Als Wien lebendig wurde – Die Punkszene der Hauptstadt in Buchform

Mit »Als der Vorhang fiel« hat sich Claus Oistric an einer Geschichte des Punk im Wien der 90er-Jahre versucht. Durch ausführliche Abstecher in die 70er und 80er sowie zahlreiche Zeitzeug*innen-Interviews wird darin dokumentiert, wie der »toten Stadt« Wien (und ihrem Umland), durch die Sub- und Gegenkultur langsam Leben eingehaucht wurde. Werner Schröttner, Ende der 90er mit der Band Programm C selbst ein aktiver Teil der Szene, hat mit Oistric gesprochen.

© Janne Karvinen — Autor Claus Oistric war ab Mitte der 1990er Herausgeber mehrerer Fanzines und in diversen Bands aktiv.

First things first: Wir sind beinahe gleich alt und waren früher zwar in einer ähnlichen Szene unterwegs, haben uns bis vor Kurzem aber eigentlich nur vom Sehen gekannt. Was hat dich damals veranlasst, selbst in der Szene aktiv zu werden?

Claus Oistric: Das ist etwas schwer festzumachen. Bei uns in der Umgebung hat es zum Beispiel das Fanzine »Der Grüne Punk« gegeben. Die Erkenntnis, dass man selbst etwas machen kann, war mir komplett neu. Und die hat mir der Punk gebracht. Wahrscheinlich bin ich deshalb selbst aktiv geworden. Und: Ich war in Hainburg etwas abgeschnitten von der Welt, und Fanzines (zuerst »Oink«, dann »Spank Thru«, Anm.) waren da ein Vehikel, um selbst einzusteigen, mit Leuten ein Gesprächsthema zu haben und die eigene Unsicherheit und Schüchternheit zu überwinden.

Thomas Reitmayer, den wir beide ja gut kannten, hat im Jahr 2019 – kurz vor seinem überraschenden Tod – den Film »Es is zum Scheissn. Ein Film über Punk in Wien 1977–1988« herausgebracht. Dein Buch »Als der Vorhang fiel. Punk im Wien der 90er« schließt zeitlich quasi direkt daran an – auch wenn du dich im Buch überdies der Vorgeschichte in den 80er-Jahren und den Szenen außerhalb Wiens widmest. Ist das bewusst oder unbewusst das nächste Kapitel von Thomas’ Arbeit?

Sowohl als auch. Thomas und mich hat eine längere Freundschaft verbunden. Wenn ich mich richtig erinnere, war sein Film anfangs eigentlich als Buch konzipiert. Ich möchte mich aber nicht mit ihm vergleichen, er war weit besser vernetzt, hatte genreübergreifendes Detailwissen und allein dadurch wäre seine Herangehensweise sicher eine andere gewesen. Ich hätte es geliebt, ein solches Buch von ihm zu lesen. Ich habe eher den Blick des Historikers, bin Fragen nachgegangen, die sich mit den Auswirkungen äußerer Einflüsse auf die Szene auseinandersetzen.

Es gab nie die eine Punk- oder die eine Hardcore-Szene in Wien. Das waren immer sehr heterogene Gruppen und Individuen, die teilweise gemeinsame Schnittmengen hatten. Du musstest für »Als der Vorhang fiel« eine Auswahl treffen und gibst als Disclaimer an: »Das Buch versteht sich nicht als Chronik, sondern als geschichtlicher Einblick in eine Welt von gestern, als man sich Punk noch ohne Internet aneignen musste.« Wie war da deine Herangehensweise?

Ich hatte die Idee einer Geschichte im Kopf, die relativ nah an der jetzigen Endfassung des Buches dran war. Anfangs waren die Gespräche mit den jeweiligen Zeitzeug*innen ein Vehikel, um an Hintergrundwissen zu kommen. Relativ bald habe ich aber gemerkt, dass es weit mehr Sinn macht, all jene Menschen tatsächlich – in Form von Zitaten – zu Wort kommen zu lassen. Schon alleine, um verschiedene Sichtweisen zu eröffnen und darzulegen. Weil, wie du sagst: Es waren immer sehr heterogene Individuen am Werk.

