Eine Frage der Zugehörigkeit – Olga Kosanović und ihr Film »Noch lange keine Lipizzaner«

Die Regisseurin Olga Kosanović kämpft seit sieben Jahren um die Staatsbürger*innen­schaft ihres Geburts­landes Österreich. Über dessen problematische Immigrations­politik hat sie nun den Film »Noch lange keine Lipizzaner« gedreht.

© April April Filme

»Wenn eine Katze in der Hofreitschule Junge wirft, sind das noch lange keine Lipizzaner.« So kommentierte ein anonymer Account auf der Website einer österreichischen Tageszeitung die Frage, ob die Regisseurin Olga Kosanović die österreichische Staatsbürger*innen­schaft bekommen solle. Geboren 1995 in Korneuburg als Kind serbischer Eltern und aufgewachsen im vierzehnten Wiener Gemeindebezirk, ist sie eigentlich ein Paradebeispiel einer Österreicherin – nur dass sie zufällig einen anderen Pass hat.

Doch statt dies von offizieller Seite anzuerkennen, stellt sich den Behörden absurderweise die Frage, ob Kosanović denn integrierbar sei. Sie selbst greift diese abstruse Situation nun in ihrer Doku »Noch lange keine Lipizzaner« auf. Der Film, der beim Festival Max Ophüls Preis seine Weltpremiere feierte, im März bei der Diagonale zu sehen war und im September in den österreichischen Kinos startet, macht die Regisseurin auf humorvolle Weise zur Protagonistin. Er zeigt, wie sie durch den verdrehten österreichischen Behördendschungel navigiert, und geht gleichzeitig der Frage auf den Grund, was Staatsbürger*innenschaft überhaupt bedeutet. Wer bestimmt, was die kulturellen Merkmale eines Landes sind und wer dessen Bürger*innen? Was hat ein Land davon, sich gegenüber neuen Menschen abzuschotten?

Diese Fragen beschäftigen nicht nur Kosanović: Viele Leute hätten sich bereits bei ihr bedankt, weil sie selbst oder ihre Eltern, Geschwister und Cousin*innen ähnliche Erfahrungen gemacht hätten. »Im Zuge meiner Recherchen habe ich so viele ähnliche Geschichten gehört. Das war unfassbar«, erinnert sich die Regisseurin. »Auch wenn ich natürlich damit gerechnet habe, dass ich nicht die Einzige bin. Deshalb war es mir ja ein Anliegen, einen Film daraus zu machen.«

»Unvorteilhafte« Bedingungen

Österreich und die Staatsbürger*innenschaft. Wenn man nicht unter das Abstammungsprinzip fällt, Nachkomm*in einer im Zweiten Weltkrieg verfolgten Person oder berühmt und daher für die Republik von Interesse ist, hat man es schwer. Zehn Jahre rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich und davon mindestens fünf Jahre ununterbrochenen Hauptwohnsitz setzt der Staat voraus. Man muss ein gesichertes Einkommen haben und ohne Sozialhilfe auskommen. Die Deutschkenntnisse müssen das Niveau B1 erreichen und auch über Kenntnisse der demokratischen Ordnung sowie der Geschichte Österreichs muss man verfügen. Ebenso dürfen keine relevanten Vorstrafen oder offene Ermittlungsverfahren vorliegen. Seine alte Staatsbürger*innenschaft muss man abgeben und – vielleicht der einfachste Teil – sich zur österreichischen Verfassung sowie zu den Grundwerten bekennen.

Was den Zugang zur Staatsbürger*innenschaft angeht, ist Österreich damit eine der restriktivsten Nationen in ganz Europa. Im Migrant Integration Policy Index erhalten die Regelungen hierzulande das Prädikat »Unvorteilhaft« mit gerade einmal 13 von 100 möglichen Punkten. Im Vergleich: In Schweden sind die Hürden mit 83 Punkten sehr niedrig und sogar unser zunehmend nationalistisches Nachbarland Ungarn liegt mit 25 Punkten deutlich vor der Alpenrepublik. Für Herrn und Frau Österreicher sind diese Problematiken, wie auch der Film in kleinen Animationssequenzen zeigt, oft nur weißes Rauschen. Man selbst würde ja recht bequem leben.

