Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Mai 2019

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

© Nils Lucas

Fortuna Ehrenfeld – »Helm ab zum Gebet«

© Sebastian Kolodzeijczyk

In Hamburg würden sie – zumindest dem Klischee nach – sagen: »Jetzt mal Butter bei die Fische!«. Das zweite Album von Fortuna Ehrenfeld »Hey Sexy« war eine absolute Offenbarung, eine Langspielplatte, die noch sehr viele Jahre vielen Menschen Freude wird machen können. Und auch wenn Martin Bechler, Mastermind und Bademantel-Messias gar nicht aus Hamburg ist, sondern aus Köln, trägt die Musik seines Projekts, das mittlerweile auf drei Personen gewachsen ist, stets die Sehnsucht, die nur Menschen an kaltem Meer kennen dürften, in sich. Diese Schwermut als Grundnote seiner Chansons, die manchmal gar klassisch, manchmal gar elektronisch intoniert werden, hat sich natürlich auch auf »Helm ab zum Gebet« gehalten. Wenn auch im Vergleich zum Vorgänger die Anzahl der Filler schon etwas angestiegen ist, sind weiterhin einige große Kleinode melancholischer Songwriter-Kunst enthalten, wie etwa das zerrüttete »Herbstmeister der Herzen« oder das croonige »Der Ablativ von BUMM!«, sowie das wehmütige »Salzblusenkreuz«. Das ist sehr schöne Musik.

»Helm ab zum Gebet« von Fortuna Ehrenfeld erscheint am 10.5.2019 via Grand Hotel van Cleef. Termine in Österreich: 23.5. Orpheum Extra Graz, 24.5. Donaukanaltreiben in Wien, 24.5. C’est la Mü in Oslip. Dringende Empfehlung!

Von Wegen Lisbeth – »sweetlilly93@hotmail.com«

© Nils Lucas

Vorweg, weil’s auffällt: Ja, es wird 2019 keinen besseren Albumtitel geben. Von Wegen Lisbeth, ohnehin eine Band bar jeder Vernunft, haben es humortechnisch einfach drauf. Klar, man kann den Berliner Indie-Poppern einiges vorwerfen – den Echo zum Beispiel, den »Ausverkauf« sowieso –, man sollte aber stets den Mut zur Anerkennung haben. Bemerkenswert etwa: Eingängigkeit, ein Gespür für catchy Lines und Melodien, sowie natürlich eben der Humor. Diesen betten sie ein in popkulturelles Verständnis für aktuelle Verhältnisse to the max ein. So bezieht man sich beispielsweise in »11 Minuten« auf die versprochene Dauer bis zur nächsten Liaison oder auf »Jede Ratte der U8« auf den Wohnungsmarkt. Das Herzstück des durchgängig sehr entdeckungsreichen Albums, das tatsächlich durchgängig zu unterhalten vermag, ist das gar schon ungewöhnliche, aber doch irgendwie ironische – so sind sie halt – retrophil verkläre und sehr starke »Westkreuz«, wo Friseursalons Dönerbuden weg-gentrifizieren, aber immerhin noch U-Bahn-Fahrstühle nach Urin duften. Apropos – und diese Überleitung wäre vielleicht auch im Sinne der Band –: »sweetlilly93@hotmail.com« ist dufte!

»sweetlilly93@hotmail.com«von Von Wegen Lisbeth erscheint am 3.5.2019 via Sony. Termine: 10.10. Arena Wien, 11.10. Posthof Linz, 12.10. Orpheum Graz.

Neufundland – »Scham«

© Jean Raclet

Zackende Gitarren, verspielte Bässe und eine gehörige Portion Funk. Früher, in den qualitativen Hochzeiten von Gruppen wie Foals oder Vampire Weekend hätte man das wohl »Afro-Beat« genannt, was die fünf Kölner auf ihrem zweiten Album so fabrizieren. Nachdem bereits das Debüt »Wir werden niemals fertig sein« vor anderthalb Jahr einigen Staub aufwirbeln konnte, ist auch der Nachverfolger dazu gemacht, Denk- und Hörmuster zu hinterfragen. Neufundland sind sich dabei nicht nur der – leider auch in dieser Plattenkritik-Rubrik auf thegap.at – überrepräsentierten weißen und toxischen Männlichkeit bewusst, sondern greifen diese im zentralen Stück von »Scham« auch gerade an: Auf »Männlich, blass, hetero« heißt es folglich: »Immer noch weiß wie Schnee / White Supremacy / Ich blick zurück, weil ich nie untergeh’.« Aber auch auf den anderen elf Stücken kombinieren Neufundland zeitgenössische Betrachtung mit hippen zusammengestückelten Musiken. Schon kritisch, aber immer tanzbar. Da muss man sich nicht schämen.

