Die österreichische Schauspielerin Thea Ehre wurde im Februar als erste trans Frau bei der Berlinale für ihre schauspielerische Leistung ausgezeichnet. Warum das eine besondere Ehrung ist, und wie sie als trans Frau ihren Platz im Business gefunden hat, darüber spricht sie im Interview.
»Ich habe nicht damit gerechnet, ich muss mich noch fassen.« – Mit diesen Worten empfang die österreichische Schauspielerin Thea Ehre Mitte Februar bei der Berlinale in Berlin den Silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle. Dann dankte sie ihren Eltern, die ihr immer den Raum gegeben hätten, »die Person zu sein, die ich sein möchte«, sowie Regisseur Christoph Hochhäusler.
Für die gebürtige Welserin ist diese Auszeichnung gleich in zweifacher Hinsicht eine besondere Ehrung: Zum einen war »Bis ans Ende der Nacht« ihre erste große Kinorolle. Zum anderen ist Ehre trans und unterstreicht mit ihrem Gewinn auch die inklusive Botschaft, die dieser nunmehr gender-unspezifische Silberner Bär für LGBTQIA*-Personen vermitteln möchte. Als trans Frau Leni, die – frisch aus dem Gefängnis entlassen – dafür eingespannt wird, Kontakt zu einem Drogenhändler aufzunehmen, ist Ehre demnächst auch in Österreich in den Kinos zu sehen.
Du hast bei der Preisverleihung in Berlin gesagt, die Rolle der Leni war eine große Ehre für dich. Wieso das?
Thea Ehre: Weil es die erste Kinorolle war, die ich jemals spielen durfte. Ich wollte das einfach so gut wie möglich machen und habe mich dann auch irgendwie in die Rolle verliebt. Die ist so schön erzählt, es war seitens Regie und Drehbuch so viel Interesse da, diesen sensiblen Stoff so gut wie möglich zu erzählen – also das Schicksal einer Person und nicht irgendwelche Stereotype. Es war mir und Timocin Ziegler, der die Hauptfigur Robert spielt, auch wichtig, dass wir nicht versuchen, etwas vorzulügen. Wir sind beide davon überzeugt, dass Schauspielerei die Kunst des Ehrlich-Seins ist, wenn man den Stoff versteht.
Du hast in deiner Rede auch deinen Eltern gedankt. Welche Rolle haben die in deinem Selbstfindungsprozess gespielt?
Die haben eine riesengroße Rolle gespielt. Ich bin da sehr privilegiert. Es ist leider selten für queere Menschen, dass man zu Hause Support bekommt. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern immer interessiert daran waren, dass ich glücklich bin. Ich habe schon im Kindesalter zu meiner Mama gesagt: »Du, ich glaube, ich werde irgendwann als Mädchen leben.« Und sie hat gesagt: »Ja, passt. Wenn du bereit bist, dann sind wir auch bereit.« Es war nie so, dass ich da auf Unverständnis gestoßen wäre. Das ist etwas, was ich auf jeden Fall allen queeren Menschen wünsche. Daher war es gut, dass ich ihnen gedankt habe.
Du hast den Preis trans Frauen gewidmet, die in prekären und toxischen Verhältnissen leben. Was kann man tun, um zu helfen?
Das Allerwichtigste ist, einfach zuzuhören. Wenn man Menschen zuhört, schafft man Raum, um sich entwickeln zu können. Der Film zeigt eine Frau, die eben nicht so viel Glück hatte, die sich in einer missbräuchlichen Beziehung befindet, aus der sie auch selbst nicht wirklich rauskommt. Wer sich in einer toxischen Beziehung befindet, glaubt oft, dass sich die Person vielleicht doch noch zum Guten ändert. Wenn ich meine Rede noch einmal halten könnte, würde ich den Preis allen Frauen widmen – egal ob trans oder nicht trans. Der Film zeigt, dass man sich aus einer toxischen Beziehung befreien kann. Das ist unglaublich wichtig.
