Zwischen Prompt, Post und Zweifel – Wie kreativ sind die Creative Industries?

Kreativität gilt als Währung der Gegenwart – doch welche Bedeutung hat sie tatsächlich im Zeitalter von KI, Content-Optimierung und ständiger Selbstvermarktung? Ein Essay.

© Brando Louhivaara / Unsplash

Fragt sich irgendjemand in Anbetracht von durchgefilterten Trendästhetiken und permanentem Selfbranding eigentlich, ob der Content, den wir alle tagtäglich »produzieren«, überhaupt noch irgendetwas mit uns selbst zu tun hat? Ob dieser Inhalt kreativ und originell ist – oder bloß das, was der Algorithmus eben ausspuckt, wenn man lange genug auf Sichtbarkeit optimiert? Ich frage mich das jedenfalls regelmäßig. Immer dann, wenn ich auf einen leeren Bildschirm starre und überlege, ob ich einen Gedanken wirklich zu Ende denken oder ihn doch lieber einmal schnell von Chat GPT vorformulieren lassen soll. Oder dann, wenn sich der Text, den ich gerade noch als »selbst geschrieben« empfand, bei näherem Hinsehen als gut geprompteter Remix entpuppt – zusammengesetzt aus halb gelesenen Theorien, dem Deep-Search-gestützten Wissensfundus des Internets und vielleicht ein paar vereinzelten individuellen Gedankenfetzen.

Prekär zur Käsesemmel

Klar, man könnte sich alldem entziehen. Boykott den bösen Großkonzernen, die unsere Hirnkapazitäten von KI frittieren lassen! Boykott den umweltzerstörenden Höflichkeitsfloskeln auf Chat GPT! Am besten gleich den Rückzug in den digitalen Urwald antreten, Offlinetagebuch schreiben und stattdessen wieder richtig denken. Aber, naja … Denn gleichzeitig stellt man sich damit selbst ein Bein – zumindest, wenn man sich in den »Creative Industries« bewegt oder »irgendwas mit Medien« macht. Sich der Gegenwart nicht zumindest ein bisschen auszusetzen, wäre ja fast schon fahrlässig. Wenn man ohnehin in prekären Arbeitsverhältnissen steckt, wo sich die 0,015 Euro pro Zeichen beim nächsten Billa-Einkauf in zwei Käsesemmeln und einen Eistee verwandeln – warum dann nicht die geistige Leere in Kauf nehmen? Vielleicht ist ja genau darin der Anfang einer neuen Form von Kreativität zu finden.

Doch was meinen wir eigentlich, wenn wir heute von »Kreativität« sprechen? Der Begriff selbst ist erstaunlich jung und gleichzeitig uralt aufgeladen. Wer ihn historisch aufrollt, stößt zuerst auf Transzendenz: Schöpfung als göttlicher Akt oder das Kreative als Geschenk von außen, das dem Menschen durch Eingebung zuteilwird. Erst mit der Aufklärung wird das schöpferische Potenzial dem Individuum zugeschrieben und aus göttlicher Gnade wird Geniekult. Kreativität heißt nun: aus sich selbst heraus Neues hervorbringen. Im 20. Jahrhundert wandelt sich dieser Anspruch erneut. Kreativität wird zum individuellen Potenzial, das sich nicht mehr über göttliche Eingebung oder heroischen Eigensinn legitimiert, sondern oft gegen die Norm arbeitet: als Avantgarde oder Subkultur. Wer kreativ ist, will nicht dazugehören – oder wenigstens irgendwo anecken. Das kreative Subjekt provoziert und entwirft damit Möglichkeitsräume für neue, eigene Gedanken, die nicht dem normativen Einheitsbrei entsprechen.