»Scham« von Neufundland erscheint am 31.5.2019 via Unter Schafen. Österreich-Termin: 1.11. Rhiz, Wien.

Rosi Spezial – »Alles Isch Alles«

© Elena Shirin

Ein Kalauer zum Einstieg: Geschichte wird von GewinnerInnen geschrieben. Die Geschichte des österreichischen Pops wird von WienerInnen geschrieben. Zumindest meistens. Vor allem Gruppen aus dem äußersten Westen haben gleich direkt einen Exotenstatus. Während das Wienerische meist gleich synonym zum »Österreichischen« verwendet wird, malt das Vorarlbergerische gleich einmal Fragezeichen in die Köpfe der Hörenden. Und was vor sechzehn Jahren für HMBC galt, gilt auch für die – Eigenbezeichnung – vierköpfige »Freejazzpopmusikkapelle« Rosi Spezial, die nach den zwei EPs »Am Sunntig bliebsch nüchtern« (2016) und »A saftiges Fax« (2017) nun ihr Debüt-Album präsentieren. Und ja, »Freejazz« trifft es gar nicht so schlecht. Fernab jeglicher musikalischer Zwänge und Genre-Distinktionen, manchmal sogar »Pop«, manchmal »Volksmusik«, manchmal »düstere Psychedelik«, aber alles unter Anführungszeichen, stets im Rahmen der eigenen Definition. Noch dazu stellen sie ihre Sprache in den Mittelpunkt, was jedem Stück eine – aus Wiener Sicht – gewisse Wahrnehmung als »Kunst« beschert. Stark!

»Alles Isch Alles« von Rosi Spezial erscheint am 10.5..2019 via Füdla Records & Gehdanke Records. Termine: 21.3. Buntergrund, Feldkirch. 22.3. Loop, Wien. 5.4. Kapu, Linz. 15.5. Chelsea, Wien. 16.5. Graslerei, Graz. 17.5. Jellyfish, Innsbruck. 18.5. Remise, Bludenz. 19.5. Hörnlingen, Rankweil. 21.5. Dokapi, Linz.

Fuzzman – »Hände weg von Allem«

© Susa Hassler

Rechtzeitig vor dem geplanten Comeback-Album von Naked Lunch gibt es noch ein Solo-Album von Herwig Zamernik alias Fuzzman. Nach dem nun drei Jahre alten Vorgänger – der sehr guten Fingerübung im Country-Soul namens »Fuzzman feat. The Singin’ Rebels« –, mit dem vielleicht größten Solo-Hit »Für eine Handvoll Gras«, sattelte der Kärntner mit seinem Lotterlabel auf Mogul und Geburtshelfer für neue Stars um: Voodoo Jürgens, Pauls Jets, aber auch Kreisky haben auf dem Label und/oder im Studio mit Fuzzman wunderbare Alben aufgenommen. Man darf davon ausgehen, dass sie die Hörgewöhnheiten der Zeit überdauern werden. Ein Festival gibt’s auch bald: Das Fuzzstock Bergfestival am Klippitztörl. Fuzzman selbst hat derweil aber auch schon gar nichts verlernt: Während bislang häufig ein Genre-Motto über die Alben gestülpt wurde – von alternativem Schlager bis eben Country-Soul –, regiert auf »Hände weg von Allem« der Eklektizismus, wo es alles gibt, was ihn bislang begleitet hat, quasi zwischen Beck und Udo Jürgens, wenn man so möchte. Ohne Berührungsängste eben. Das kann ganz schön befreiend sein.

»Hände weg von Allem« von Fuzzman erscheint am 3.5.2019 via Lotterlabel. Termine: 16.5. PPC, Graz. 17.5. Stadtwerkstatt, Linz. 18.5. WUK, Wien. 24.5. Spielboden, Dornbirn. 25.5. ARGE, Salzburg.

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