Wie hast du all die Leute eigentlich aufstöbern können?

Das war wie ein Schneeballsystem. Ich habe bei Mäcks (Markus Henschl, Anm.) angefangen. Er ist wahnsinnig gut vernetzt und hat mir viele Kontakte vermittelt. Vor allem, was Bands wie Pot-Sche-Mu und die Piranhas betrifft, also die Frauenszene aus der Aegidigasse. Da hat er mir eigentlich alle Kontakte zur Verfügung gestellt, weil ich die Beteiligten aufgrund meines Alters nicht gekannt habe.

Dafür, dass die Punkszene kein reiner Männerverein war, sorgte etwa die Frauenszene in der Aegidigasse. (Foto: Archiv von Issy Fellmann)

Wie kann man sich den Entstehungsprozess des Buches vorstellen? Du hattest diese Idee einer Geschichte und hast dann dazu recherchiert? Oder hast du den roten Faden, der sich durch das Buch zieht, erst im Zuge der Recherchen gefunden?

Irgendwie ist mir aufgefallen, dass aus meinem Blickwinkel vieles mit dem Fall des Eisernen Vorhangs zusammenhängt. Es war sicher kein Zufall, dass danach eine Menge passiert ist. Das hat mich angetrieben. Dieses ewige »Wien, du tote Stadt« – und auf einmal ist da was los. Alle meine Gesprächpartner*innen haben gesagt, es war nichts los in Wien. Auch in den 80er-Jahren nicht. Das war der Kern, von dem das Projekt ausgegangen ist. Danach habe ich weiterrecherchiert, wie es von diesem »Es war nichts los« dazu kommen hat können, dass Punk auf einmal in Hainburg, in Bruck an der Leitha, in Petronell, in Himberg bzw. wo auch immer aufgetaucht ist. Das war letztlich mein Erzählfaden.

Es wird sicher einige Zeitzeug*innen geben, die sich vergessen oder übergangen fühlen. Hast du dir schon überlegt, was du zu denen sagen wirst?

Klar, die gibt es immer. Aber, wie gesagt: Dieses Buch ist keine Chronik und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. So etwas könnte ich gar nicht leisten, es würde mir auch keinen Spaß machen, so ein Buch zu schreiben. Ich wollte eine Geschichte schreiben und nicht irgendwelche Egos streicheln. Mir ist aber durchaus bewusst, dass es da draußen noch einen Haufen interessanter Menschen gibt, mit denen es sich durchaus gelohnt hätte, ein Gespräch zu führen.

An kritischen Protagonist*innen in der Szene hat es ja nie gemangelt. Erwartest du dir auch negative Kritik am Buch?

Natürlich erwarte ich mir auch negative Kritik. In den allermeisten Fällen werde ich diese aber ohnedies nicht zu Ohren bekommen. Wir sind hier schließlich nach wie vor in Wien und wie wir wissen kommt Kritik hier meistens hintenrum. Ich werde damit leben können.

Wie schwer war es eigentlich an Illustrationsmaterial wie Fotos, Flyer oder Fanzines zu kommen? Vor allem aus den 80er- und frühen 90er-Jahren?

Anfangs war es gar nicht so einfach, aber als der Schneeball erstmal ins Rollen kam, erhielt ich großartiges Material. Dierk Rossiwall hatte großartige Fotos in seinem Archiv, Jan Gallhuber ebenso – und auch dir muss ich für einige großartige Bilder und Flyer danken.

Die Band Programm C mit unserem Autor Werner Schröttner rechts hinten am Bass (Foto: Sas)

Der Film von Thomas, die Ausstellung »Da könnt’ ja jede/r kommen. Circa 10 Jahre DIY-Kultur in Wien.« in der Plattform Quelle in Favoriten, die Ausstellung »Punk in Wien« 2010 in der Pankahyttn in Rudolfsheim-Fünfhaus und jetzt dein Buch – hat diese Subkultur einen besonderen Drang oder Anspruch sich selbst zu dokumentieren?