»Was mit Medien«

Doch spätestens mit dem Übergang ins 21. Jahrhundert ist auch diese Vorstellung ins Wanken geraten. Kreativität wurde selbst zum gesellschaftlichen Imperativ. »Wer ›was mit Medien‹ macht, gehört zu einer viel beachteten Erwerbsgruppe«, schrieb Alexandra Manske bereits 2015 in ihrem Essay »Sternenstaub und Volkswirtschaft« in der Berliner Taz. »Lange galten Künstler als geniale Sonderlinge. Heute sind sie zu einem Rollenvorbild geworden.« Was einst als Ausbruch galt, ist heute ein Karrieremodell: Der kreative Mensch solle sich selbst verwirklichen und gleichzeitig gerne prekär arbeiten – Hauptsache mit Leidenschaft. Kreativität wurde von ihrer normkritischen Kraft entkoppelt und markttauglich gemacht. »Die genialen Sonderlinge von einst wurden ideologisch vereinnahmt, ohne es zu merken«, so Manske weiter. Aus dem kreativen Außenseiter sei dabei der »Kulturunternehmer« geworden, der für wirtschaftliche Erneuerung sorgen soll. Eine lebendige Szene gelte plötzlich als Standortvorteil. Gentrifizierung wird vom Vordringen der Kultur angetrieben. Die »Creative Class« liefert die Aura und wird dabei selbst unsichtbar gemacht.

Während KI-generierte Inhalte immer flüssiger, effizienter und scheinbar »kreativer« werden, stellt sich die Frage: Reicht ein gelungener Prompt schon als schöpferischer Akt? Wenn Prompts heute juristisch als geistiges Eigentum gelten, wird der kreative Prozess auf die Bedienung eines Tools reduziert. Das ist eine neue Form der geistigen Arbeit, ja, aber auch eine Entfremdung. Gleichzeitig fordern Social-Media-Plattformen kreative Selbstverwirklichung im Sekundentakt – nur bitte möglichst authentisch. Doch wie echt kann etwas sein, das unter permanenter Beobachtung entsteht? Wie der Autor Eugene Healey kürzlich in einem Meinungsessay für The Guardian schrieb: »Das Internet hat die Bedingungen, unter denen echte Selbstdarstellung existieren kann, grundlegend verändert.« Die moderne Erfahrung sei, sich selbst von außen zu betrachten – »als etwas, das gemanagt werden muss«. Droht Kreativität zwischen Prompt und Selbstdarstellung zur Simulation zu werden?

Content statt Ausdruck?

Nicht unbedingt. Denn Kreativität muss nicht zwangsläufig unter KI und Kommerz leiden. Darauf weist Misha Verollet hin. Er ist Kreativstratege bei der Werbeagentur Kubrik, aber auch freier Autor, der lange außerhalb marktorientierter Kontexte gearbeitet hat. Der Unterschied liege oft weniger in der Qualität der Idee als in ihrem Rahmen. »Im Agenturkontext ist Kreativität vor allem eine Dienstleistung«, meint er. Das heißt: Kreative würden nicht für sich arbeiten, sondern für Kund*innen – und das sei kein Widerspruch zur künstlerischen Praxis, sondern eine andere Form von Verantwortung. Gute Ideen könnten auch unter einer Auftragslogik entstehen. Kreativität sei hier nicht Ausdruck von Innerlichkeit, sondern gutes, solides Handwerk und damit schon »eine Kunst für sich«. Verollet betont, dass gerade kluge Marken die Perspektiven ihrer Gestalter*innen nicht nur zulassen, sondern aktiv einfordern würden – und dass sie so kreativen Spielraum auch in der Werbung ermöglichten. Vielleicht geht es also weniger darum, ob Kreativität heute echt ist, sondern ob sie unter den gegebenen Bedingungen wirksam bleiben kann.

Und deswegen ist es möglicherweise auch gar nicht schlimm, wenn ich manchmal nicht weiß, ob der Gedanke, den ich da gerade aufschreibe, wirklich meiner ist. Könnte das heute die eigentliche kreative Bewegung sein? Sich durch die Tools und Zumutungen hindurchzutasten – in der Hoffnung, dass irgendwo zwischen Prompt, Post und Zweifel noch etwas aufleuchtet, das tatsächlich von mir kommt? Und wenn nicht, dann gibt es vielleicht auch noch ein Leben jenseits einer aufgesetzten Work-Life-Balance. Vielleicht beginnt Kreativität ja genau dort.

Weitere kritische Perspektiven dazu, wie sich Kreativität unter digitalen und ökonomischen Bedingungen verändert, finden sich in Alexandra Manskes Essay »Sternenstaub und Volkswirtschaft« bei der Berliner Taz sowie in Eugene Healeys Text »Gen Z and Gen Alpha Brought a Raw, Messy Aesthetic to Social Media. Why Does It Feel as Inauthentic as Ever?«.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...