Achmed Abdel-Salam gibt mit »Heimsuchung« sein Regiedebüt. Anlässlich des Kinostarts des psychologischen Horrorfilms stand uns der Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler Rede und Antwort.
Der Vater tot, das von ihm geerbte Haus leer, die eigenen Traumata weiterhin da: Michaela (Cornelia Ivancan) hat genug Probleme. Überdies machen sich ihr Mann Alex (Lukas Turtur) und ihre kleine Tochter Hanna (Lola Herbst) große Sorgen um sie, denn: Michaela ist Alkoholikerin. Sie beschließt deshalb, ein paar Tage mit Hanna im Haus ihrer Kindheit zu verbringen. Doch bald wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt …
Achmed Abdel-Salam wurde 1983 in Wien geboren und lebt seine Leidenschaft für den Film seit seiner Kindheit aus. Er war zuerst in einem Kino tätig und setzte in seiner Freizeit erste filmische Ideen um. 2010 begann er ein Drehbuch-Studium an der Filmakademie Wien. Es folgten erste Auszeichnungen und Aufträge. Mittlerweile befindet sich Abdel-Salam im Masterstudium »Buch und Dramaturgie«. Der Vater zweier Kinder, der auch als Schauspieler aktiv ist, hat nun mit »Heimsuchung« seinen ersten Langfilm realisiert.
„Heimsuchung“ ist dein erster Spielfilm als Regisseur. Die Arbeit daran hast du bereits 2016 begonnen. Kannst du den Prozess kurz skizzieren?
Achmed Abdel-Salam: An erster Stelle stand natürlich das Drehbuch, das 2016 vom Österreichischen Filminstitut gefördert wurde. Das war ein ganz großer Schritt und Motivationsschub für mich. Recht bald danach habe ich mich an die Produzentin Lena Weiss gewandt, die ich bereits von der Filmakademie kannte und sehr schätze. Mir war es wichtig, diesen ersten großen Schritt mit Menschen zu wagen, denen ich vertraue und deren Zugang zum Filmschaffen auch meinem entspricht. 2018 bekamen wir eine Projektentwicklungsförderung – von da an arbeiteten wir gemeinsam mit Kameramann Alexander Dirninger und dem später bei Glitter & Doom eingestiegenen Produzenten Eugen Klim intensiv weiter an dem Stoff, casteten die Hauptrollen, drehten einen Teaser für die Förderstellen und suchten die Hauptmotive. Es war ein langer Prozess, das Projekt stand seit 2016 eigentlich nie still. Erst 2021 waren wir schließlich ausfinanziert und konnten endlich drehen. Die Dreharbeiten fanden im Sommer in Wien und Niederösterreich statt. Die intensive Vorbereitungszeit machte sich voll bezahlt: Der Dreh verlief reibungslos, was eben auch daran lag, dass wir bereits ein sehr eingespieltes Team waren.
Du bist nicht nur als Regisseur und Drehbuchautor aktiv, sondern auch als Schauspieler. Wann begann deine Leidenschaft für Film? Welche ersten Erinnerungen hast du daran?
Meine Leidenschaft für Film begann bereits in meiner frühen Kindheit, da meine Eltern beide auch sehr filmaffin waren. Ich wuchs etwa mit Filmen von Jerry Lewis auf, der lange ein großes Vorbild für mich war. Ich verbrachte viele Stunden vor dem Spiegel, um Grimassen und diese gewisse körperliche Tollpatschigkeit zu üben, die ihn so auszeichnete. Ich wollte die Leute zum Lachen bringen – ein schöner Berufswunsch eigentlich. Mitte der 90er führten meine Eltern dann zusätzlich zu ihrem Elektronikfachhandel auch eine kleine Videothek in Wien. Das gab vermutlich den letzten Ausschlag, denn plötzlich hatte ich quasi uneingeschränkten Zugang zu allen möglichen Filmen. Es war eine magische Zeit.
Wie bereits erwähnt, warst du bei »Heimsuchung« als Regisseur und Drehbuchautor aktiv, zudem hast du Erfahrungen im Schauspiel. Inwiefern beeinflussen diese verschiedenen Aufgaben einander?
