Tauscht negative Unabhängigkeit gegen positive Abhängigkeit! Verwerft das neoliberale Independent-Motiv – und schließt euch zusammen!
»Es gibt keine Bands mehr«, sagte Adam Levine zuletzt in einem Interview. Als Sänger von Maroon 5 säuselt der US-Amerikaner seit den frühen 90ern ins Mikro, hat über 120 Millionen Platten verkauft und eine Stimme im Geschäft, die nach Anal-Bleaching klingt, aber Gold scheißt. Klar, man könnte seine Aussage als kulturpessimistischen Ausrutscher eines Multimillionärs abtun, der zwischen Kaviar im Backstage und Koks auf der Afterparty den Bezug zur Realität verloren hat. Oder man nimmt ihn ernst. Und fragt sich: Gibt es tatsächlich keine Bands mehr? Wenn ja, was wäre so schlimm daran? Und wieso wäre es nicht besser, sich von Bands zu trennen, um neue Banden zu gründen?
Realitätscheck, die Erste: Ein Blick in die Top Ten der FM4-Charts, des selbsternannten Seismografen fürs nationale Indie-Wonderland. Auf den ersten Plätzen findet man dort neben Billie Eilish, Jan Delay und James Hersey auch Lorde und Olivia Rodrigo. Dahinter balancieren mit Buntspecht sechs betrunkene Seiltänzer, Realkeeper-Rap aus Linz von Da Staummtisch. Und einige Duos aus der Abteilung Friends with benefits. Würde man es diplomatisch ausdrücken, man spräche von keinem Überangebot an Bands. Schärfere Zungen haben da aber schon längst den neuen Kult des Individualismus ausgerufen.
Schließlich leben wir in einer Zeit, in der es darum geht, den eigenen Success zwischen drei verwackelten Tiktok-Videos zu verfolgen. Da mag eine Band sicher nicht die ökonomischste Art sein, Musik zu machen. Es sei teuer, anstrengend und nicht zuletzt ein Commitment, das mehr nach verschwitzten Lederjacken und einem Griff in den Schritt mieft, als es nach einer Instagram-tauglichen Selbstdarstellungsstrategie aussieht. Mit anderen Worten: Das Band-Ding hat mehr etwas von Papas Plattenkiste als vom aktuellen Zeitgeist. Denn, so das Versprechen der neoliberalen Content-Warriors, es gehe ohnehin nicht darum, was man auf der Bühne leistet, sondern darum, wie man sich abseits von ihr verkauft – und das funktioniert nun mal einfacher, wenn man sich nicht permanent mit basisdemokratischen Entscheidungen herumplagen muss.
Gründet keine Bands …
Man muss nicht unbedingt fünf Soziologieseminare besucht haben, um die Individualisierungsthese samt Abgesang auf Social Media zu verstehen. Man muss sie aber auch nicht nachplappern wie ein hängengebliebener Dinosaurier, für den Pink Floyd das letzte große Ding waren. Bands stellten – es wird ganz gern vergessen – auch vor der Implosion unserer Aufmerksamkeitsspanne häufig einen Kompromiss dar, bei dem meist ein talentierter Kopf sein*ihr Ding machen wollte, aber auf das Mittun anderer angewiesen war. Eben weil sich noch keine synthetische Drum-Spur aus der gecrackten Ableton-Software saugen ließ. Und nicht alle ihren digitalen Einkaufszettel durch Autotune klopfen konnten.
Das ist heute anders. Und begünstigt die Entstehung von Ein-Personen-Projekten. Die einen sehen darin die Demokratisierung, andere den Untergang des Musikgeschäfts. Man könnte sich aber auch mal die Frage stellen, was daran so schlimm sei, wenn mehr Menschen die Möglichkeit bekommen, sich künstlerisch auszudrücken. Nicht unbedingt in Bands. Aber auf eine Art, die Vernetzung nicht unterbindet, sondern verstärkt. Was wäre also, wenn wir die These des elitären »Es gibt keine Bands mehr«-Gebrabbels auf den Kopf stellen und stattdessen sagen: Gründet keine Bands, bildet Banden, die auch Bands sein dürfen, aber gleichzeitig viel mehr sind als der Krach aus sechs Gitarrensaiten!
