Mit Trppn kommen Smartphone-Apps, die Blockchain und Musikerkennungssoftware nach und nach am Wiener Dancefloor an. Dystopischer Horrortrip für die Clubkultur oder eine Chance auf mehr Verteilungsgerechtigkeit, die es wahrzunehmen gilt?
Freitagnacht, kurz nach halb zwölf: Aus der Bluetooth-Box galoppiert die Vierviertelkick, man sitzt mit ein paar Freund*innen zusammen, alle haben Bock auf Tanzen. Weil niemand weiß, was noch geht, greift jemand zum Smartphone, wischt kurz über den Bildschirm und sieht: In der Forelle ballert gerade Abrisstechno, im Werk schiebt ein House-Klassiker an, im Fluc greift eine Indie-Band in die vorletzten Akkorde ihrer bekanntesten Hymne. Zwei Wischer übers Display später weiß man zusätzlich, wie lange man vor welchem Club anstehen wird, wie viele Leute schon drinnen sind und vor allem: wen man dort kennt. Alle Informationen leuchten in Echtzeit auf einer Karte von Wien auf – die Entscheidung fällt. Digital ist man bereits mittendrin im Geschehen, bevor man analog überhaupt vor Ort ist.
Das beschriebene Szenario mag für manche wie ein dystopischer Horrortrip klingen. Schließlich würde sich eine Handy-App dort einmischen, wo eigentlich keine Smartphones hingehören: auf dem Dancefloor. Für viele andere soll sie das Verständnis von Clubkultur revolutionieren. Sagen zumindest die Gründer von Trppn, einer Wiener App, mit der man zukünftig nicht nur auf den Facebook-Kalender verzichten, sondern auch in Clubs »hineinhören« können soll. »Die Idee entstand aus einem eigenen Bedürfnis«, sagt Michael Walcher, einer der Geschäftsführer von Trppn, das seit 2021 kostenfrei in den App-Stores zu finden ist. »Ich war mit Freunden unterwegs, wir hatten Energie und wollten zu einer Veranstaltung, wo das Energielevel mit unserem übereinstimmt. Ein Blick aufs Line-up hilft zwar weiter, aber was tatsächlich läuft und wie der Vibe vor Ort ist, lässt sich trotzdem nicht sagen.«
Aus einer Idee entstand die Vision, eine Plattform für Clubkultur zu schaffen. Trppn will sich damit als aktualisierte Alternative zu Facebook positionieren. Jener Plattform, von der sich gerade im Kulturbereich viele nur deshalb nicht lossagen, weil sie immer noch das kann, was Trppn zukünftig besser können soll: die Kalenderfunktion. Walcher sieht darin aber nur einen ersten Zwischenschritt für die App. Neben der Möglichkeit, die gespielten Tracks in den Clubs live zu ermitteln und von überall abzurufen, werde die Anwendung sowohl für Artists und Locations als auch fürs Publikum weitere Vorteile bringen. Menschen, die im Kulturbereich arbeiten, sollen sich mit ihrem Schaffen rund um Musik finanzieren können und Besucher*innen die Veranstaltungen finden, auf denen sie sich nicht nur Musik hören, die ihnen gefällt, sondern auch auf Leute treffen, unter denen sie sich wohlfühlen, so Walcher. »Wenn es klappt, wie wir es uns vorstellen, wird es einiges auf den Kopf stellen – aber zum Guten.«
Alternative zu Facebook
Zum Guten heißt in diesem Fall: Weg von Metaverse-Monopolist*innen wie Facebook oder Instagram, hin zu solchen, die sich »demokratisieren lassen«, wie es die Macher von Trppn nennen. Alle, die im Kultursektor arbeiten – Trppn geht von weltweit 100 Millionen »Creators« aus –, sollen mit der Anwendung wieder die Agency über das eigene Werk bekommen. Das soll durch die Blockchain passieren – eines der Buzzwords in der Start-up-Szene, bei der Investor*innen von grünen Scheinen träumen. Das hört sich erst mal nach Business-Blabla für Menschen an, die ihren E-Scooter vor dem Volksgarten parken. Wer weiß schon, was eine Blockchain ist? Bitcoins, davon hat man gehört. Von NFTs vielleicht auch. Aber was hat die Sache mit echten Clubs, DJs und Kultur zu tun?
