Billy Bragg war zu Gast in Wien. Im Interview zeigt er sich als überzeugender, feinsinniger Redner, mit klaren Positionen zu Occupy, Thatcher, Zynismus und Nationalismus. Gerald Stocker fasst zusammen, was zusammen gehört.
Bragg war in seiner Jugend eingeschüchtert von Alltagsrassismus und Frauenfeindlichkeit, die er in seinem unmittelbaren Arbeitsumfeld miterleben musste. Er fühlte sich als Minderheit, weil er ganz klar anders dachte. Ein Konzert von The Clash in den späten 70er Jahren half ihm sich zu emanzipieren. Nicht alleine, weil ihm The Clash mit ihren Songs die Augen öffneten, sondern weil er damals erkannte, dass es viele gab, denen es ähnlich ging wie ihm. Er hatte seinen Platz gefunden.
Love And Justice
Filmemacher wurde er aber keiner, weil das Geld für eine Kamera nicht reichte. Seine Tagebücher wollte auch keiner lesen. So begann er, Lieder zu schreiben und mit seiner Gitarre und Verstärker durch die Lande zu ziehen. Die finanzielle Lage hat sich nach all den Jahren zwar geändert, die Art und Weise, wie Bragg sich präsentiert, ist aber gleich geblieben – wie man sich beim ausverkauften Abschlusskonzert seiner Europatournee am vergangenen Freitag im Wiener Flex überzeugen konnte. Dorthin lud einer der letzten klar politischen Barden zu seinem Hochamt. Und dennoch versteht sich Bragg selbst nicht als politischer Künstler, wie er in einem persönlichen Gespräch vor seinem Auftritt verrät. Er ist eben Mr. Love and Justice. Sein Antrieb ist der Zorn und die Liebe, denn Musik ist für ihn eine Art von Therapie, gesteht er mit funkelnden Augen und zückt dabei stolz ein Foto seines 18-jährigen Sohnes, der als Sänger eine Punkrockband in die Fußstapfen seines Vater zu steigen scheint. Dass das von vielen als rein politisch verstanden werden kann, stört ihn aber nicht. Und so tourt der sympathische Engländer nun seit mehr als 30 Jahren, um sich für Liebe und Gerechtheit, wie er sie empfindet, stark zu machen. Seine Konzerte gleichem einem charismatischen Bildungsprogramm mit musikalischem Zündstoff.
Redefreiheit kein Feibrief für Rassismus
Warum er der einst von ihm so verhassten ehemaligen englischen Premiereministerin Maggie Thatcher nach all den Jahren mehr als Tony Blair und David Cameron abgewinnen kann, liegt auf der Hand. Man wusste wofür sie stand, man konnte ihre Politik nachvollziehen, um sich dann aus Braggs Sicht komplett dagegen aufzulehnen. Und dies tat er gerne und gezielt, wie sein Engagement während des Miners Strikes und seine Red Wedge-Bewegung in den 80er Jahren zum Ausdruck brachten. Bei Blair und Cameron hat man keine Ahnung, was sie wollen, wofür sie eigentlich politischen stünden. Es fehle ihnen an Imagination.
Bragg hat sein Herz am linken Fleck, er redet brillant bis verführerisch, sympathisiert mit dem Publikum und schafft es, sich mit launigen, nicht immer ernst gemeinten Seitenhieben auf Morrissey, mit dem Publikum zu solidarisieren, um im selben Atemzug dessen Kitchen-Sink-Song „Jeane“ anzustimmen. Gemeinsam mit einem weiteren Ex-Smith – Johnny Marr – schrieb er auch einen seiner größten Erfolge – den „Euro Dance Hit“, wie er ihn selbst humorvoll bezeichnet: „Sexuality“. Angesprochen, warum er Morrissey so gerne auf die Schaufel nehme, entlockt man ihm, dass er ihn für einen eitlen Provocateur halte, sonst aber kein Problem mit ihm haben würde. Damit spielt er auch auf Morrisseys Aktion in der 90ern an, wo sich dieser mit der Union Jack vor seinem Publikum präsentierte und aus Sicht des NME mit nationalistischen Tendenzen kokettierte. Soweit würde Bragg in seiner Einschätzung von seinem Musikerkollegen nicht gehen wollen, bringt aber ganz klar zum Ausdruck, dass derlei Symbole, wie eben die britische Flagge, wieder aus den Händen dieser nationalen Hohlköpfe genommen werden müsse, denn die Union Jack gehöre uns allen.
Die in Stein gemeißelte Weisheit, dass Redefreiheit kein Feibrief für Rassismus ist, würde er gerne vielen dieser Uneinsichtigen in ihr Stammbuch schreiben. Nationalismus hat auch nichts mit rechts oder links zu tun, er findet auf beiden Seiten der politischen Skala statt. Das Bild eines Nationalstaats zu definieren, ist Bragg eben fremd, wie er auf seinem Album „England, Half English“ vor einigen Jahren sehr gut zum Ausdruck brachte. Alles befände sich im Flux. Das gelte eben nicht nur für seine Heimat, sondern auch für Österreich und darüber hinaus.