Das Faszinierende an deiner Figur ist auch, dass Leni sich sehr sicher ist, wer sie ist, im Gegensatz zu Robert. Meistens wird Trans-Sein in Filmen als diese einzige definierende Charaktereigenschaft gezeigt.
Das war das Schöne daran. Man kennt mittlerweile viele Filme und Serien, wo trans oder generell queere Geschichten erzählt werden. Aber das war das erste Mal für mich, dass es um eine Beziehung zwischen einem schwulen Mann und einer trans Frau geht. Meist ist es ein heterosexueller Mann, der sich in eine trans Frau verliebt und irgendwie damit nicht umgehen kann. Aber auch für Robert ist es schwierig mit seiner internalisierten Homophobie und Transphobie.
Du bist trans und spielst eine trans Frau. Ist diese konstante Bewusstmachung deiner Identität in unserer Gesellschaft noch notwendig? Oder möchtest du irgendwann auch davon wegkommen?
Ich will einfach interessante Menschen spielen. Ob die jetzt trans oder cis sind, das ist mir persönlich egal. Ich verstehe auch, dass Rollenbesetzung sich immer daran orientiert, wie jemand aussieht und wirkt. Aber es wäre doch schön in einer Welt zu leben, wo Geschlecht und Sexualität so fluide sind, dass es kein Thema ist, ob eine Frau trans ist oder nicht. Bei der Story im Film ist es natürlich ein wichtiger Punkt, dass Leni trans ist. Aber genauso könnte man Geschichten erzählen, in denen es kein Thema mehr ist. Und dann, so finde ich, sollte man Rollenpolitik auch öffnen. Wer spielt die Rolle am besten? Zu wem passt die Rolle am besten?
Du hast 2021 auch bei #actout teilgenommen, wo du mit Kolleg*innen auf die prekäre Situation von Künstler*innen hinweisen wolltest, wenn sich diese outen. Es gibt aber auch diejenigen, die sagen, dass das Coming-out symbolisch noch ein viel zu aufgeladener Moment ist.
Ich finde, dass ein Coming-out immer etwas Intimes ist. Man kann fragen: Ist es überhaupt noch notwendig? Bei mir war es notwendig, weil ich nicht mehr wollte, dass mich Menschen mit männlichen Pronomen ansprechen und mit einem Namen, den ich nicht mehr verwende. #actout war wichtig. Viele Schauspieler*innen haben einfach Angst, etwas zu sagen, weil es sonst sein könnte, dass sie nicht mehr besetzt werden. Dann werden sie nicht mehr der neue »Tatort«-Kommissar, weil es plötzlich nicht mehr passt. Deshalb war es so toll, dass die Aktion in so einer Wucht gekommen ist. Seitdem hat sich auch wirklich viel in der Filmwelt getan.
Du bist aktuell auf Amazon Prime in »Luden« und auf Canal+ in »Sexplanation« zu sehen.
»Luden« war mein erstes großes Set. Da war ich auch sehr aufgeregt. Da geht es um die Reeperbahn in den 80ern. Meine Rolle war eine trans Frau, und da haben wir von Amazon Prime auch viele Vorgaben bekommen, wie wir das erzählen können. »Sexplanation« ist ebenfalls ein extrem schönes Projekt geworden. Es geht um Aufklärung. Es gibt den fiktiven Strang einer WG, wo die Akteur*innen ganz frisch zum WG-Casting kommen. Dabei entsteht ein Austausch – wie man zusammenlebt, wie man sich neu kennenlernt. Es geht um Beziehungen, um Liebe und um Sexualität, aber auch um sexuelle Identität und Geschlecht. Gleichzeitig gibt es immer einen Expert*innenstrang. Ich spiele beispielsweise eine trans Frau, und da gibt es dann Steffi Stankovic, eine Trans-Aktivistin aus Wien, die über ihre Erfahrungen spricht.
»Bis ans Ende der Nacht« startet am 7. Juli 2023 in den österreichischen Kinos. »Sexplanation« ist bei Canal+ zu sehen, »Luden – Könige der Reeperbahn« bei Amazon Prime.