»Corsage« zeigt das Leben der Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn. Ein Film über Handlungsmacht, alternde Frauen und einengende gesellschaftliche Rollenbilder – damals wie heute. The Gap bat Regisseurin Marie Kreutzer zum Interview.
Wenige historische Persönlichkeiten aus Österreich haben sich derart ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben wie Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn. Bekannt als Sisi – oder auch Sissi – und vor allem als schöne, junge Frau mit vollem, langem Haar, dünner Taille und in prächtigen Kleidern. In der bekannten Filmreihe aus den 1950er-Jahren wurde sie von Romy Schneider verkörpert – einer weiteren mythenumrankten Frau. Noch heute ziert Sisi T-Shirts und Seifen, Tassen und Pralinenpackungen – sie wurde zum Symbolbild für eine vermeintlich prunkvollere Zeit. Dass Menschen komplexer sind als die Geschichten, die wir über sie (medial) erzählen, das ist keine bahnbrechende Erkenntnis, aber eine, die man stets bedenken sollte.
Marie Kreutzer seziert in ihren Filmen zumeist eine urbane obere Mittelschicht. In »Corsage« jedoch erzählt sie die teils fiktive Geschichte einer alternden Kaiserin, die ihre Freiheit sucht, Wut zeigt und damit das höfische Umfeld verstört.
Elisabeth ist eine Kultfigur. Aktuell ist auch ein weiterer Film über sie in Planung, außerdem gibt es die beiden neuen Serien »Sisi« und »Die Kaiserin«. Warum fasziniert diese Figur so?
Marie Kreutzer: Die aktuelle Häufung von filmischen Bearbeitungen ist durch nichts zu erklären und wundert mich selbst. Es gibt sicher Erklärungen für die Faszination – etwa die Flucht in historische Stoffe angesichts einer bröckelnden Gegenwartswelt –, für mich war aber gerade interessant, dass Elisabeth am Ende einer Ära gelebt hat. Die Monarchie sollte es ja dann nicht mehr lange geben.
Warum behandelst du im Film die gealterte Elisabeth? Und wie funktionierte die Gratwanderung zwischen Fakt und Fiktion?
Diese Altersphase hat mich am meisten fasziniert und ich wusste auch am wenigsten darüber. Alle kennen den Anfang und das Ende der Geschichte, aber weniger den Mittelteil, in dem Elisabeth damit zurechtkommen musste, die Rolle der schönen jungen Kaiserin nicht mehr erfüllen zu können. Nach der Recherche habe ich im Spannungsfeld von Fakten, Gerüchten und Anekdoten eine fiktive Geschichte geschrieben und versucht, eine eigene Idee von Elisabeth zum Leben zu erwecken. Es entstand der starke Eindruck einer komplexen widersprüchlichen Person, die nichts mit dem süßen Sisi-Bild gemeinsam hat.
»Corsage« ist ein historischer Film. Welche Herausforderungen haben sich dadurch ergeben?
Die größte Herausforderung war für mich die Koproduktion. Diese macht alles größer und komplexer. Die Postproduktion des Films etwa fand in vier Ländern und in mindestens drei Sprachen statt. Das Team war zu groß, um jeder und jedem Guten Morgen zu sagen. All das waren neue Erfahrungen und für mich letztlich fordernder als der Inhalt oder die zentrale Figur des Films. Das reale Vorbild muss einem irgendwann sowieso insofern egal sein, als man niemals alles für alle richtig machen kann.
Elisabeth war für ihre Schönheit bekannt, sie war aber auch eine ausgezeichnete Reiterin, schrieb Gedichte und reiste viel. Dennoch scheint ihr Aussehen ihr Image zu bestimmen. Vielen (berühmten) Frauen geht bzw. ging es ähnlich. Kann Kaiserin Elisabeth als deren »Vorgängerin« betrachtet werden?
