Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Maurice Summen – »Paypalpop«
Maurice Summen, seines Zeichens Zampano, Mastermind und Vortänzer des renommierten Labels Staatsakt, veröffentlicht nach zahlreichen Projekten – besonders prominent zuletzt: Die Türen, Maurice & Die Familie Summen, OIL oder auch Baked Beans – nun tatsächlich sein erstes Soloalbum. Es ist ein »Corona-Album«, mit der offenbar dafür notwendigen Produktionsweise: Selbstgeschriebene Stücke werden an anonyme Ghost-Producer geschickt, welche die Songs ausproduzieren und damit gleich auch von diesem Plattform-Kapitalismus herausgelöst werden sollen. Das Ergebnis ist wunderbar spaciger Hyperpop zwischen Jacques Palminger, Erobique, Daft Punk und Synth-Wave, der durchgehend richtig Bock macht. Neben der unabdingbaren Tanzbarkeit – für die Summen seit jeher steht –, kommt auch Humor an keiner Stelle zu knapp, wobei vollbracht wird, was nicht viele hinbekommen: Zeitgenössische Themen und Lyrics, ohne vollkommen in die Peinlichkeit abzudriften.»Besoffen bei Discogs«, »Alles tut so www« oder »Link in My Bio« sind alleine schon in den Songtiteln Beispiele für die aufgedeckten Banalitäten des modernen Lebens, besonders interessant ist auch die Erkenntnis »Junge Menschen haben keine alten Fotos« (aus »Alte Fotos«). Denk da mal darüber nach!
»Paypalpop« von Maurice Summen erscheint am 14. Mai 2021 via Staatsakt/Bertus/Zebralution.
Anna Mabo – »Notre Dame«
Die Wiener Sängerin, Dichterin und Regisseurin Anna Mabo ist bei weitem keine Unbekannte im heimischen Folk-Pop: Ihr Debütalbum »Die Oma hat die Susi so geliebt« aus dem Jahr 2019 verzauberte mit wunderbaren, gleichzeitig minimalistischen und doch auch sehr wortgewandten Lieder, vor allem der Titelsong über eine Hündin blieb sehr lange in den Ohren kleben. Für das nun erscheinende zweite Album holt sich Mabo eine Begleitband namens Die Verzerrten dazu, zu der neben Förderer Ernst Molden auch dessen Sohn Karl, Cellist Clemens Sainitzer und »Bo Candy« Thomas Pronai gehört. Die Begleitung hält sich auf den meisten der insgesamt elf Stücke eher zurück – wir sind hier ja immerhin noch im Lo-Fi-Folk –, weiß aber auch durchaus in die Saiten und Drumkits zu schlagen. Neben den fast sogar noch ein bisschen besseren Liedern gesellen sich auch auf »Notre Dame« auch wieder tatsächlich so großartige Zeilen wie etwa im Mörder-Stück »Das Fahrradschloss«, das von Liebe und Jugend erzählt: »Wir haben unsere Jugend in Stanniolpapier verpackt und gehofft, dass sie so ein bisschen länger hält« heißt es da. Dringende Kaufempfehlung!
»Notre Dame« von Anna Mabo erscheint am 7. Mai 2021 via BaderMoldenRecordings. Termine: 26.5. RKH Wien, 23.6. Burgsommer Hall in Tirol.
Fortuna Ehrenfeld – »Die Rückkehr zur Normalität«
Dass die Gruppe Fortuna Ehrenfeld an dieser Stelle – und in zig Herzen – einen Ehrenplatz hat, dürfte nicht überraschen: Der melancholische Weirdo-Pop von Martin Bechler, dem größten Poeten in Leisure Wear seit dem Zugaben-Udo, begeisterte bereits über drei Alben lang, wobei vor allem Album #2 »Hey Sexy« (2017) und der dritte Langspieler »Helm ab zum Gebet« (2019), der auch ins Französische übersetzt wurde, All Killer No Filler sind, die in jedem gut gefüllten Plattenschrank einen Ehrenplatz in der Vitrine haben sollten. Mit Album Nummer 4 – jetzt auch auf neuem, eigenem Label, auf dem auch schon Rainald Grebe, Bruder im Geiste, veröffentlicht hatte – schraubt die nun fest zum Trio gewachsene Band ein wenig am Soundkleid: Poppiger, moderner, tanzbarer geht’s auf »Die Rückkehr zur Normalität« zu, der Titel darf durchaus als Vorbote für eine Post-Corona-Zeit begriffen werden. Fortuna Ehrenfeld bleiben aber trotz des Updates unverkennbar, auch der geneigte Melancholiker darf sich wiederfinden. Tipp? Am Besten gleich die gesamte Diskographie kaufen.
»Die Rückkehr zur Normalität« von Fortuna Ehrenfeld erscheint am 28. Mai 2021 via tonproduktion records. Leider (noch) keine Österreich-Termin. Martin, gib’ dir einen Ruck!
