Am geistigen Abgrund – »Des Teufels Bad« mit Anja Plaschg

Dass die Musikerin Anja Plaschg aka Soap & Skin auch schauspielen kann, hat sie bereits bewiesen. In ihrer zweiten großen Hauptrolle gibt sie in »Des Teufels Bad« eine spirituelle, von Depressionen geplagte Frau im 18. Jahrhundert, die in auswegloser Lage zu drastischen Mitteln greift. Im Gespräch erzählt Plaschg, warum sie sich der Figur der Agnes so verbunden fühlte und wie sie den Soundtrack zum Film schuf.

© Teresa Wagenhofer

Neugierig blickt sich Anja Plaschg, als Musikerin bekannt unter dem Namen Soap & Skin, im Andachtsraum um. Ihr Blick fällt auf die Wand­tafeln, die den Leidens­weg Christi nachzeichnen, auf das von schwarzem ver­schnörkeltem Metall umspielte Fenster mit Blick auf den Wiener Gürtel. Doch so richtig scheint sie sich noch nicht für einen Hinter­grund begeistern zu können.

Die Tafeln müssen ja nicht zu sehen sein, versichern ihr die Fotografin und ich. Vielleicht findet sie ein anderes Motiv, vor dem sie abgelichtet werden möchte? Reich geschmückt ist die Sankt-Johannes-Nepomuk-Kapelle am Währinger Gürtel ja. Der große nuss­farbene Altar mit den goldenen Verzierungen, die roten Weihnachts­sterne, die zahlreichen »Mutter Gottes mit dem Jesuskind« und die schwarzen Gedenk­steine an den Wänden schaffen eine feierliche Aura.

Eine gewisse Nervosität schwingt mit, während Plaschgs Augen durch den Raum wandern. Es sei erst ihr drittes Interview zu »Des Teufels Bad«, hatte sie vor dem Gespräch gestanden. Ihr drittes Interview in einem Medien­zirkus, der bald über sie herein­brechen wird, wenn der Film von Veronika Franz und Severin Fiala mit ihr in der Hauptrolle am 20. Februar auf der Berlinale seine Welt­premiere feiert.

Anja Plaschg in »Des Teufels Bad« (Foto: Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm)

»Himmelmutter, hilf!«

Als Schauspielerin ist Plaschg weniger bekannt. Bisher hatte sie als Musikerin von sich reden gemacht. Geboren 1990 in Gnas in der Steiermark, erschien 2009 ihr erstes Album »Lovetune for Vaccum«, für das sie mehrere Aus­zeichnungen erhielt. 2012 folgte »Narrow«, 2018 »From Gas to Solid / You Are My Friend«. Die Musik von Soap & Skin zeichnet sich durch eine träumerische, melancholische Note aus. Ein experimenteller Stil mit Elektronik und ihrer fast entrückten Stimme, der sich nur schwer in eine Schublade zwängen lässt. Nicht, dass sie das wollen würde.

In einer Ecke der Kapelle hat Plaschg eine Marien­statue entdeckt, klassisch mit den weit geöffneten Armen, in weiß-blauen wallenden Gewändern und mit einem Heiligen­schein über dem Haupt. Sie positioniert sich – ganz in Schwarz und mit konzentriertem Blick – an deren Seite. »›Himmel­mutter, hilf!‹ hat meine Großmutter in ihrer Depression immer gerufen«, erzählt sie. »Ich habe mich mit einer der wenigen Frauen, die im katholischen Glauben repräsentiert sind, auseinander­gesetzt. Die Barm­herzig­keit der Mutter Gottes ist die letzte Zuflucht und der letzte Trost für Agnes.«

Agnes heißt ihre Rolle. Sie basiert in Motiven auf der historischen Figur der Agnes Catherina Schickin. Deren Schicksal sowie 400 ähnliche Biografien von (mehrheitlich) Frauen in ganz Europa hat die Historikerin Kathy Stuart auf­gearbeitet. Im Ober­österreich des Jahres 1750 wird Agnes an Wolf (David Scheid), den Sohn einer Bäuerin verheiratet. Die beiden ziehen in eine kleine Keusche am Flussufer. Doch ankommen kann die hochsensible und religiöse Agnes in dieser von emotionaler Kälte und stetigem Arbeits­trieb bestimmten Welt nicht. Sie beginnt sich zurückzuziehen, steigert sich in eine Obsession fürs Beten. Eine geköpfte Kinds­mörderin, deren Leiche unweit des Dorfes auf­gebahrt wurde, übt eine tiefe Faszination auf sie aus.