Ich würde sagen, dass sie einander immens bereichern. Beim Schreiben von Dialogen etwa habe ich schnell im Gefühl, ob meine Zeilen auch »spielbar« sind oder zu hölzern klingen. Auch hat es mir meine schauspielerische Erfahrung erleichtert, schnell eine gemeinsame Sprache mit den Darsteller*innen zu finden. Oft genug habe ich erlebt, was es bedeutet, zu viel oder zu wenig Anweisungen zu bekommen, und ich glaube, es ist mir ganz gut gelungen, eine schöne Balance zu finden. Vom Regieführen lernt man natürlich auch viel für den Sprung auf die andere Seite. Man entwickelt ein gutes Gespür für die Kamera und dafür, wie man sich im filmischen Raum bewegt. Oder wie wenig es oft braucht, um Emotionen glaubhaft zu transportieren, wenn man der Geschichte und den Figuren vertraut. Ein Verständnis für Filmschnitt zu haben, ist auch hilfreich.
Du hast an der Filmakademie studiert und nun deinen ersten Spielfilm realisiert. Gibt es Dinge, auf die einen die Filmakademie nicht vorbereitet? Was lernt man erst direkt beim Dreh?
An der Filmakademie kommen wir ja sehr viel dazu, das theoretisch Erlernte beim Drehen von Kurzfilmen auch in der Praxis anzuwenden. Aber ein Filmstudium kann einen nur zu einem gewissen Grat auf die Realität vorbereiten. Was ich ein wenig unterschätzt hatte, war, wie kräftezehrend so ein Dreh ist. Du musst ja mehrere Wochen rund um die Uhr funktionieren, bist als Regie Schnittstelle und Ansprechperson der unterschiedlichen Gewerke und triffst täglich eine Vielzahl von Entscheidungen. Das kann schon an die Substanz gehen und ist noch mal eine andere Nummer, als einen Kurzfilmdreh zu schupfen. Rückblickend war ich wohl auch in manchen Vorstellungen von der technischen Umsetzung ein wenig naiv, da mir noch das Gefühl für die entstehenden Kosten fehlte. Beim Drehen eines Langfilms lernt man Unmengen – vor allem auch über sich selbst. Denn neben den künstlerischen Lektionen, die ein Dreh bietet, geht es vor allem darum, Verantwortung gegenüber dem Team, den Darsteller*innen und den eigenen Entscheidungen zu übernehmen. Manche Dinge lernt man im Zuge dessen auch wieder neu – richtiges oder, sagen wir, besseres Kommunizieren zum Beispiel. Ich habe das Gefühl, dass man an so einem langen Arbeitsprozess richtig reifen kann. Das können einem die besten Filmschulen der Welt nicht abnehmen.
Der Film ist ein Projekt der neuen Produktionsfirma Glitter & Doom. Also quasi ein Debüt für dich wie auch für das Unternehmen. Wie lief die Zusammenarbeit ab?
Eine neue Produktionsfirma, die noch dazu ein Debüt realisieren möchte, steht natürlich vor der großen Herausforderung, dass sie sich erst einmal beweisen muss. Immerhin wird einem ja eine große Summe Fördergeld anvertraut, mit der man verantwortungsvoll umgehen muss. Trotzdem gab es in unserer Zusammenarbeit nie Druck. Im Gegenteil: Sie war von gegenseitigem Vertrauen geprägt. Lena Weiss und Eugen Klim sind sehr talentierte Filmschaffende mit einem guten Gespür für Storytelling und Dramaturgie. Und sie waren auch sehr in die Entwicklung des Drehbuchs involviert. Dabei war es ihnen immer wichtig, meine Vision zu unterstützen und mir kreativen Freiraum zu lassen. Um die Herstellungsförderung beantragen zu können, waren wir auf einen sogenannten Senior Producer angewiesen. Diese Rolle wurde von Victoria Salcher und Mathias Forberg, den Produzent*innen der Prisma Film, übernommen. Der Film und unser Team wurden damit durch weitere wichtige Verbündete bereichert. Rückblickend kann ich sagen, dass es ein Geschenk war, meinen Debütfilm mit Menschen zu realisieren, die so an die Geschichte und an mich geglaubt haben.
Der Cast ist relativ klein, im Fokus des Films stehen vor allem Mutter und Tochter. Wie lange dauerte es, bis diese Rollen besetzt waren? Was war dir besonders wichtig bei der Auswahl der Schauspielerinnen?