Trppn soll sich langfristig zu einer dezentralen Plattform entwickeln, wie Walcher betont. Das heißt, dass es die Struktur einer Art virtueller Genossenschaft einnehmen würde. Dadurch könne kollektive Intelligenz entstehen, die wiederum zu Transparenz, Konsens und Kollaboration abseits traditioneller Strukturen und Hierarchien führe, so der Trppn-Geschäftsführer. Weil das immer noch so abstrakt wie ein Gemälde von Pollock ist, müssen wir uns als Gegenbeispiel soziale Medien wie Facebook oder Instagram vorstellen: Einige wenige Anbieter*innen verwalten ihre sogenannten Dienstleistungen zentral, während sie Daten von User*innen absaugen und damit ziemlich viel Kohle scheffeln. Anders gesagt: Man hat auf Facebook zwar ein Profil, das man mit Content bespielt, verdient für diese Arbeit aber keinen Cent, sondern generiert Geld für eine Plattform, die Macht bündelt und jede Form von Wettbewerb zerstört. Deshalb hört man von Trppn auch, dass die Blockchain die Lösung für viele Probleme innerhalb der Clubkultur sein könnte – eben weil sie für das genaue Gegenteil stehe: Dezentralisierung und eine gleichmäßige Verteilung von Macht.
Nicht nur Blockchain
Natürlich stecke da Crowdfunding-Charakter drin, so Walcher. Schließlich ließe sich durch diesen Ansatz neue Autonomie in der Subkultur schaffen. »Wir stünden alle gemeinsam dafür ein, würden uns Räume schaffen und sie finanzieren – eine Revolution!« Wie die genau funktionieren soll, ist eine andere Sache. Die Blockchain scheint zwar sexy, ist für die meisten Menschen aber immer noch so verständlich wie das Trance-Revival zur Peaktime. Allerdings besteht Hoffnung. »Wenn man mit der Blockchain nichts am Hut haben will«, so Walcher weiter, »soll man davon auf der App nichts mitbekommen.« Davon ist derzeit ohnehin noch wenig zu sehen, die Plattform ist beim ersten von vielen Evolutionsschritten. Allerdings erkennen viele DJs bereits die Möglichkeiten, die sich mit Trppn auftun – vor allem als Alternative zur bestehenden Situation.
Das bestätigt auch Sadie Walizade alias DJ Diamond vom Kollektiv Disorder. Obwohl sie ein zwiespältiges Verhältnis zu sozialen Medien habe, seien sie notwendige Tools, um die man nicht herumkomme. »Außerdem können sie einem auch zu Erfolg verhelfen«, so Diamond. Sie hofft, dass sich Trppn bald zu einem Ersatz für den Veranstaltungskalender von Facebook etablieren kann. Und ist damit nicht allein. »Die meisten Events werden aktuell auf Social-Media-Plattformen veröffentlicht«, sagt Annika Stein. Die Gründerin des Wiener Kollektivs Tongræber und Resident-DJ bei Meat Market sieht in Trppn langfristig genau das, was das Unternehmen anstrebt: die Unabhängigkeit von Konzernen wie Facebook zu ermöglichen. Aktuell verwende man die Plattform ohnehin nur noch dafür, eigene Events zu promoten und durch den Kalender eine Übersicht zu bekommen.
