Extrem Druffe Musik

2012 war das Jahr, in dem Amerika tanzen lernte. Zu einer Musik, die dort EDM heißt. Aber das ist gar nicht das Allerschlimmste.

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Das Allerschlimmste sind die Hula-Hoop-Reifen. Im Dunkeln leuchtende, neonglitzernde Hula-Hoop-Reifen. Gedreht und hochgehoben oder einfach nur herumgetragen von jungen Mädchen mit im Dunkeln leuchtenden Augen und fragwürdigem Outfit. Es handelt sich um ein auf US-amerikanischen Großraumtanzveranstaltungen derzeit offenbar unverzichtbares Accessoire, um die Verkreisung des bescheuerten Glow Stick zu einem noch sehr viel bescheuerteren Ring of Feierei.

Das Zweitschlimmste sind die Bühnen. Im Dunkeln leuchtende, gern auch pulsierende und natürlich neonglitzernde Bühnen. Meterhohe Bühnen, die junge Männer noch sehr viel höher heben, als sie sich eh schon fühlen, Männer, deren Augen manchmal von den Computerschirmen leuchten, hinter denen sie stehen, meistens aber auch nicht, weil sie gar keinen Computer brauchen für das, was sie da oben machen. Rein optisch schlägt einem das erstens die Augen an den Hinterkopf und zweitens die Brücke von Daft Punk zu Madonna, was äußerst passend erscheint, weil das Genre, das hier (also auf US-amerikanischen Großraumtanzveranstaltungen) gespielt und gefeiert wird, genau unter dieser Brücke haust. Es heißt EDM. Das steht für Electronic Dance Music und klingt genauso raffiniert wie diese Genrebezeichnung, also eher nicht besonders.

Neue Fronten, klar verteilt

Weniger schlimm ist erstmal, dass elektronische Musik in den USA, wo Clubmusik zwar geboren, aber nie wirklich groß wurde, langsam in die öffentliche Wahrnehmung hineinfindet. Wobei: Langsam ist in diesem Zusammenhang wirklich das falsche Wort, wir sprechen schließlich von sehr vielen BPM und sehr schnellem In-die-öffentliche-Wahrnehmung-Hineinfinden. 2012 war das Jahr, in dem EDM in den USA durchbrach. Ein paar beispielhafte Daten: Im Februar wurden der Dubstep-Frisur Skrillex gleich drei Grammys verliehen, im März warb Microsoft mit einem Brostep-Remix von Alex Clares »Too Close« für seinen neuen Internet Explorer, es folgte ein ausgesprochen gutbesuchte Sommerfestivalsaison (Electric Daisy Carnival, Las Vegas: 300.000 Raver), die durchwegs gutverkauften Herbstalben von Deadmau5, Martin Solveigh, Zedd und Swedish House Mafia sowie die ersten schüchternen Dubstep-Versuche von Taylor Swift, dicht gefolgt von dem stets sehr trendbewussten Klavierspieler Lang Lang, der sich sein aktuelles Chopin-Video von dem Youtube-Dubstep-Schleicher Marquese aufhübschen ließ. Majorlabel-Menschen und andere Großdenker sprechen von Skrillex angeblich schon als dem neuen Kurt Cobain, in seiner Funktion als telegener Typ, der eine Subkultur für die Massen aufschließt. Sagen wir mal so: Clubmusik ist ins amerikanische Stadion eingetreten.


Beispiel Detroit, im Oktober 2012. Die Fronten sind neu, aber schon sehr klar verteilt, die Größenverhältnisse auch. Detroit-Techno-Fackelträger Kyle Hall gibt sein Heimspiel in einer Weinbar im Büroviertel. Ein paar Tage später verkauft Bassnectar, EDM-Ballermann aus Kalifornien, eine 2000-Leute-Bude im Vergnügungsviertel gleich zweimal hintereinander aus. Und dazwischen springt der sonst ja recht vernünftige Flying Lotus auf den abfahrenden Zug, macht bei seinem Gig in einem mittelgroßen Konzertsaal in Detroits Studentenviertel auf erhöhte Neonglitzerbühne, Dubstep-Rave und Hände-in-die-Luft. Der EDM-Hype lässt einem wohl keine Wahl, die Studenten wollen das so. Und sie wollen ihre verdammten Hula-Hoop-Reifen drehen.