»Am Anfang einer jeden künstlerischen Zusammenarbeit steht ein Bedürfnis«, erklärt die in Wien lebende Künstlerin Veronika König. Als Farce betreibt sie zwar ein Soloprojekt, verbindet sich aber immer wieder mit anderen Künstler*innen wie Wolfgang Möstl oder Clara Luzia. Farce sieht im Drang nach Kollaboration ein Spannungsverhältnis zwischen Push- und Pull-Faktoren. Entweder es fehle in ihrer einsiedlerischen Arbeitsweise an etwas, das jemand anderes habe. Dann müsse sich was ändern. »Noch schöner ist aber, wenn ein Pull-Faktor besteht, mich also ein*e Künstler*in mit ihrer Arbeit anzieht, weil sie so toll ist, dass ich einfach mit ihr zusammenarbeiten muss.«
Farce spricht damit einen wichtigen Punkt an: Durch Zusammenarbeit entstehen Gemeinschaften. Das mag sich anhören wie eine verirrte Whatsapp-Nachricht aus dem Bundeskanzleramt. Tatsächlich steckt darin aber mehr. Zusammenarbeit schafft ein Gefühl der gegenseitigen Abhängigkeit. Nicht im negativen Sinn, bei dem der Kapitalismus die Logik der Independent-Kultur aufgefressen hat und als individuelle Kleinunternehmer*innen wiederkäut. Sondern in einem progressiven Sinn, bei dem sich Kreative ihrer gegenseitigen Abhängigkeit bewusst werden und sie in Handlungsfähigkeit umwandeln.
»Es gibt ein Narrativ über die DIY-Künstlerin, die in ihrem Schlafzimmer arbeitet. Sie kann und macht alles selbst«, sagt Farce und schließt an: »An diesem Punkt ist sie wertlos für eine industrielle Schöpfungskette, weil sie als Einzelperson agiert und nicht als kleines Unternehmen, das andere Bereiche bewirtschaftet und andere Musikarbeiter*innen anstellt. Das wird einsam.« Nachhaltig komme man aus dieser Position nur raus, wenn man sich nicht zum Zwecke der Profitmaximierung, sondern zu einem kreativen Zusammenschluss treffe. »Um nicht nur Bedingungen zu ändern, sondern auch Fehlverhalten zu beheben«, so Farce.
Eine junge Frau oder nicht-binäre Person habe keine Chance, einen musikalischen Weg zu gehen, ohne dem Mitleid oder der Güte eines Mannes im gleichen Feld ausgesetzt zu sein. Es gehe dabei nicht um ideologische Befindlichkeiten oder wütende Radikale, die alle Männer aus der Musik verbannen wollen, sondern um Sicherheit. »Überall, wo Wissen ist, ist Macht – und wo Macht ist, kann Machtmissbrauch stattfinden«, sagt die Sängerin und betont: »Es muss möglich sein, dass junge Frauen und nicht-binäre Personen die Freiheit haben, sich auszudrücken, ohne belästigt oder missbraucht zu werden.« Farce habe diese schlechten Erfahrungen gemacht. Aber auch positive – »vor allem mit Frauen, die kein Wissen und keine Macht über meinen Kopf gehalten, sondern sie geteilt haben.«
Genau diese Verbindungen braucht es in Zukunft, um mehr positive als negative Erfahrungen zu ermöglichen. Was könnte man alles tun, wenn man sich nicht als lose miteinander verbundene Gruppe einzelner Verbraucher*innen einer profitorientierten Industrie verstünde, sondern sich als Netzwerk potenzieller Aktivist*innen mit gemeinsamer Stimme und Schlagkraft positionierte? Eine Frage, die sich nicht nur in der Musik stellt. Sie muss sich vielmehr überall dort stellen, wo es brennt – Coronakrise, Klimawandel, you name it.
… formt ein kollektives Subjekt!
Der Kulturwissenschafter Mark Fisher, der sich zu Umweltthemen meist bedeckt hielt, äußerte sich in seinem Buch »Capitalist Realism« an einer Stelle so: »Dadurch, dass man Recycling in die Verantwortlichkeit von ›Jedermann‹ übergibt, gliedert diese Struktur ihre eigene Verantwortung an die Kunden aus und zieht sich selbst in die Unsichtbarkeit zurück.« Anstatt zu behaupten, dass jede*r Verantwortung für die globale Erwärmung trage, wäre es besser zu sagen, dass niemand dafür verantwortlich sei und dass genau darin das Problem bestehe. Denn: »Der Grund für die Ökokatastrophe liegt in einer unpersönlichen Struktur, die, selbst wenn sie fähig ist, alle möglichen Effekte zu verursachen, eben kein Subjekt ist, das Verantwortung übernehmen könnte.« Das dafür notwendige kollektive Subjekt existiere nicht, so Fisher.
