das sich einer eindeutigen Stilverortung entzieht und sich aus der Zusammenarbeit vieler Menschen speist. Fans wiederum können sich dem Ausstellungsraum als Erfahrungsort der Band nähern und ihre gewohnten Wahrnehmungen vom Kosmos Bilderbuch erweitern – auf das große Ganze, wo alles mit allem irgendwie zusammenhängt.
Die Ausstellung »Approximation by Bilderbuch« ist von 28. Februar bis 20. August im Frei_raum Q21 Exhibition Space im Wiener Museumsquartier zu sehen und zeigt Werke von Elizaveta Porodina, Stefan Marx, Leonardo Scotti, Neven Allgeier, Mafia Tabak, Sucuk & Bratwurst, Boris Camaca, Daliah Spiegel, Selam X, Simone Cihlar, Fresh Max, Clemens Loeffelholz und OBJ.Studio.