Lisa Who – »Ein neuer Beginn«
Wenn als begleitende Empfehlung des Herausgebers der Satz »Die erste Nummer klingt krass nach Flaming Lips!« in der Weiterleitung des zweiten Albums von Lisa Who steht, dann sind die Ohren natürlich doppelt gespitzt: Hätte es aber gar nicht benötigt, schließlich kommt die deutsche Sängerin und Songwriterin, die sich ja tatsächlich aus der Unsäglichkeitspop-Gruppe Madsen entwirrt hatte, ganz ohne Vergleiche aus: Zu individuell ist ihr 60s angehauchter Prog-Pop, der gleichsam nach Wüstenstaub und Weltraum klingt – an anderer Stelle wurde einmal gesagt, Lisa Who mache »Alt-Männer-Rock für gestresste Teenager«. Vor allem aber macht sie wunderbar langgezogene Songs, für die zwölf Stücke auf »Ein neuer Beginn« benötigt sie eine knappe Stunde. Produziert hat übrigens neben Sebastian Madsen auch Tobias Siebert, das hört man. Es ist intellektuelle Musik ohne Mief, zum sich Fallenlassen und darin Verlieren, zum Durchatmen und Mitfiebern. Es ist Musik, die gleichsam gefällig und sperrig ist. Und das ist wohl das beste Kompliment überhaupt.
»Ein neuer Beginn« von Lisa Who erscheint am 7. Mai 2021 via Imprint The Shit Records. Aktuell keine Österreich-Termine.
Ernst Molden & Das Frauenorchester – »Neiche Zeid«
Ernst Molden, der im letzten Jahr mehr Leute vor seinem Balkon versammelte als damals der Figl Poldl, war auch abseits seiner Heim-Gigs weit weg von untätig, schon vor zwei Monaten durfte ein neues Album, gemeinsam mit Der Nino aus Wien, bewundert werden, Ende Mai erscheint auch die nächste Scheib’n mit Molden Resetarits Soyka Wirth – mehr dazu in der nächsten Print-Ausgabe von The Gap. Dazwischen, aber keinesfalls gehudelt, wird das zweite Album mit dem Frauenorchester veröffentlicht. Das erste »Dei Schwesda waand« aus dem 18er Jahr reihte sich nahtlos in das herausragend gute Oeuvre der letzten Jahre ein (Tipp: »Wüde Jogd«). »Neiche Zeid«, eben wieder gemeinsam aufgenommen mit Sibylle Kefer, Marlene Lacherstorfer und Maria Petrova, schert dabei keinesfalls aus: Es ist allerdings durchaus experimenteller Instrumentiert, die präsenten Drums sind ebenso auffällig wie das lärmende Crescendo beim obligatorischen Cover eines amerikanischen Traditionals: »In the Pines«, das zu »Mei Madl« wird, ist rockiger als damals beim Cobain Kurtl. Das ist eine Ansage!
»Neiche Zeid« von Ernst Molden & Das Frauenorchester erscheint am 14. Mai via BaderMoldenRecordings. Termine: 17.9. Mitten In Favoriten, Wien. 19.11. Mozartsaal, Wien. 22.12. Porgy & Bess, Wien.
AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:
Die Buben im Pelz – »Geisterbahn«
(VÖ: 14. Mai 2021)
Für ihr drittes Album haben sich Die Buben im Pelz zu einem Vergleich des heutigen Wien mit dem Berlin der 1980er hinreißen lassen und gleich einmal bei Neubaute Alexander Hacke ihr drittes Album produziert. Mutiert zu einer waschechten Rock-Band finden sie zurück zur Kunst des Covers und wagen sich erstmals an politisches Material. Die ganze Geschichte erfährt man im druckfrischen The Gap #186 – und bald auch online.
Tschaika 21/16 – »Prinzessin Teddymett«
(VÖ: 28.5.2021)
Das Trio Tschaika 21/16 stellt mit ihrem zweiten Album »Prinzessin Teddymett« mal wieder die alte Frage der »härteren« Musik. Ist alles, was irgendwie nach allem klingt, einfach Math? Wie dem auch sei, die Rechnung geht auf: Die Supergroup (u.a. von RotoR oder Ohrbooten, ja, genau) drischt und zimmert in ausgefeilter Melodie auf Schlagzeug und Gitarre, im Unterschied zum Vorgänger gibt’s sogar öfter Vocals – und mehr Trompeten. What?
Fahnenflucht – »Weiter Weiter«
(VÖ: 28.5.2021)
Die Beschissenheit der Dinge in der Pandemie ist bekanntlich nur eine Zuspitzung dessen, was der Kapitalismus uns seit jeher in die Frontallappen brennt. Die Überwindung des Systems ist zwar hoffentlich systemimmanent, Zweckoptimismus weicht aber immer mehr einer Verzweiflung: Diesem Thema widmen sich die Punk-Veteran aus dem Ruhrpott aus ihrem ersten Album seit 2016. Nettes Teil!