Dieses kollektive Subjekt kann heute paradoxerweise genau dort gefunden werden, wo es bis vor wenigen Jahren niemand wahrnehmen wollte: im Mainstream. Seitdem die neoliberalisierten Fridays-for-Future-Kids mit Parolen wie »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut« durch die Straßen der Weltstädte gezogen sind, haben sie genau das erreicht, was eine atomisierte Linke seit der Finanzkrise vergeigt hat: Aufmerksamkeit für ein ideologisiertes Problem zu schaffen, das über ideologische Grenzen hinaus wirkt. Die Jugendlichen haben das nicht irgendwie geschafft. Sie haben es erzwungen, indem sie auf moralische Vorschriften für ein »richtiges« Leben pfiffen und ein Update der bestehenden Ordnung forderten.
Diese Form des politischen Handelns ist keine Blaupause für Nachahmer*innen aus der Musikwelt. Aber sie zeigt, dass das Handeln im Kollektiv noch immer möglich ist. Einzelne Künstler*innen, aber auch Indie-Labels, die ihre vermeintliche Unabhängigkeit schon in der Selbstbezeichnung vor sich hertragen wie auf einem ausgewaschenen Band-Leiberl, können diese Verantwortung nur bedingt übernehmen. Als individualisierte Masse lässt sich zwar laut ins Mikrofon rotzen, aber kein Widerstand formieren. Nur die bewusste Entscheidung gegen die Ich-AG und für wechselseitige Abhängigkeit im Kollektiv kann daran etwas ändern. Wer sich in Gruppen zusammentut, kommt automatisch zusammen – man interagiert miteinander, tauscht sich aus, reibt sich aneinander, um die individualisierte Wut gegen ein ausbeuterisches System in eine kollektive Kraft für ein gemeinsames Ziel zu verwandeln. Die Bande wird zum Labor, das tradierte Strukturen bekämpft, indem es den Widerstand im Kleinen erprobt. Dadurch entsteht eine Umgebung, in der Dinge nicht passieren müssen, um passieren zu können.
»Mehr Menschen haben mehr Ideen«, sagt Peter Paul Aufreiter. Mit der Band Hearts Hearts hat er 2021 den Amadeus Award abgeräumt. Die Band betont, wie wichtig das gemeinsame Spielen und Schreiben sei. Das soziale Bandgefüge habe etwas Bereicherndes. »Man motiviert sich gegenseitig, kann Verantwortung und Aufgaben aufteilen und sich gegenseitig unterstützen«, so Aufreiter, der Hearts Hearts als »zweite Beziehung« bezeichnet. Eine Beziehung, die viel Zeit und Energie verlange, aber genauso viel zurückgebe. Oder um es mit den Worten von Sänger David Österle zu sagen: »In den Proberaum zu kommen und zu wissen, dass man nicht drei Arschlöcher trifft, ist ein richtig gutes Gefühl.«
Das Kollektiv wird zur Bande und damit zu einem Blick in die Zukunft. Man weiß nicht, was sich ereignen wird, bis es sich ereignet hat. Das Gesamtgefüge verändert sich, Einflüsse prallen aufeinander, Unvorhersehbares tritt ein – und provoziert einen Moment des experimentellen Zufalls.
Wenn ich in diesem Zusammenhang von Bandenbildung schreibe, meine ich also nicht vier weiße Mittvierziger, die ihre Bullshit-Jobs schmeißen, um sich zu einer Indie-Band zusammenzuschließen – das wäre höchstens was fürs Rolling-Stone-Magazin, und selbst dort macht man zwischen vier Artikeln über Bob Dylan zwischendurch auf woke –, sondern sich mit anderen Menschen zu verbinden, um ein Bewusstsein über die eigene Position zu entwickeln. Und als Netzwerk mit einer gemeinsamen Schlagkraft den krassen Gegenpol zur Individualisierungsthese zu bilden. Daraus sollten wir einen neuen kategorischen Imperativ ableiten. Tauscht negative Unabhängigkeit gegen positive Abhängigkeit! Verwerft das neoliberalisierte Independent-Motiv – und bildet Banden!
Der Autor empfiehlt das Sommerrollen-Rezept von Hearts Hearts (look out!), den Wisdom von Farce (buy!) und frühmorgendliches Nacktschwimmen in der Alten Donau (yeah!).