Wir haben bereits sehr früh zu casten begonnen. Bei der Besetzung der Mutter war mir besonders wichtig, dass wir eine Schauspielerin finden, die im österreichischen Film nicht überpräsent ist und eine gewisse Natürlichkeit und ein Verständnis für die Rolle mitbringt. Cornelia Ivancan, die seit Längerem in Berlin lebt, hat uns Anfang 2019 ein E-Casting geschickt, das mich sofort überzeugt hat. Danach folgten mehrere persönliche Treffen in Wien.
Wesentlich schwieriger gestaltete sich die Suche nach der Tochter, die im Film ja erst acht Jahre alt ist. Wir suchten nach einem Mädchen, das noch recht »klein« wirkte, aber bereits die geistige Reife besaß, zu verstehen, worum es in unserem Film geht. Dabei wurden wir von Barbara Lieselotte Kier von der Agentur Rising Talents und von der Casterin Angelika Kropej unterstützt, die über ein großes Netzwerk verfügen. Ich glaube, es müssen so um die 200 Mädchen gewesen sein, die wir gecastet haben. Einige davon in mehreren Runden, was ziemlich zeitintensiv war. Als wir Lola Herbst kennenlernten, begeisterte sie uns alle mit ihrer offenen Art, ihrem Humor und ihrem natürlichen Spiel. Auch sie drehte mehrere Runden mit uns, bevor wir sie mit Cornelia zusammenbrachten und die schauspielerischen Funken flogen. Zu sehen, wie die beiden miteinander funktionierten, war essenziell. Denn es musste sowohl rein optisch glaubwürdig sein, dass sie Mutter und Tochter sind, als auch, dass sie eine gemeinsame Geschichte haben. Die Beziehungsebene aufzubauen, war ein wichtiger Schritt – auch in der Vorbereitung für die Dreharbeiten.
Der Film verhandelt Elternschaft und den Versuch, eigene Traumata zu bewältigen. Du bist selbst Vater zweier Kinder. Was hat dich an dieser Thematik besonders interessiert?
Als Vater kommt die Auseinandersetzung mit dieser Thematik ganz von alleine. Man ist plötzlich mit Ängsten konfrontiert, die man so noch nicht kannte, ist ständig in Sorge, etwas falsch zu machen oder dem Kind zu schaden. Zumindest war das bei mir anfangs so. Außerdem beschäftigt mich das Thema transgenerationale Weitergabe schon länger – auch in meinem Schreiben. Ich glaube, die meisten von uns tragen Dinge mit sich herum, die sie nach dem Teekannenprinzip von oben mitbekommen haben. Nur in den seltensten Fällen ist uns das bewusst und es ist harte Arbeit, diesen Ballast wieder abzuwerfen. Oft dauert das ein Leben lang. Ich wollte im Grunde ganz universellen Fragen nachgehen: Welche Macht hat die Vergangenheit über uns? Und wie schaffen wir es, schmerzliche Erlebnisse zu überwinden?
Nicht nur der Cast ist klein, auch die Drehorte beschränken sich auf ein paar wenige Locations. Besonders im Fokus steht das Haus, das Michaela verkaufen möchte. Inwiefern ist dieses ein Sinnbild – etwa für die Vergangenheit der Hauptfigur?
Das Haus steht für eine Kindheit, an die man nur noch diffuse Erinnerungen hat. Aber sobald man es betritt, wird man von bestimmten Gerüchen, Geräuschen und Bildern wieder in die Vergangenheit zurückversetzt. Der Ort wirkt wie ein Katalysator, nicht nur für die Geschichte selbst, sondern auch für die innere Entwicklung unserer Protagonistin. Sie ist umgeben von ihrer Vergangenheit, kann sich dieser nicht mehr entziehen und wird fast von ihr überwältigt. Einen Ort zu finden, der unseren Ansprüchen und den produktionstechnischen Erfordernissen gerecht wurde, war nicht einfach. Nach einer wirklich langen Suche, sind wir schließlich in Niederösterreich fündig geworden. Das Haus erfüllte die äußerlichen Erfordernisse, musste aber zuerst komplett renoviert werden. Winnie Küchl, die für das Szenenbild verantwortlich zeichnete, leistete mit ihrem Team Unglaubliches. Nach der Grundreinigung wurden Wände gestrichen und Böden erneuert, und dann wurde das Haus so eingerichtet und patiniert, dass es im fertigen Film tatsächlich wirkt, als hätte darin bis vor Kurzem noch jemand gelebt. Man spürt und riecht das Haus förmlich.