Doch gerade auch für diese autochthonen Österreicher*innen habe Kosanović »Noch lange keine Lipizzaner« gedreht. So betont etwa eine der im Film interviewten jungen Frauen mit österreichischem Pass, wie egal ihr dieser eigentlich sei. Eine privilegierte Aussage? Klar, aber irgendwie verstehe Kosanović das auch: »Pass und die Staatsbürger*innenschaft können einem erst mal wurscht sein, wenn man mit dieser Problematik nicht in Berührung kommt. Woher soll man das auch wissen? Wir lernen es ja nicht in der Schule.« Bei ihr habe sich der unschuldige Gedanke, mal schnell bei der MA 35 den Wechsel ihrer Staatsbürger*innenschaft einzuleiten, alsbald als Sisyphosarbeit entpuppt: »Erst da habe ich gemerkt, wie schwierig das eigentlich ist.«

Seit sieben Jahren bemüht sich Olga Kosanović um die österreichische Staatsbürger*innenschaft. (Bild: Harald Warzyniak)

Ich-Erzählerin

Schwierig war für sie auch die Überlegung, den Film um sich selbst als Erzählerin herum zu konzipieren. »Ich habe mich extrem lang gewehrt, da mit dabei zu sein. Sich im Dokumentarfilm zur Protagonistin zu machen, ist eine umstrittene Methode.« Letztendlich habe dann der Finanzierungs- und Pitchingprozess diese Entwicklung vorangetrieben. »Die Geschichte beginnt nun mal bei mir. Das ist der Grund, warum ich dieser Spur überhaupt nachgehe.« Aber, so betont Kosanović, auch wenn es ein Film mit ihr ist, solle er nicht ausschließlich von ihr handeln. »Ob ich die Staatsbürger*innenschaft schlussendlich bekomme oder nicht, ist für den Film ja völlig irrelevant. Mir geht es um die größere Debatte dahinter. Was bedeutet das Thema für alle anderen? Was bedeutet es für uns als Gesellschaft? Wer sind wir? Wer sind ›die anderen‹?«

Als »andere« wäre Kosanović nie aufgefallen. Nach einer Kindheit im vierzehnten Bezirk besuchte sie ebendort die Graphische, wollte eigentlich Fotografin werden. »Als sie mich dann in der Multimediaklasse haben wollten, bin ich relativ schnell in den Film reingerutscht.« Nach der Matura besuchte Kosanović ein Jahr die Schule Friedl Kubelka. »Dort konnte man Super-8- und 16-Millimeter-Filme selbst entwickeln. Der Analogfilm hat mir auf der Graphischen gefehlt.« Danach folgte der Wechsel ins Ausland, an die Hochschule für bildende Künste (HFBK) Hamburg in die Klasse von Angela Schanelec.

»Ursprünglich war das die Klasse von Wim Wenders. Deswegen hatte ich mich dort beworben. Aber just in dem Moment, als ich aufgenommen wurde, ging er in Pension.« Der Aufenthalt in Hamburg zählte beim Einbürgerungs-Nein mit zu jener Zeit, die Kosanović zu viel im Ausland verbracht hatte. Achtzehn Tage zu lang war sie schlussendlich nicht in Österreich ansässig gewesen. Paradoxerweise sei sie aber genau in Hamburg »die Wienerin, die ich immer sein wollte«, geworden. Sie sei dort der Klassenclown gewesen, »der Kasperl, der so lustig ist und lieb spricht«. Rückblickend, meint Kosanović grinsend, müsse man quasi zweimal migrieren, um irgendwo anzukommen. Wienerin im Ausland zu sein, sei nämlich nie das Ziel gewesen. Die Bundeshauptstadt sei ihr Zuhause und, wie sie im Film betont, hier wolle sie auch mitbestimmen können. »Sobald man ein bisschen weg ist, merkt man, wie toll und wie lebenswert Wien ist.«

Ein Preis für »Tito«

Wieder daheim feierte sie erste Erfolge mit »Genosse Tito, ich erbe«, ihrem Abschlussfilm an der HFBK Hamburg. In dieser Doku musste sich ihre Familie der Frage stellen, was eines Tages mit dem Landhaus ihrer Großeltern in Serbien passieren solle. »Genosse Tito, ich erbe« gewann 2022 den Österreichischen Filmpreis in der Kategorie »Bester Kurzfilm« und gastierte bei zahlreichen Festivals.