Eine Alternative sei überfällig. Auch weil Facebook-Veranstaltungen längst unbrauchbar seien, sagt Sascha Aringer vom Technokollektiv Ananas. »Früher konnte man als Veranstalter*in damit halbwegs kalkulieren, wie viele Leute man tatsächlich auf der Veranstaltung erwarten kann. Heute funktioniert das gar nicht mehr«, so Aringer. Weil Trppn aber die Publikumsdichte in den Clubs live erheben will, könne entsprechend gezielt geplant werden – ohne ein Risiko einzugehen. Der Wiener Veranstalter und DJ zieht auch den Vergleich zu einer anderen App, die sich vor einigen Jahren in den Veranstaltungssektor drängen wollte: Bloom. »Damit konnte man spontan Events teilen. Allerdings war sie für den Clubbereich eingeschränkt brauchbar, weil sich jede*r einfach taggen konnte – gerade Leute, die illegale Raves veranstalteten, waren nicht gerade glücklich damit«, so Aringer. Mit Trppn sei die Situation anders. Zwar könne man sich theoretisch als Host definieren und eine Veranstaltung angeben, allerdings nicht mit einem Klick. »Die Barriere, einfach einen Rave zu taggen, ist dadurch viel höher.«
Bessere Vernetzung
Außerdem sieht Aringer die App als Chance für junge DJs und unbekanntere Kollektive, weil sich Leute vorab anhören können, welche Musik gerade auf den jeweiligen Events gespielt wird. »Das neue Feature ›Signature Track‹, also die Möglichkeit für Artists, Hosts und Venues einen Track dem Profil oder Event zuzuordnen, wird in Kürze freigeschalten«, so Michael Walcher von Trppn. Die Idee ist schnell erklärt: DJs legen nicht nur auf, sondern neben sich auch das Handy ab. Die App soll die gespielten Titel dann erkennen und sie live veröffentlichen. Man kann sich das wie Shazam für DJ-Sets vorstellen. Wer auf Schlager steht, soll zur Hüttengaudi auf die Bänke klettern. Wem bei Techno Ecstasy-Tränen über die Wangen kullern, darf in der dunklen Kammer schwitzen.
»Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten zur genaueren Vergütung von Künstler*innen«, meint Johannes Piller dazu. Der Vlan.Radio-Mitgründer und DECK-Neogewerkschafter sieht in der Live-Erkennung der einzelnen Stücke die Möglichkeit, das Problem der pauschalisierten Abrechnung von Artists zu lösen – bislang ein System, das bekannte Artists stark bevorteilt. Eine Änderung käme vor allem Künstler*innen entgegen, die als Producer*innen arbeiten, also selten live auftreten, aber von anderen DJs in ihren Sets gespielt werden. Michael Walcher von Trppn sieht auch hier den Community-Gedanken im Vordergrund. »Wenn ich die App nutze, supporte ich als DJ gleichzeitig die Artists, deren Musik ich spiele.« Auf der anderen Seite könne man sich als Benutzer*in mit Leuten vernetzen, die einen ähnlichen Musikgeschmack teilen – und dadurch auf Events landen, auf die man vielleicht nie gekommen wäre.
Schicker Partykalender
Schließlich bestehe von allen Seiten das große Bedürfnis, sichtbar zu machen, was im Clubkontext passiert. Das könne auf einem sozialen Musiknetzwerk wie Trppn beginnen, müsse aber eine Verbindung in den Club herstellen. »Deshalb wollen wir weg von dem Gedanken, alles in die digitale Welt zu verlagern«, so Walcher. »Im Gegenteil: Wir vernetzen uns digital und treffen uns draußen.« Das hört sich nach einer Wunschvorstellung an, könnte aber funktionieren – auch weil sich die App »zunehmend als übersichtlicher und schicker Partykalender mit Map-Funktion bewährt«, sagen die Macher*innen vom Kollektiv Off the Grid. »Gerade in unbekannten Umgebungen wäre die Funktion Gold wert, selbst wenn die App darauf besteht, bei der Verwendung ständig auf die Ortungsdienste des Smartphones zuzugreifen.«
Auch hier könnte die Blockchain Vertrauenslücken schließen, weil das Netzwerk von allen Nutzer*innen verwaltet und niemand mehr zentral darauf zugreifen würde. »Es mag jede*r ein anderes Musikgenre vertreten, am Ende geht es doch um das gemeinsame Erleben von Musik, um ein Miteinander und eine Auseinandersetzung mit der Kunstform im Clubkontext«, so Walcher. Die digitale Welt wird diese Energie nicht ersetzen können. Sie könnte aber dazu führen, dass zukünftig mehr Kulturschaffende von ihrer Arbeit profitieren. Weil sie nicht nur gesehen wird, sondern ihnen auch gehört. Ein Versuch, den wir wagen müssen.
Wer sich mit Trppn und anderen App-basierten Alternativen zu digitalen Monopolen auseinandersetzt, sollte auch Aslice kennen. Eine Plattform, die mit dem Gedanken gegründet wurde, die Clubszene für Produzent*innen gerechter zu machen – und damit jene Lücke schließen will, die Verwertungsgesellschaften im Bereich von elektronischer Musik und DJs noch immer offen lassen.