Genau, das hat mich daran interessiert. Ich finde, man sieht gerade wieder am Johnny-Depp- / Amber-Heard-Prozess, dass es eine so exponierte Frau niemals richtig machen kann, dass jedes Detail ihres Auftretens und ihrer Aussagen von den Medien und vom Publikum knallhart beurteilt und verunglimpft wird. Alle Frauen kämpfen ihr Leben lang damit, dass sie ein übergroßes Frauenbild erfüllen sollen. Frauen in der Öffentlichkeit werden noch gnadenloser beurteilt.
Inwiefern haben sich weibliche Rollenbilder und gesellschaftliche Freiheit seit Elisabeths Zeit verändert?
Die Emanzipation hat uns viel gegeben, aber wir sind noch weit, weit, weit von Gleichberechtigung entfernt. Das Patriarchat hat uns alle – auch Männer – fest im Griff. Heute »dürfen« Frauen – zumindest in der westlichen Welt! – viel mehr. Aber sie müssen auch viel mehr: Wir müssen gute Mütter, schöne Frauen, tolerante, unterstützende und sexy Partnerinnen, verständnisvolle Freundinnen, erfolgreiche Berufstätige mit sozialem und ökologischem Gewissen sein. Alles gleichzeitig – das kann niemand schaffen.
In »Corsage« zeigst du Elisabeth als unglückliche Frau. In unserer Gesellschaft scheint es eine Faszination für schöne traurige Frauen zu geben. Warum?
Ich denke, die »schöne traurige Frau« ist eine Projektionsfläche, und gleichzeitig ist sie keine Bedrohung für den Mann. Es war mir sehr wichtig, Elisabeth nicht lediglich als Leidende zu zeigen, sondern ihr Kraft, Aggression, Wut zu geben. Eben doch etwas, das ihr Umfeld bedroht und verunsichert.
Schon in »Der Boden unter den Füßen« hast du das Thema psychische Gesundheit behandelt. Konntest du bei der Recherche Gemeinsamkeiten im Umgang mit psychischer Gesundheit erkennen?
Ich hatte für »Der Boden unter den Füßen« schon viel über Psychiatrie recherchiert und habe das Thema dann bei »Corsage« wiedergefunden, weil Elisabeth selbst von der Psychiatrie ähnlich fasziniert war wie ich. Natürlich hat sich viel entwickelt. Zu Zeiten Elisabeths war »Ehebruch« bereits ein Grund für eine Einweisung – wohlgemerkt nur der Ehebruch, den eine Frau beging. Das Netzbett jedoch, das auch in »Corsage« zu sehen ist, war in Österreich noch vor wenigen Jahren im Einsatz.
In »Corsage« spielen Essen und auch Musik eine Rolle.
Die Musik habe ich beim Schreiben gehört. Die Herausforderung ist, die Rechte zu bekommen, und in diesem Fall, die Musik so zu integrieren, dass sie im historischen Film nicht als Fremdkörper wirkt. Das Essen spielt insofern eine große Rolle, als Elisabeth es verweigert. Es ist ja eine absurde Ironie, dass gerade Frauen, die nie Hunger leiden müssen, sich für den freiwilligen Hunger entscheiden, um schlank zu sein.
Dein Spielfilmdebüt wurde 2011 realisiert. Ist die Branche seit deinem Eintritt diverser?
Jein. Ich denke schon, dass die Änderung der Richtlinien des ÖFI, nach der eine Quote einzuhalten ist, helfen wird. Quoten sind kein elegantes Instrument, und mir ist Eleganz immer lieber, aber Worte haben nicht genug bewegt. Das Bewusstsein ist größer, Taten müssen aber folgen.
»Corsage« spielt schon im Titel auf Freiheit an. Wie definierst du Freiheit für dich und wie versuchst du sie zu leben?
Freiheit ist, wenn ich mein Leben selbst gestalten kann. Heute sehen wir, dass es ein großes Privileg ist, das zu können. Ich versuche, dankbar zu sein für diese Freiheit. Ich sehe die Ukraine, ich sehe die Frauen in Afghanistan – und das macht mich verzweifelt und wütend. Wir nehmen unsere Freiheit oft für selbstverständlich, aber wir müssen sie schätzen und benennen, um sie zu erhalten.
»Corsage« von Marie Kreutzer ist ab 7. Juli 2022 in den österreichischen Kinos zu sehen.