Laurent Garnier nennt EDM »electro de merde«, und man kann ihn ja wirklich verstehen. Youtube liefert genug Hassargumente in Form lustiger Erlebnisvideos von jugendlichen Duckface-Tänzerinnen und Bunte-Plastikbrillen-Trägern, die sich sauwohl fühlen, weil ihnen Skrillex gerade ihren MDMA-Flash ins Zwerchfell bläst. Nein, das ist nicht schön anzusehen. Anzuhören aber auch nicht. Was auch immer man konkret unter EDM verstehen mag (unter der Bezeichnung firmieren in den USA neben vielen anderen zum Beispiel Avicii, Deadmau5, Skrillex, Bassnectar, Tiesto, Steve Aoki, Zedd oder Swedish House Mafia; Musikrichtung: egal; Hauptsache, die LEDs sind groß genug und die Konfettikanonen gut aufgeladen), mit elektronischer Tanzmusik hat das soviel zu tun wie Justice mit Daft Punk.

Wider die Vergangenheit

EMD, das ist als Clubmusik verkleideter Rock, verpackt und verkauft für Leute, die zu jung sind, um Eltern zu sein, aber Musik ungefähr so verstehen wie diese, nämlich nach dem Motto: Nur was eine Melodie hat, ist richtige Musik. Und wenn diese Melodie aus der Preset-Bibliothek von Avicii stammt, auch egal. Man muss dem Korn-Sänger und Scherzkeks Jonathan Davis richtig dankbar sein, dass er EDM mit seinem Metal-Dubstep-Projekt J Devil dorthin weiterdreht, wo sie hingehört: an den Rand der Parodie. Aber muss man denn gleich so undankbar sein? Immerhin besteht doch die Chance, dass der Massenappeal der Electronic Dance Music irgendwie durchsickert und auch etwas ambitionierteren, bis dato unter der Wahrnehmungsschwelle dahinfrickelnden Produzenten ein bisschen Aufmerksamkeit und vielleicht sogar etwas mehr Gage beschert. Nun, ja, muss man. Weil, nein, sie besteht nicht. Das einzige, was hier wirklich versickert, ist Teenagertaschengeld und Sponsorenkohle, und zwar in die Taschen der Megafestivalveranstalter und ihrer Headliner. Dem Dahinfrickler bleibt, von Weitem, allenfalls die Aussicht auf ein neues Radioprogramm; eines, in dem statt Gitarren eben Tieftöner röhren, und das seine Musik genauso ernst nimmt wie das davor. Wer dieses Argument elitär nennt, ist Populist. Und wer Skrillex Kurt Cobain nennt, ist ein Plattenfirmenmanager.

Als Genre ist EDM natürlich trotzdem interessant. Vor allem, weil es zeigt, dass Pop eben nicht, wie Simon Reynolds gern behauptet, von seiner eigenen Vergangenheit besessen ist. Und nein, das soll jetzt nicht heißen, dass EDM besonders zukunftsträchtig klingen oder funktionieren würde. Das Gegenteil ist der Fall. Aber es ist als Genre so sehr darauf angewiesen, seine eigene Vergangenheit – oder genauer: seine Ursprünge – zu verleugnen, dass es eine sehr eigentümliche Zeitform entwickelt hat, die mit der Zukunft nichts zu tun hat, mit der Vergangenheit nichts zu tun haben will und die Gegenwart so schnell vergisst, dass sie kaum je existiert. Es zählt nur der Moment. Und dann der nächste. Ja, EDM ist ein Pop-Phänomen. Das macht die Leute, die aus seiner Vergangenheit kommen, aber auch ein bisschen unrund, weil: Warum waren sie kein Pop-Phänomen? Waren sie ja. Ein anderes. Ein zukunftsträchtigeres, vergangenheitsbewussteres, in ihrer damaligen Gegenwart aber eben nicht ganz so erfolgreiches. Keines, in dem Plattenfirmenmanager sich mit großen Sprüchen und noch größeren Vorschüssen hervorgetan hätten. Das holen sie jetzt nach. Wer diesen Ansatz populistisch nennt, ist Idealist. Lady Gaga macht gemeinsame Sache mit Zedd? Natürlich. Was sollte sie sonst machen? Nirvana-Coverversionen einsingen?

Das wäre dann übrigens das Allerallerschlimmste.

Bild(er) © Bassnectar: Caesar Sebastian, Bassenectar Headshot: Peter Samuels, Skrillex, Alex Clare: Jon Baker
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