Zeitweise aktueller und realitätsnäher, als es einem lieb wäre, aber mit genau dem richtigen Maß an Humor durchzogen. Auf riesigen Herdplatten bringt »Retrotopia« eine bitterböse Satire aus dystopischen, konservativen und patriarchalen Fantasien konterkariert mit subversiven Widerstandsideen auf die Bühne und lässt dabei nichts anbrennen.

Als würden sie auf die Bühne gebeamt, erscheinen in einem hellen Lichtkegel drei Personen, die sich – mit Sprühflasche, Tüchern und Schutzbrillen ausgerüstet – ans Putzen eines überdimensionalen Herds machen. Auf Zehenspitzen, als wären ihre Füße barbieesk im permanenten High-Heels-Modus, tänzeln sie, synchron und mit erzwungenem Lächeln, von Herdplatte zu Herdplatte. Kaum sind diese blitzblank, stolpert eine weitere Person in die Küchenlandschaft und die rotglühenden Platten beginnen zu flackern. Die Protagonistinnen kommen mit dem Putzen nicht mehr nach – gar nicht gut für die bevorstehende Evaluation! In einem Strobo-Hologramm erscheint eine weitere Person: die fünfte der »Gesetzesbrecherinnen«, die zum »sozialen Zwangsdienst« in Retrotopia verdonnert wurden.

»Dürfte ich jetzt bitte wieder gehen«
Mit einem riesigen Schneebesen in der Hand erzählt der Neuzugang von ihrem täglichen Leben als Tradwife: Work-Out um 5:30 Uhr, Brot backen, eine Lunchbox für ihren Mann packen, die fünf Kinder (unter anderem »Sydney« und »Sweeney«) zum Schach- und Orgelunterricht fahren und am Ende des Tages noch sexy aussehen, während sie ihren Mann im Bett erwartet. Die Inkarnation einer nostalgischen Vergangenheit, die es historisch nie gab und der Traum eines jeden konservativen Podcasters.
Warum ausgerechnet sie hier ist, weiß sie anfangs wohl selbst nicht genau und fragt, ob sie »bitte wieder gehen« dürfe. Im Laufe des Stücks wird klar: Ob aufmüpfige Lyrics, Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch, eine queere Beziehung oder beim Amt gendern – eigentlich ist egal weshalb man dort ist, denn selbst wer sich scheinbar perfekt anpasst, ist nicht vor Sanktionen gefeit.

»Wie Norma ist, so wollen wir sein«
Zur Evaluation vermessen sich die Protagonistinnen gegenseitig nach dem »Norma-Messungsindex«, basierend auf den angepassten »Normas da draußen«. Mindesthaarlänge? Ohrabstehung? Jochbeinline? Radikalitätsfurche? Fazit: »great genes«, »kein Goder und keine Kabel« muss man haben! Und im »Mansplaining Training« müssen sie gut abschneiden, denn »Norma ergänzt Normann in angeborener Unterlegenheit« heißt es.
Wie so oft bei Stücken des Instituts für Medien, Politik und Theater ermöglicht Recherchetheater auch hier eine spielerische Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitisch relevanten Themen. Popkulturelle Zitate und Anspielungen werden aufgegriffen, abgewandelt und absurd zugespitzt, was gleichermaßen für Lachen und Gesellschaftskritik sorgt. Mit Musik von Farce und Livebegleitung von Katarina Maria Trenk werden Pläne für einen Streik in Retrotopia geschmiedet und abschließend wird die Frage, was denn passieren soll, wenn sie verweigern, hoffnungsvoll mit »wir können es nur herausfinden« beantwortet.
»Retrotopia« ist noch bis 3. Oktober 2025 im Kosmos Theater zu sehen. Am 25. September und 2. Oktober gibt es im Anschluss an die Vorstellung ein Publikumsgespräch.