Neue Medien kritisch nutzen
Nicht nur Morrissey hatte seine Probleme mit dem Musikboulevard, auch Bragg bekam es aus anderen Gründen immer wieder zu spüren. Das ist auch ein Grund, warum Bragg Facebook und Twitter nutzt. Da man über ihn schon seit Jahren nicht mehr in Magazinen wie dem NME berichtet, müsse er eben jene Kanäle nutzen, um über seine Aktivitäten zu informieren. Aber ein Tweet lebt eben dann doch nicht. Er ersetzt nicht das Leben und die Emotionen. Kein Publikum der Welt lässt sich von der Bühne herab von Tweets emotionalisieren. Das Ganze hat dafür aber auch einen umgekehrten Effekt. Heute kann man Billy Bragg direkt sagen, was für ein Arsch er ist, witzelt der launige Sänger.
Es sind aber nicht nur die Politiker, sondern auch andere Lobbyisten, die zur Verrohung der politischen Moral beitragen. Rupert Murdoch hat nicht nur die Mediengesellschaft und den Umgang mit Privatsphäre negativ verändert, sondern auch die Premiere League und den englischen Fußball umgebracht, gesteht der bekennende West Ham Fan im Vorfeld der nahenden Euro und hofft dabei, dass ihn, sollte es zu einem Elfmeterschießen zwischen England und Deutschland kommen, die 8 Millionen Österreicher unterstützen, denn auf die 5 Millionen Schotten könne man nicht zählen. Sein spitzbübisches Lächeln verrät, dass er es nicht ernst meint. Die nationale Falle lauert eben überall.
Die Sprache von Karl Marx ist tot
Bragg formuliert poetisch feinsinnig, kann aber auch ganz pointiert oder zornig, wenn ihm etwas ganz besonders gegen den Streich geht. Es wirkt dabei oft so, als wäre seine ganz persönliche Vorliebe, sondern hätte eine allgemeine Gültigkeit, wie seine Einschätzung, dass das wirkliche Übel unserer heutigen Gesellschaft der Zynismus ist, mit dem man sich die Menschen im Alltag und in den Medien begegnen. Der überzeugte Linksdenker Bragg überrascht auch – wenn er etwa fordert, dass man seine Ideologien überkommen soll. Man ereiche damit heutzutage niemanden mehr, müsse aus den ideologischen Ecken heraus kriechen und z.B. die Occupy Bewegung unterstützen statt sie zu belächeln. Die Sprache von Karl Marx sei tot, die Ideen haben nach wie vor Gültigkeit. Bragg fordert, dass es keine Macht ohne Verantwortung geben soll, und meint damit Banken. Mit seiner Hymne „There is Power in a Union“ hat er sich schon ein Regulativ besungen, das notwendig wäre, um Bereicherung in Form von Bonizahlungen in Milliardenhöhe zu verhindern.
Woody Guthrie Sessions
Aktuelle Künstler haben es nicht leicht, Nachfolger scheinen nicht in Sicht. Es gibt viele kritische Musiker in seiner Heimat, beteuert Bragg, aber es fällt ihnen schwer, sich politisch zu äußern. Dass aber eben nicht nur Zorn, sondern auch Liebe eine von Braggs Triebfedern ist, zeigt auch der gerade erschienen dritte Teil der Woody Guthrie Sessions, die Bragg gemeinsam mit Wilco zur Jahrtausendwende eingespielt hatte. Als Guthries Tochter Nora mehr als 3000 Gedichte ihres verstorbenen Vaters fand, bat sie nicht Bob Dylan, einige davon zum Leben zu erwecken, sondern wandte sich an einen mehr als überraschten Billy Bragg. Mit den Alternative Country Übervätern von Wilco spielte er die ersten beiden Alben nicht ganz ohne Meinungsverschiedenheiten ein.
Seinem Bruder im Zorn Guthrie, der den Slogan „This machine kills Fascists“ auf seiner Gitarre eingraviert hatte, fühlte sich Bragg schon früh verbunden. Dass es aber weit mehr als politische Parallelen gab, entdeckte Bragg bei der Aufarbeitung der Texte. Auch Nora Guthrie wollte eine neue Sichtweise auf das Werk ihres Vaters. Und so wählte man gezielt jene Texte aus, mit denen wohl am wenigsten zu rechnen war. Die jetzt erscheinende Compilation umfasst alle bis dato unveröffentlichen Songs sowie einen hinreißenden Dokufilm. Dieses Projekt verherrlicht Guthrie nicht als politische Ikone, als die er sich selbst nie sah, sondern bietet eben ganz etwas Unerwartbares, wie zum Beispiel das wunderbar erotisch explosive Liebesgeständnis Guthries an Ingrid Bergman, das Bragg neben ein paar anderen Guthrie Songs auch im Flex zum Besten gab.
Keep Faith
Nach all den Jahren hat der Sänger das Vertrauen in sein Publikum immer noch nicht verloren, und brachte das mit seiner Liebeserklärung „I Keep Faith“ zum Ausdruck. Zum Abschluss durfte auch Braggs Generationshymne „A New England“ nicht fehlen, das vom bestens gelaunten Publikum emphatisch mitgegrölt wird. Nur bei der Strophe aus der Version Kirsty MacColls – die leider viel zu früh verstorbene Tochter des Arbeiterdichters und Sängers Ewan MacColl – , die Braggs Hit ein paar Jahre später nochmals Chart fähig gemacht hatte, wurde es zwischenzeitlich etwas ruhiger.