Jan Erbelding ist unterwegs in einer der verklärtesten Straßen der Welt in einer der verklärtesten Städte der Welt und denkt sich seinen Teil. Aufzeichnungen aus der Wall Street, New York.
»Jan Erbelding schreibt Sätze wie …« Das kann man so wahrscheinlich nicht sagen, aber dann doch eigentlich schon. Immerhin ist es eine Tatsache, dass Jan Erbelding das Folgende schon geschrieben hat: »Gertrudes Mutter Emilie Mediz-Pelikan gibt Gertrude vom Jenseits aus Zeichenunterricht.« Oder: »60 Wall Street – der gesamte Groundfloor öffentlich zugänglich, Privately Owned Public Space, eine Halle, ein Durchgang zwischen Wall und Pine Street, mit eigenem genauso öffentlichem U-Bahn-Eingang. Vielleicht war diese Zeit ein Moment, in dem das ganze Finanzding sich tatsächlich den Menschen hin öffnen wollte.« Und weil das so eine Art ist, mit Sprache umzugehen, die – so ganz für mich gesprochen – total überzeugend ist, weil sie keine Überzeugungen verspricht und immer tastend, aber doch sehr mutig, dem offensichtlich unbekannten Unerkannten mit einer oder vielmehr vielen Ahnungen entgegentritt, deshalb jetzt also dieser Text.
Aus 2022 gibt es einen langen Abhandlung von Jan Erbelding über Simone Weil, von der man schon das eine oder andere gelesen haben sollte – denke ich mir. Aber immerhin habe ich jetzt dieses sein »Fanboi«-Fanzine gelesen, wo es klarerweise auch viel um Simone Weil geht. Aber es geht in seinen Texten halt auch nie nur um das oder den oder die ein*e oder ander*e, sondern immer auch um Jan Erbelding oder auch das Schreibende Andere (kursiv) und letztlich auch um alles (auch kursiv) oder, wie es online in einer Ausstellungsbeschreibung heißt: »Persönliche Erfahrungen und Ideen verbindet Erbelding mit historischen Fakten und Figuren, literarischen Referenzen sowie gesellschaftspolitischen Kommentaren zu poetischen Erzählungen.«
Von 2021 gibt es den »Gustav Landauer Fanboy Text«, von dem (Landauer) ich zumindest schon mal gehört haben sollte – denke ich mir. Aber ja, also nein. Und vor 2021 gibt es noch mehr Texte, die gerne auch von Jan Erbelding selbst in Performances vorgetragen wurden, ohne dass der Begriff Performance jetzt allzu gedehnt werden müsste. Aber zu diesen bin ich noch nicht gekommen, weil: nur nicht zu viel auf einmal. Ganz neu ist jetzt aber der Text »Financial Times. A Wall Street Journal«, also mal was (Wall Street) ganz anderes, aber natürlich auch überhaupt nicht, weil, die Wall Street, und also Kapitalismus (kursiv …), weiß eh jede*r was das ist … oder?
Noch so ein unheimliches Wort, kann ich mir vorstellen, schreibt Jan Erbelding an der einen oder anderen Stelle dazu. Weil irgendwie ist »Wall Street« ja – zwischen den fixen Vorstellungen als Symbol dieser unserer superfiesen Gesellschaftsform, dem Zentrum der Welt, Leonardo DiCaprios in Nadelstreifen und wasweißich – auch ein realer Ort mit, wie Jan Erbelding feststellen muss, wenig bis gar keinen echten Leos in Nadelstreif auf der Straße. Aber dafür mit lauter losen oder auch überhaupt nicht losen Fäden aus der Geschichte und natürlich all der Geschichte, die nicht als Geschichte registriert wurde, Fäden, die alle zu Weltpolitik und zu ganz persönlicher Befindlichkeit und so zu unendlich vielen offenen Türen führen – oder halt auch nicht. Und dahinter geht es dann vielleicht in einen TK-Maxx-Store oder vielleicht barrierefrei in postmodern-eklektische amerikanisch-gigantische Hallen aus Stein, die zwar public / öffentlich, aber auch privately-owned / gar nicht öffentlich sind. Und das alles wird also von Jan Erbelding in Fotos und Text, zwischen Erinnerung und Erwartung herrlich inakkurat registriert: »Financial Times. A Wall Street Journal«.
Jan Erbelding lebt in München. Er arbeitet mit Text, aber auch fotografisch-installativ-performativ. Mit Maria VMier und Leo Heinik betreibt er den Offspace Ruine München, der in »mehr oder weniger öffentlichen Räumen« agiert. Arbeiten von Erbelding sind bis 7. November in der Galerie House of Spouse in Wien zu sehen.