Der Film ist eine Green-Producing-Projekt. Warum war dir und deinem Team das wichtig und welche Maßnahmen braucht es, um einen Film »grün« zu produzieren?
Ich denke, den meisten ist mittlerweile bewusst, dass wir in sämtlichen Lebensbereichen umdenken müssen. Natürlich ist es auch beim Film ungemein wichtig, nachhaltig, mit Weitblick und so umweltschonend wie möglich zu arbeiten. Dass unser Film ein Green-Producing-Pilotprojekt wurde, ist der Produzentin Lena Weiss zu verdanken, die sich bereits seit Längerem intensiv mit diesem Thema beschäftigt und sich auch politisch für Green Filming einsetzt. Neben kleineren Maßnahmen wie dem Einsparen von Ausdrucken und dem Verzicht auf Plastikflaschen haben wir uns bei »Heimsuchung« darauf fokussiert, den CO2-Ausstoß möglichst gering zu halten. Neben der Mobilität – zwei E-Busse haben Cast und Crew zum Drehort geshuttlet – kamen auch Maßnahmen beim Catering und der Ausstattung zum Tragen: Wir hatten zwei fixe fleischlose Tage pro Woche und beim Einrichten der Häuser wurden nur alte Möbel verwendet und gegebenenfalls restauriert.
Ich würde gerne noch über das Genre Horror bzw. psychologischer Horror sprechen. Warum wolltest du deinen ersten Spielfilm gerade in diesem Genre ansiedeln? Inwiefern ordnet sich dein Film in die Tradition des Genres ein oder bricht er gar damit?
Ich bin großer Horrorfan. Kein anderes Genre verfügt über derart viele Unterkategorien und Mischformen. Das ist auch einer der Gründe, die für mich den besonderen Reiz dieser Filmgattung ausmachen: Alles ist möglich. Ich kann die psychische Verfasstheit meiner Figuren in Metaphern oder durch den Einsatz von Symbolik schildern. Es hat mich gereizt, das Thema Suchterkrankung und die Nachwirkungen kindlicher Traumata als psychologischen Horrorfilm zu verhandeln. Unsere Protagonistin hat Angst davor, die schlechteste Version von sich selbst zu werden, an ihren Problemen zu zerbrechen, wieder einen Rückfall zu erleiden. Aus Sicht des Kindes wiederum, ist die Sucht oder die psychische Erkrankung eines Elternteils ja der reinste Horror. Welcher erzählerische Rahmen würde sich also besser eignen? Doch das Genre bildet eben nur den Rahmen, im Kern ist »Heimsuchung« das Psychogramm einer Frau, die unter einem Trauma leidet und Gefahr läuft, dieses an ihre Tochter weiterzugeben. Unser Film bedient sich bestimmter Konventionen, referenziert Filme aus dem Kanon visuell und geht dann doch seine eigenen Wege, indem er mit Konventionen bricht. Zumindest hoffe ich, dass uns das gelungen ist.
Zuletzt möchte ich noch mit dir über den Titel deines Films sprechen. Was bedeutet er für dich?
Ich mochte die mitschwingende Doppeldeutigkeit, die so gut zu unserer Geschichte passt. Auf der einen Seite wird unsere Protagonistin von den Geistern ihrer Vergangenheit heimgesucht – darin liegt der Horroraspekt des Films. Auf der anderen Seite ist sie eine Frau und Mutter, die um ihre Familie kämpft. Der Vertrauensverlust ihres Mannes und ihrer Tochter zieht ihr den Boden unter den Füßen weg, gibt ihr das Gefühl, verloren zu sein. Zurück im Haus ihrer Kindheit, an die sie sich nur noch bruchstückhaft erinnert, arbeiten sich nun auch wieder kindliche Ängste in ihr hoch. Dieser Ort war nie ein Heim für sie. Vielleicht ist es aber genau das, wonach sie schon ihr ganzes Leben lang sucht.
»Heimsuchung« von Achmed Abdel-Salam ist ab heute, also ab 14. April 2023, in den österreichischen Kinos zu sehen.