Mit der Bedeutung von Maria im katholischen Glauben hat sich Anja Plaschg für ihre Rolle intensiv auseinandergesetzt. (Foto: Teresa Wagenhofer)

Jahrhundertealte Schatten

»Des Teufels Bad« nannte der Volksmund damals Depressionen und Todes­sehnsucht. Es ist klar, dass es letzt­endlich zur Tragödie kommen wird. Was war für Plaschg das Faszinierende an dieser Rolle? Die Künstlerin wird nach­denklich, ringt mit den Worten. »Es ging um viel mehr als Agnes, um viel mehr Namen und Schicksale. Ich wollte es im besten Fall schaffen, eine Figur darzustellen, die viele einschließt und viele anspricht. Einen Schatten zu beleuchten, der über Jahr­hunderte strukturell geleugnet, bewusst nicht gesehen und nicht ver­arbeitet wurde.«

Auch Plaschg selbst ist sehr katholisch aufgewachsen. »Das war mein eigener Bezug zu dieser Geschichte und zu Depression. Die Vorbilder waren meine Verwandten und die Menschen in Gnas.« Das spiegelt sich unter anderem in der Dynamik zwischen Agnes und deren eisiger Schwieger­mutter (Maria Hofstätter) wider. »Die schwierige Beziehung meiner Mutter zu ihrer Schwieger­mutter, und wie mit Frauen bei uns am Land innerhalb der Familien grundsätzlich umgegangen wird, hat mich geprägt und immer schon beschäftigt. Es gibt einfach viele Anknüpfungs­punkte für mich.« Eine weitere Parallele, und unter anderem der Grund, warum wir in einer Kapelle foto­grafieren: »Ich fühl mich grundsätzlich wohler an Orten des Gebets. Weil hier die Gesetze der Schöpfung präsent sind, weil man hier spürt, wie lächerlich das Ego ist.«

Inzwischen hat die Orgel im Chor der Kirche Plaschgs Aufmerksam­keit in Beschlag genommen. Ob wir denn da hoch­könnten. Über eine kleine Wendel­treppe gelangen wir ins Ober­geschoß. Während Plaschg neben dem Altar verloren gewirkt hat, kommt nun vermehrt Selbst­sicherheit durch. Kichernd dreht sie den Schlüssel, um das Organ einzuschalten, zieht an den Registern, sucht mit ihren Füßen die Pedale für den Bass. Dann beginnt sie zu spielen. Tief versunken, konzentriert. »Ich spiele immer sehr ehrfürchtig auf der Orgel«, lacht sie anschließend.

Anja Plaschg in »Des Teufels Bad« (Foto: Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm)

Erst Musik dann Rolle

Ihre natürliche Verbundenheit zu der Thematik, ihr Einfühlungs­vermögen für Agnes lässt eine*n fast wundern, dass Plaschg nicht die erste Wahl für die Rolle war. Es habe von Veronika Franz und Severin Fiala zunächst nur ein vages Interesse gegeben, mit ihr zusammen­zuarbeiten, erinnert sie sich. »Sie haben mir von dem Projekt erzählt und mich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, die Film­musik zu komponieren.« Etwas, das für die Musikerin nichts Neues ist. Schon 2017 schrieb sie die Musik für »Sicilian Ghost Story«. Und mit dem deutschen Musiker Apparat veröffent­lichte sie die Single »Goodbye«, die als Titellied für die Netflix-Serie »Dark« diente. Doch »Des Teufels Bad« sprach Plaschg über eine musikalische Ebene hinaus an.

»Die beiden haben mir das Drehbuch geschickt. Ich habe es in der Steier­mark in meinem Eltern­haus gelesen.« Sonst lese sie ungern Drehbücher, weil es ihr schwer­falle, in die Art, wie sie geschrieben sind, hineinzufinden. »Aber das hat mich so richtig bewegt.« Daraufhin habe sie Franz und Fiala eine E-Mail geschrieben, wie sie sich bei der Geschichte gefühlt habe. Eine konkrete Bitte um die Rolle, die schon gecastet worden war, war das jedoch nicht.

