Toni Patzak hakt dort nach, wo es wehtut. In ihrer ersten Kolumne knöpft sie sich gleich das ganze Konstrukt Gender vor.
Ich bin Toni. Eigentlich heiße ich Antonia, aber ich liebe es, mich als Toni anzukündigen, um meine Mitmenschen zu verwirren, wenn dann anstatt eines Anton aus Tirol eine Schwarze Wienerin dasteht. Ich studiere Anthropologie und setze mich für Antirassismus und Gleichstellung ein. In der Kolumne »Gender Gap« werde ich mich ab jetzt mit größeren und kleineren Fragen rund um Geschlechtszugehörigkeit und Wertesysteme befassen, meinen Charme einfließen lassen und versuchen, Fakten und Alltagsgeschichten zu verbinden. Mein Ziel ist es, neue Antworten auf altbekannte Fragen zu finden und dort nachzubohren, wo es wehtut. Gerne auch mit Humor, weil komplizierte Themen so oft leichter bewältigbar sind. Gender ist da keine Ausnahme. Oft sind die Diskurse lähmend, sich wiederholend oder populistisch aufgebläht. Wie gendert man richtig? Wer darf eine Frau sein? Wie viele neue Toilettensymbole kann man noch entwerfen?
Ziemlich deppat
Dabei haben die meisten Menschen vermutlich schon einmal gehört, dass Gender ein soziales Konstrukt ist. Ob sie das jetzt akzeptieren oder nicht, ist eine andere Frage. Ich will hier aber nicht den tausendsten Text darüber schreiben, dass Geschlechterdiversität erstens nicht neu ist und zweitens nur dann zu einem Problem wird, wenn es andere Menschen dazu machen. Genügend schlauere Leute haben hierzu schon längere Texte mit mehr Fremdwörtern geschrieben. Stattdessen sollten wir einmal einen Schritt zurückgehen, das Ganze aus der Ferne betrachten und uns klarmachen, dass Gender eigentlich ziemlich deppat ist.
Frauen sind von der Venus, Männer vom Mars, aber wer ist eigentlich von der Erde? Sind wir komplexe Wesen, die alles kategorisieren müssen, oder sind wir doch einfacher gestrickt, als wir uns eingestehen wollen? Wenn wir wirklich so gescheit sind, wieso lassen wir uns dann anhand eines Urteils, das bei unserer Geburt gefällt wurde, sagen, wie wir uns kleiden, verhalten und organisieren sollen? Einheitlich ist dieser ganze Genderdreck ja auch nicht. Was eine Frau in Tschechien ist, deckt sich nicht vollständig damit, was eine Frau in Sierra Leone ist. Männer verschiedener sozialer Klassen erleben Gender anders, ebenso wie Menschen verschiedener sexueller Orientierungen. Mehr als zwei Gender? Im Westen gerade ein heißes Thema, im Rest der Welt ein alter Hut. In Indien, Thailand, Nordamerika und Westafrika findet man seit jeher Geschlechtersysteme, die den Freiheitlichen einen Heulkrampf bescheren würden. Dieser Flickenteppich an Versuchen, Menschen in Gruppen zusammenzufassen, ist weder kohärent noch folgt er einer klaren Logik. Sind wir am Ende nur eine weitere Primatenart, die halt – statt Bananen zu essen und auf Ästen zu sitzen – sechs Euro für einen Fruchtsmoothie und 60 Euro für die Boulder-Monatskarte ausgibt? Doch auch in der Natur gibt es weit mehr Genderdiversität, als es sich fundamentalistische Glaubensordnungen gerne eingestehen würden. Nur geht es dann nicht um Regenbogenfamilien, schwangere Väter oder polyamouröse Familienstrukturen, sondern um Hyänen, Seepferdchen oder Bonobos.
Schuld ist Money
Im Zuge der Recherche für diesen Text habe ich gegoogelt, wem wir das Konzept Gender zu verdanken haben. Eine klare Antwort habe ich mir nicht erwartet, eher wollte ich meinen Frust den Google-Göttern kundtun. Doch sie waren gütig und haben mir überraschenderweise nicht nur einen Namen, sondern auch eine Jahreszahl genannt: Dr. John Money, 1955. Tatsächlich ist es wohl komplizierter. Jedenfalls heißt das nicht, dass wir vor 1955 in einer genderfreien Gesellschaft gelebt hätten. Nur weil es keine Bezeichnung für etwas gab, bedeutet das ja nicht, dass es nicht immanenter Teil unseres Lebens gewesen wäre (siehe etwa die Entdeckung des Sauerstoffs im Jahr 1774). Aber: Wenn wir 1955 Gender angeblich »erfunden« haben, dann können wir es auch wieder »entfinden« oder – kürzer gesagt: Scheißen wir doch auf Gender und probieren wir es noch mal!
Einen Vorschlag für Ersatz hätte ich schon: Sternzeichen. Von denen halte ich nämlich mindestens so viel wie von Gendersystemen. Das sind auch nur Kategorien, die Leute unterteilen, um ihnen Verhaltensweisen nachzusagen. Nur finde ich Sternzeichen insofern sympathischer, als sie im Gegensatz zu Gender weit weniger ernst genommen werden. Statt in realpolitischen Diskursen zelebrieren sie ihren wöchentlichen Auftritt meist auf der letzten Seite von Lifestyle-Magazinen oder auf Fernsehschirmen im Fitnessclub.
Genau so sollte Gender auch abgehandelt werden. Mensch bekommt jede Woche am Montag vage Vorhersagen und allgemeine Tipps, wie man das Leben angehen sollte. Und wenn man wirklich will, kann einem das Genderorakel auch bestimmen, ob man zurzeit kurze oder lange Haare, Röcke oder Hosen tragen sollte. Am Ende der Woche werden die Karten dann neu gemischt. Wer jetzt wem die Tür aufhält, ist so jeden Montag aufs Neue spannend. Das ist genauso logisch wie unser jetziges Gendersystem, weniger invasiv für unser Leben und hat viel Potenzial für Humor. Holt dein Partner die Kinder vom Hort ab? Nein, ich bin Löwe! Schlagzeile: Immer mehr alleinerziehende Zwillinge. Toll! Unserer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt und es gibt unendliche Möglichkeiten, andere Systeme für unser Zusammenleben zu etablieren. Warum sollen wir uns also mit Gender zufriedengeben? Ganz egal, ob man jetzt ein Schnabeltier, ein Mann oder doch eine Waage ist.
Toni Patzak organisiert diverse größere und kleinere Kulturevents, studiert Kultur- und Sozialanthropologie und setzt sich für die Aufarbeitung systematischer Diskriminierung ein – mit Fokus auf die Schwarze Community in Österreich.