Gestern ging Tag zwei beim Bluebird Festival mit dem zweiten Teil der Constellations Records 15-Jahres-Feier über die Bühne. Armin Rudelstorfer und Werner Sturmberger waren dort.
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Spätestens am zweiten Tag der Constellation Records Geburtstagsparty ist man mit der Frage konfrontiert, warum man einen Review schreibt, außer vielleicht um den Anlass für die Fotos zu beleuchten. Die Leute, die dort waren, wissen wie fantastisch das war, denen die es nicht waren, wird man es nicht mit Worten beschreiben können, was ich nicht nur meinen schreiberischen Fähigkeiten ankreiden würde.
Das Leben als Maßstab
Wie bereits am Vortag reihte sich ein Constellation Act nicht nahtlos aber stringent an den anderen. An beiden Tagen hatte man den überzeugend Eindruck, dass hier mit unterschiedlichen musikalischen Ausdrucksweisen am gleichen Strang gezogen wird – Musik die neben stilistischen Gemeinsamkeiten eine beständige Referenz zum menschlichen Dasein und all seinen Facetten bildet. Das spricht gleichermaßen für das Label wie für die Programmierung des Abends, der reibungslos verlief.
Einzige Ausnahme des Konzerts von HRSTA. Die Band vergaß auf den ersten Song im Set und versicherte glaubhaft, dass man diesen auch nicht nachholen könne, denn die Erfahrung habe gezeigt, es gebe nur eine mögliche Abfolge in ihrem Programm. Diese kleinen Lapsus machten sie mit beherztem Crowd-Entertainment – nicht unbedingt gängig abseits von HipHop-Shows und nicht die einzige derartige Einlage dieses Abends – wieder wett. Mit chorischer Unterstützung des Publikums endeten HRSTA mit dem epischen „… and we climb“ vom ersten Album „Stem Stem In Electro“.
Avant-Folk und Mut zum Provisorischen
Mit Elfin Saddle folgte die Formation, die vielleicht am ehesten auch im regulären Bluebird – Programm unterkommen könnte. Die Band pflegt ihre Folkwurzeln, weist aber immer wieder über diese hinaus. So knüpft die Avant-Folk-Formation eben neben kanadischen auch an japanische Musiktraditionen an und versammelt ein breites Sammelsurium an unterschiedlichen, teils gefundenen Instrumenten. Besonders hängen geblieben: „the wind come carry“ vom neuen Album „Devastetes“.
Musikalisch experimenteller und roher ging es dann bei dem von Carla Bozulich betriebenen Projekt Evangelista weiter. Trotz Brüchigkeit, des Arbeitens und des sich Abarbeitens an den Abgründen, des sich Bewegens im Bereich jener Emotionen, die man gern hinter sich weiß, trug Bozulich doch auch ganz viel von jener Freude, die diese Arbeit bereitet nach außen. Geteilt wurde diese mit einem ständigen wechselnden Set an Gastmusiker_innen. Im besonderen Maße gelang das beim, im Vergleich zur Studioversion sehr noisigen, provisorisch und improvisiert, aber gleichzeitig befreit klingenden, „Lucky Lucky Lucky“ vom Album „Hello Voyager“.
Großes Sesselrücken
Das letzte Konzert lieferte gleiche mehrere Antworten auf die offenen Fragen dieses Abends. Etwa, wo diese sich über zwei Tage aufbauende Euphorie im Publikum hinführen wird, wie sie sich einlösen wird. Aber auch darauf, warum das Porgy & Bess an diesem Abend nur zur Hälfte bestuhlt war. Man kann zu Sitzkonzerten ja stehen wie man will, aber meistens steht man dann doch immer. Der in Anbetracht des regen Andrangs an diesem Abend, glückliche Umstand einer nur halben Bestuhlung, war, wie glaubwürdige Backstagequellen kolportierten, Silver Mt. Zion zu verdanken. Die Band hatte eine Boykott des Konzert in den Raum gestellt, sollten die Tische und Sessel nicht aus dem selbigen entfernt werden. Geeinigt hat man sich schließlich auf eine Halbierung – längs durch den Zuschauerraum. Somit hatte sich auch das Antiaggressionstrainings-Mantra eines Freundes – „Irgendjemand wird sicher seine Gründe dafür gehabt haben“ – bewahrheitet.
Vielleicht hatte man der Halbierung nur zugestimmt, damit Efrim Menuck, Sänger der Band, bereits in seinen Anfangsworten auf die Klassenkampfsituation, selbst hier im Porgy & Bess hinweisen konnte – die, die sitzen und die, die stehen müssen. Auf den Einwurf aus dem Publikum, dass die stehende Masse in der Überzahl sei, erwiderte Menuck, dass das doch immer so sei: „Sie können Stühle nach euch werfen, aber ihr werdet immer mehr sein als die.“ Zwischen den Songs „What we love is not enough“, „Horses in the Sky“, „Piphany Rambler“ und „Psalms99“ ging die Efrim Menuck Show ungebremst weiter. Dabei erklärte er sehr implizit was der Impetus hinter dieser Musik, die Thematisierung unserer Leben und unserer Aussichten, sei.
Euphorie und Klassenkampf
So widmete Menuck auch eine Spielpause dem Versuch, Verständnis darüber herzustellen, dass so wie die Dinge im Moment liegen, wir wohl alle allein im Flur irgendeines Krankenhauses sterben werden. Die Musik von Silver Mt. Zion teilt mit jener von Godspeed You! Black Empereror (abgesehen von mehreren Musiker_innen) jene Wachsamkeit für die Bedingungen unter denen wir leben und versuchen Glück zu finden – GY!BE dazu: „Für uns beginnt jedes Lied mit dem Blues, aber gen Himmel weisend am Ende, denn wie könnte man den Himmel finden ohne den gegenwärtigen Blues anzuerkennen, richtig?“
Das gestrige Konzert kann als eindrucksvoller Beleg dieser Bewegung gelten – eine Bewebung die Euphorie und Politik zusammendenkt. Menucks Aufrufe zum Klassenkampf sind, wenngleich auch humorvoll vorgetragen, keine bloße Koketterie sondern verweisen auf das Bekenntnis dieses Kollektivs zur gegenseitigen Durchdringung von Politik und Kunst, zur kollektiven Aktion als Antwort auf individuiertes Elend, denn: „cause a people united is a wonderful thing“ (aus dem Song „Movie (never made)" vom ersten Album). So schön und so euphorisch wie gestern hat man SMZ in Wien vielleicht noch nie gesehen.
Den intim schönen Schlusspunkt zu fixieren, oblag allerdings der Saxophonistin und Jazz-Sängerin Matana Roberts, die für den letzten Song („There is a light“, vermutlich) zur Band gestoßen war. In einem sehr berührenden Moment begann Sie ganz allein mit dem Publikum „libation for Mr. Brown: Bid em in…“, ein an ein Traditional angelehntes Stück anzustimmen, bevor sie ein freudestrahlendes Publikum mit den besten Wünschen in den Abend entließ. Bitte, das Alles bald wieder.
Das Bluebird Festival läuft noch bis 24. November in Wien.