Danach musste ein Spielfilm folgen, denn: »Ich wollte nicht sofort den Stempel der ›Doku-Olga‹ bekommen. Aus dieser strategischen Sicht ist ›Land der Berge‹ entstanden. Die Idee für die Geschichte hatte ich aber schon lange.« Die Handlung folgt dem Serben Vladimir, der mit seiner Tochter einen Aufenthaltstitel und Papiere in Österreich erlangen will, aber an einem »Catch-22« der österreichischen Gesetzgebung scheitert: 8.000 Euro braucht er auf dem Konto. Doch da er keine Papiere hat, darf er nicht legal arbeiten und muss zu unkonventionellen Mitteln greifen. Die Handlung sei ein Potpourri aus wahren Erfahrungen, so Kosanović: »Es ist die Geschichte meiner Eltern, die in den Neunzigern und Nullerjahren für den Daueraufenthalt kämpften. Damals mussten sie diese Kontodeckung wirklich vorweisen. Das finde ich bis heute total absurd.« Mit »Land der Berge« gewann die Regisseurin im Juni 2025 abermals den Österreichischen Filmpreis für den »Besten Kurzfilm«.

Schon vor diesen Erfolgen beginnt die Geschichte von »Noch lange keine Lipizzaner«, die Kosanović nun seit sieben Jahren begleitet. Im Alter von 23 suchte sie nämlich erstmals um die Staatsbürger*innenschaft an – mittlerweile ist sie dreißig. Als Tochter einer serbischen Germanistin genieße sie die Privilegien einer guten Bildung und perfekten Deutschs, wie sie betont. »Mit dieser privilegierten Blauäugigkeit bin ich auch zur Behörde gegangen. Danach fühlte ich mich wirklich das erste Mal fremd und hatte den Eindruck, gar nicht so richtig dazuzugehören.« Bekanntheit erlangte ihr Fall dann 2021, als sie eine Kampagne von SOS Mitmensch mit einem kurzen Video unterstützte und es daraufhin Kommentare wie das eingangs erwähnte hagelte.

»Ich habe gemerkt, dass ich ein sehr gutes Beispiel dafür bin, dass dieses Gesetz schlecht funktioniert, und zwar so, wie es der Gesetzgeber ursprünglich vielleicht gar nicht wollte. Das Prozedere hat sich aber verselbstständigt.« Da schlage, so die Regisseurin weiter, auch die österreichische Tradition wieder zu: »Nichts ändert sich. Alles bleibt, wie es ist. Das war schon immer so.«

Gericht statt Gesetz

Was in Österreich ebenfalls Tradition hat: dass oft einmal die Gerichte dort bemüht werden müssen, wo der Gesetzgeber und die Behörden auslassen. In Österreich entsteht Veränderung immer wieder erst am Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof. Dank Letzterem hat sich zwischen Dreh und Kinostart auch einiges für Kosanović getan: »Ich habe jetzt eine Zusicherung von der österreichischen Seite. Das war aber nicht die Arbeit der MA 35, sondern wir haben eine Säumnisbeschwerde eingelegt, weil die Behörde schon wieder zu lange gebraucht hat. Der Richter hat dann gemeint, dass er gar nicht verstehe, warum das nicht schon längst entschieden wurde, weil die Lage total klar sei.«

In acht Minuten sei die ganze Angelegenheit zu ihren Gunsten abgehandelt gewesen. Sie habe nun zwei Jahre Zeit, die serbische Nationalität zurückzulegen – aber auch in anderen Ländern mahlen die behördlichen Mühlen langsam. »A g’mahde Wies’n« ist ihr Weg zur Staatsbürger*innenschaft jedenfalls noch immer nicht: »Bis zum Tag der Verleihung in Österreich muss ich weiterhin alle Kriterien erfüllen, etwa auch die Straffreiheit und die Verwaltungsstraffreiheit.«

Was das für sie bedeutet, erklärt sie an einem banalen Beispiel: »Wir wohnen im Dachgeschoß und haben vor unserer Tür immer die Schuhe abgestellt. Neulich kommt der Brandschutzbeauftragte und sagt: ›Guten Tag, Sie müssen das hier wegräumen. Das ist eine Vorschrift, sonst gibt es eine Verwaltungsstrafe.‹ Da klingeln bei mir natürlich gleich alle Alarmsignale. Okay, Schuhe rein.« Aber nur vorerst, wie Kosanović spitzbübisch grinsend erklärt – und sie betont, dass man das durchaus drucken dürfe: »Sobald ich die Staatsbürgerschaft habe, stelle ich die Schuhe wieder auf den Gang. Eine Verwaltungsstrafe kann man sich dann ja mal leisten.«

Der Film »Noch lange keine Lipizzaner« von Olga Kosanović startet am 12. September 2025 in den österreichischen Kinos.

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