Schauspielerin wollte Plaschg an sich nie werden. »Das war nie meine Ambition.« Erfahrung hatte sie aber bereits. 2016 trug sie für Ruth Beckermann in »Die Geträumten« mit Laurence Rupp den Brief­wechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan vor. 2022 spielte sie beim »Jedermann« in Salzburg den Glauben. Bei einem gemein­samen Kaffee mit den Regisseur*innen offenbarte sich dann eine Chance: »Am Ende des Gesprächs meinten sie, sie hätten ein Problem. Die Haupt­darstellerin sei abge­sprungen, und sie suchten eine neue.« Sichtlich beein­druckt von Plaschgs E-Mail, fragten sie, ob sie ein Casting für die Rolle machen würde. »Ich habe den Boden unter den Füßen verloren.«

Die Doppelfunktion als Schau­spielerin und Film­komponistin ergänzt sich jedoch gut. Plaschg möchte sich in keine Box stecken lassen. »Mit Soap & Skin will ich machen, was ich will. Das ist kein Projekt und keine spezifische Idee.« Die Bandbreite ihres Schaffens spricht für sich. Hat es sie aber je unter Druck gesetzt, schon so früh gelobt und von den Medien als Wunder­kind bezeichnet worden zu sein? »Ich wurde auch sehr stark nicht ernst genommen«, hält Plaschg dagegen. »Das war schrecklich, als mit 18 oder 19 mein erstes Album rauskam. Eine kleine, traurige Prinzessin hat mich Der Spiegel genannt.« Inzwischen ist Plaschg in ihrer musikalischen Identität bestimmter geworden. Der Druck, ihrer Figur Agnes gerecht zu werden, war dennoch da. »Es gab Momente, in denen ich ein bisschen zusammen­gebrochen bin. Ist das gut, ist das schlecht, was ich mache? Ist es die richtige Richtung?«

Die Sankt-Johannes-Nepomuk-Kapelle am Währinger Gürtel bot den perfekten Ort für ein Gespräch, in dem sich viel um Glauben drehte. (Foto: Teresa Wagenhofer)

Eisbäder und Kränzebinden

Ein halbes Jahr vor Drehbeginn begann sie, viel Zeit in der Steiermark zu verbringen, sie musste sich den Dialekt wieder aneignen. Um sich auf die Kälte vorzubereiten, nahm sie regelmäßig Eisbäder. »Ich habe mir auch das Arbeiten am Hof wieder einverleibt – sowie Hand­arbeiten und Kränze­binden.« Letzteres war eine Art, wie sie sich als Agnes Ausdruck verschaffen konnte; auch den kleinen Altar in deren Keller baute sie selbst. »Materielle Gegen­stände in der Rolle der Agnes zu bauen, hat meine Beziehung zu ihr vertieft und mich sehr erfüllt.«

War denn das Schreiben am Soundtrack einfacher? »Im Gespräch mit Veronika und Severin war klar, dass wir eine ähnliche Vorstellung haben«, erinnert sich Plaschg. »Mein Interesse war es, mich mit den Instrumenten und der Klangfarbe der Zeit auseinander­zusetzen. Gleichzeitig wollte ich aber etwas Universelles und Zeitloses schaffen.« Für den Soundtrack hatte sich Plaschg mit historischen Instrumenten wie dem Dudelsack, der Laute und der Drehleier befasst. Darüber hinaus sei sie in ihrer Recherche aus Europa raus und habe sich mit Instrumenten anderer Länder beschäftigt. »Dabei habe ich mich in die Duduk, eine armenische Flöte, verliebt. Drehleier und Duduk wurden dann die Haupt­instrumente.« Neue Dinge aus­probieren möchte Plaschg auch auf ihrem nächsten Album, einem Coveralbum.

Aber wie ist es mit der Schauspielerei? Wie soll es da weitergehen? »Es gibt ein paar Anfragen. Ich bin einfach neugierig und offen, aber werde mich sicher nicht auf jede Anfrage stürzen.« Für ein letztes Foto kehren wir noch einmal zur Marien­statue zurück. Der Kreis schließt sich. Zum Abschluss möchte ich wissen: Sie hat viel erreicht, ist man denn daheim stolz auf Anja Plaschg – oder ist sie noch immer die »traurige Prinzessin«? Ihre Familie, von der sie kreativ so gezehrt hat, sei durchaus präsent in ihrer Karriere. Sie werde auch zur Premiere des Films nach Wien kommen. Aber, so meint Plaschg besonnen: »Ich habe Respekt davor, was der Film bei bestimmten Menschen auslösen könnte, vor allem bei mir nahe­stehenden Menschen.«

»Des Teufels Bad« mit Anja Plaschg in der Hauptrolle feiert seine Welt­premiere bei der diesjährigen Berlinale im Wett­bewerb um den Goldenen Bären. Ab 8. März ist der Film in den österreichischen Kinos zu sehen.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...