Mäcks, einer der Protagonist*innen in meinem Buch, hat einmal – angesprochen auf Veränderungen in der Szene – sinngemäß zu mir gesagt: »Damals waren wir die Arschlöcher, heute wirbt der Tourismusverband Wiens auf der ganzen Welt mit dem Flex.« Wenn wir nicht wollen, dass »unser« Ding durch den Fleischwolf der Vermarktungs- und Verwertungssindustrie gedreht wird, müssen wir das selbst in die Hand nehmen. Diese Subkultur bedeutet ganz schön vielen Menschen ja nach wie vor sehr viel. Insofern kann es nicht schaden, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Sofern es aus der Szene für die Szene kommt, kann es so falsch nicht sein.

Zuletzt werden Konzertorte verstärkt mit »Secret Location« oder »Ask a Punk« angekündigt. Bei Shows gibt es teilweise ein striktes Fotoverbot. Wie schätzt du die Auswirkung dieser Entwicklung auf die künftige Dokumentation der Szene ein?

Ich glaube, wir leben ohnedies in einer Zeit der visuellen »Über-Dokumentation«. Ich kann die Gründe für das Fotoverbot in einigen Locations schon ganz gut nachvollziehen. Es muss nicht unbedingt live geteilt werden, wie viele (oder wenige) Menschen sich gerade in einem x-beliebigen Haus aufhalten.

Bei deiner Recherche zum Buch bist du auch auf die Gründungsvereinbarung für die A.R.S.C.H.-Partei, der »Autonom-revolutionär-subversiv-chaotischen Hackler-Partei«, gestoßen. Dazu gibt es mittlerweile eine lustige Anekdote mit Armin Wolf und Peter Filzmaier.

Die Partei wurde im ORF/FM4-Podcast »Der Professor und der Wolf« erwähnt, mit einem Aufruf an die Hörer*innenschaft, Hintergründe zur Partei zu suchen. Mir war sie im Zusammenhang mit dem Lokal Rotstilzchen untergekommen und so habe ich einige Informationen an Peter Filzmaier weitergeleitet. Danach hat dieses Thema eine Eigendynamik bekommen, die ich in der Form nicht erwartet hätte.

Welche Anfragen haben dich diesbezüglich schon erreicht?

Ich habe auf Google entdeckt, dass Menschen sich Gedanken machen und herumschreiben, was aus dieser A.R.S.C.H.-Partei geworden ist. So ist es zuletzt auch zu einer Einladung zum Podcast »Erinnerungslücken« gekommen, da man durch Stöbern im Internet bei mir gelandet ist. Das ist ganz lustig. Für mich war das so ein Nebendetail der Recherche, aber offensichtlich gibt es Interesse an der Geschichte. Es hat mich darin bestätigt, dass die zweite Hälfte der 80er-Jahre im zeitgeschichtlichen Kontext eine interessante Periode war.

Abschließend muss ich natürlich fragen: Wie ist meine frühere Band Programm C so prominent am Cover deines Buchs gelandet?

Andi (Thier, Anm.) und Christian (Hochmuth, Anm.) kenne ich schon seit gemeinsamen Schulzeiten. Wir waren befreundet und über die Jahre durchgehend in losem Kontakt. Ich war damals beim ersten Programm-C-Gig dabei und habe mich später sehr gefreut, als die erste Seven Inch herauskam. Für mich steht die Band stellvertretend für die damalige Zeit und das Cover ist ein Dankeschön an diese Freundschaft.

»Als der Vorhang fiel« von Claus Oistric erscheint am 10. Oktober 2023 beim Verlag Glitzer & Grind. Die Release-Party findet am 12. Oktober im Arena Beisl in Wien statt (live: Dim Prospects, Extrem, Programm C, Brambilla). Weitere Präsentationstermine: 14. Oktober, Exil Records, Neunkirchen — 14. Oktober, Wiener Neustadt, Triebwerk (live: Flowers in Concrete) — 26. Oktober, Graz, Music-House (live: Flowers in Concrete). Auch Salzburg und Linz sind geplant, Details in Kürze auf www.glitzerundgrind.at.

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